Ein nachhaltiges politisches Dilemma
Von Helge Torgersen

ITA
Die Zukunft der Gentechnik in der europäischen Landwirtschaft ist unklar wie eh und je. Nach über zwei Jahrzehnten und trotz zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen sowie einer detaillierten Regulierung scheint man immer noch "zu wenig zu wissen", um eindeutige Entscheidungen zu treffen. Die Frage der Grünen Gentechnik kann als beispielhaft für das Scheitern von Bemühungen angesehen werden, mittels wissenschaftlicher Risikostudien, fachübergreifender Problemanalysen und Bürgerbeteiligungsverfahren in vielen Ländern eine tragfähige Lösung zu finden.
Immer wieder treten Schwierigkeiten mit der Zulassung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen auf, die nicht zuletzt auf unterschiedliche Auffassungen in den Mitgliedsländern zurückgehen, ob diese Technologie überhaupt erwünscht ist. Mit anderen Worten, die Grüne Gentechnik ist nach wie vor mehr ein politisches als ein technisches Problem: Es geht nicht nur um die Zulassungskriterien von Gentechnik-Sorten oder die Bedingungen für die Koexistenz mit konventioneller und biologischer Landwirtschaft. Vielmehr steht zur Debatte, wie die EU-Mitgliedsländer überhaupt mit Gentechnik-Produkten umgehen sollen, ohne globale Handelskonflikte zu provozieren.
Unüberwindliche Meinungsverschiedenheiten
Bei der Grünen Gentechnik wird mit Hilfe gentechnischer Verfahren in die Zucht von Pflanzen eingegriffen.
Die Probleme dürften in Zukunft nicht geringer werden. Gentechnik-Sorten mit neuartigen Eigenschaften warten auf ihre Zulassung, während sich die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft - z. B. durch den Anbau von Energiepflanzen - erheblich verändern.
Gleichzeitig gewinnen internationale Handelsregeln, die eine freizügigere Handhabung von Gentechnik-Sorten verlangen, zunehmend an Bedeutung. Die öffentliche Meinung in Europa ist nach wie vor geteilt, und viele KonsumentInnen können sich nur schwer mit dem Gedanken an gentechnisch veränderte Nahrungsmittel in den Supermarktregalen anfreunden - die Meinungsverschiedenheiten scheinen unüberwindlich, die Debatte ist erstarrt.
Und sie bewegt sich doch?
Der Stillstand in der Diskussion wird sowohl von Industrie und Forschung als auch von vielen Politikern heftig beklagt, wie jüngst beim Innovationsgipfel im Europäischen Parlament in Brüssel. Man sah dort Europa in Sachen Technologie aufs Abstellgleis rollen, während gleichzeitig Transparenz und Bürgernähe eingefordert wurden. Was aber, wenn viele BürgerInnen nicht wollen, was InnovationsverfechterInnen für unverzichtbar halten?
Angesichts des scheinbar unlösbaren Dilemmas für die Politik wird immer wieder gefordert, "aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen". Voraussetzung dafür ist allerdings Klarheit darüber, was überhaupt das Problem ist, denn in der gegenwärtig verfahrenen Situation ist die Versuchung groß, bloß an den Details der bestehenden Regulierung zu feilen und zu hoffen, dass damit die Schwierigkeiten verschwänden. Diese Hoffnung hat sich in der Vergangenheit als unberechtigt erwiesen.
Die Ergebnisse der EPTA Studie: "Genetically Modified Plants and Foods"
Das war die Ausgangslage für acht Mitglieder der EPTA, der Vereinigung der europäischen Parlamentarischen Institutionen für Technikfolgenabschätzung, zu der auch das ITA der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gehört. Anhand einer Neuinterpretation von TA-Studien der vergangenen Jahre und einer Umfrage unter Experten aus acht Ländern wurden die wichtigsten Herausforderungen für die Politik zur Grünen Gentechnik unter heutigen Bedingungen herausdestilliert. Die Leitfrage war: Gibt es Anzeichen, dass sich die gegenwärtige Pattsituation verändert? Die Antwort: Ja, aber die Erwartungen sind zwiespältig wie immer.
Herausforderungen in fünf Schlüsselbereichen
Eine neue Generation von Gentechnik-Pflanzen steht vor der Tür, die medizinische Substanzen, Industriechemikalien etc. produzieren und demnächst Zulassungsverfahren durchlaufen werden. Vor allem neue Anreize für deren Einführung durch veränderte Bedingungen in der Landwirtschaft könnten eine neue Ausgangslage für die Politik bewirken.
Angesichts von Umweltfaktoren wie Klimawandel, Wassermangel und Erosion verlangt eine nachhaltige Entwicklung neue Produktionsweisen und damit besser angepasste Sorten. Gleichzeitig verändern sich die Marktbedingungen. So dienen landwirtschaftliche Produkte heute nicht mehr nur der Lebensmittelproduktion, sondern zunehmend auch der Energiegewinnung, wodurch deren Preise aber stark von denen auf dem Energiemarkt beeinflusst werden.
Öffentliche Meinung und Kennzeichnung
Die öffentliche Meinung über gentechnische Nutzpflanzen könnte sich langfristig verändern, sollten sie Konsumenten unmittelbar einen höheren Nutzen bringen oder nicht für die Nahrungsmittelproduktion verwendet werden, die ja als besonders umstritten gilt. Dem gegenüber steht die realistische Erwartung, dass sich an der Skepsis gegenüber gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln in vielen europäischen Ländern nicht viel ändern wird.
Die Frage der Koexistenz und Kennzeichnung stellt sich besonders dringlich, wenn es zu einem vermehrten Anbau kommen sollte. Dann erhebt sich die Frage, ob diese Konzepte überhaupt noch zu verwirklichen sind. Die befragten Experten beantworteten dies mit einem vorsichtigen Ja – allerdings bestand Uneinigkeit über die Details, z.B. ob Koexistenz für alle Nutzpflanzen und Anbaubedingungen gewährleistet werden kann oder nur unter bestimmten Bedingungen.
Internationale Regeln und nationale Entscheidungen
Schließlich verweist die Spannung zwischen internationalen Handelsregeln und dem Spielraum für nationale Entscheidungen auf ein grundlegendes Problem der EU. Die europäische Politik gerät angesichts des weltweit wachsenden Anbaus gentechnisch veränderter Sorten, internationaler Regelwerke und daraus resultierender Handelskonflikte unter Druck. Die Welthandelsorganisation (WTO) etwa verlangte von der EU, dass gentechnisch veränderte Sorten nicht anders behandelt werden dürften als konventionelle, wenn keine Risiken nachweisbar sind. Das hat einige Mitgliedsländer der EU mit einem restriktiven Kurs in dieser Frage - darunter Österreich - vor Probleme gestellt.
Das Cartagena Protokoll zur biologischen Sicherheit aus österreichischer Sicht.
Mögliche Lösungen auf EU-Ebene wären entweder ein größerer Entscheidungsspielraum für die Länder (Subsidiarität) oder eine stärkere Harmonisierung. Die meisten befragten Experten glauben, dass die Prinzipien der EU-Regulierung beibehalten werden können, viele sprachen sich aber für stärkere Harmonisierung sowie eine Reform der zuständigen Behörden aus.
Studie im Auftrag des BMG über die Auswirkungen des WTO-Abkommens.
Allerdings sollten parallel dazu internationale Vereinbarungen, die teilweise widersprüchlich sind wie das Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit und das WTO-Abkommen, auf einen Nenner gebracht werden. Das würde nicht nur gentechnikspezifische Themen, sondern auch die Einbeziehung sozialer und Umweltstandards in die WTO-Regulierung zur Debatte stellen.
Was ist nachhaltige Landwirtschaft?
Insgesamt kommt die Studie zum Schluss, dass die Zukunft der landwirtschaftlichen Gentechnik in Europa nicht nur von den Details der Regulierung, neuen technischen Lösungen oder der Entwicklung der öffentlichen Meinung abhängt. Entscheidend ist vielmehr, was als "nachhaltige Landwirtschaft" gelten soll: Geht es z. B. um hohe Produktivität bei niedrigem Input oder um einen Ausbau des ökologischen Landbaus? Mit anderen Worten: Welche Landwirtschaft wollen wir und wie wollen wir sie erreichen?
Das ist eine grundsätzliche Frage, die bisher eher vermieden wurde - verständlich, denn die europäische Agrarpolitik ist schon kompliziert genug. Ein breiter gesellschaftlicher Dialog ist aber sehr bald nötig, denn es besteht Handlungsbedarf, und das nicht nur weil Gentechnik in der Landwirtschaft als Problem gilt. Solange nicht klar ist, was die Aufgabe der europäischen Landwirtschaft in Zukunft sein soll, bleibt die Rolle einzelner Technologien unbestimmt.