"Selbst Gott hat eine Naturgeschichte", meint der Professor für Philosophie der Biowissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Eckart Voland, im Gespräch mit science.ORF.at. Voland ist Gast beim Symposium "Darwins Kosmos. Bildwelten/Weltbilder", das heute im Wiener Künstlerhaus beginnt und bis morgen Abend dauert.
"Menschen sind überall auf unserer Erde religiös. Nicht jeder zu jeder Zeit, aber die Anthropologen haben bis heute noch nicht eine einzige Kultur beschrieben, die ohne irgendeine Vorstellung von Transzendenz auskäme. Es gibt Riten, Rituale, Mythen, Jenseitsvorstellungen. Und wenn das so weit verbreitet ist, dann stellt sich die Frage, ob nicht möglicherweise die biologische Evolution einen Anteil hat an dieser Form von Religiosität."
Zum Glauben geboren?
Charles Darwin feiert heuer ein doppeltes Jubiläum: Im Februar wäre der 200. Geburtstag des britischen Naturforschers gewesen, im November jährt sich zum 150. Mal die Erstveröffentlichung seines Hauptwerks "Die Entstehung der Arten".
Der Widerspruch von evolutionärer Anthropologie zu Transzendenz und Religion, die Auseinandersetzung zwischen dem Glauben an einen Schöpfergott und dessen Infragestellung durch die Naturwissenschaften ist zumindest 150 Jahre alt. Charles Darwins Botschaft war: Entwicklung statt Schöpfung. Kein Lebewesen sei geschaffen, sondern Ergebnis eines langen, nie abgeschlossenen Entwicklungsprozesses.
Die evolutionäre Rekonstruktion der Religiosität habe mit einem Gottesbeweis nichts zu tun: "Um Himmels willen! Eine evolutionäre Rekonstruktion der Religiosität wäre alles andere als ein Gottesbeweis. Die evolutionären Anthropologen, die sich darum kümmern, sind qua Wissenschaft agnostisch bei der Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht. Die Frage behandeln sie überhaupt gar nicht. Sie fragen danach, wie die Religiosität auf die Welt des Hier und Heute gekommen ist. Sie haben eine Darwinische Perspektive und versuchen, Religiosität evolutionär zu rekonstruieren."
Religiosität als biologische Angepasstheit?
Derart betrachtet ist Religiosität "praktisch" und hat einen Nutzen: Sie bewahrt uns vor persönlichen Sinnkrisen, davor, unsere Mitmenschen zu drangsalieren, davor, die Flinte ins Korn zu werfen. Dass Religion einen Nutzen habe, hätten die ersten Religionskritiker und frühen Soziologen schon gesagt, meint der Philosoph im Gespräch mit science.ORF.at. Das allein sei also kein besonders origineller Ansatz, und daher blicke die evolutionäre Perspektive noch weiter, so Voland.
"Sie muss die Frage beantworten, wieso Religiosität naturgeschichtlich einen Nutzen hatte - also sich letztlich in der Währung der Evolution, sprich: in der genetischen Fitness niederschlägt."
Evolutionärer "Nutzen" von Glauben
Die Antwort sei alles andere als trivial, meint Voland, denn fromme Lebenspraxis habe "ein ganzes Ensemble verschiedener Komponenten" - und für diese verschiedenen Komponenten müsse man jeweils gesonderte Antworten finden. Ein hoher ethischer Anspruch religiöser Gemeinschaften löse beispielsweise Kooperationsfragen, insofern hätten fromme Menschen durch eine hohe Binnenmoral in der Gruppe einen Überlebensvorteil im Vergleich zu anderen sozialen Gruppen.
Der Philosoph nennt ein weiteres Beispiel: "Es gibt auch moderne Statistiken, die zeigen, dass beispielsweise strenggläubige Menschen besser mit der Krebsbelastung fertig werden: Die Krankenhausaufenthalte sind verkürzt gegenüber Atheisten."
Anregend für beide Seiten
Auf Nachfrage von science.ORF.at meint Voland, dass er "überraschenderweise" noch nie der Ketzerei bezichtigt worden sei, denn er spalte die Fronten.
"Ich bin einerseits akzeptiert in Teilen der Atheisten, aber nicht in allen, weil allein der Hinweis, dass biologische Nützlichkeit dahinterstecken könnte, für viele kämpferische Atheisten schon eine Reinwaschung des Religiösen bedeutet. Bei den Frommen begrüßt auf der einen Seite eine Vielzahl von gläubigen Menschen, dass ich hier eine Nützlichkeit postuliere - das entspricht häufig auch ihrem Selbstkonzept -, aber andererseits wird ein akademisch gebildeter Theologe sagen: Wenn man Religion auf Nützlichkeit reduziert, dann fällt das Essenzialistische der Religion weg, und das ist natürlich nichts, was wir haben können."
Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft