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Demonstration am 28.10.09 für bessere Studienbedingungen

"Jugend von heute": Doch nicht so angepasst?

Eben hat die Jugend von heute noch als "angepasst und kritiklos" gegolten, plötzlich demonstrieren Tausende für bessere Unis. Wie konnte das geschehen? Für den Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier sind die aktuellen Proteste Ausdruck einer Generation, die versucht hat, alles richtig zu machen, und dafür nicht belohnt wurde.

Uniproteste 29.10.2009

Gerade weil ihnen Werte wie Sicherheit und Selbstverwirklichung wichtig seien, gingen die jungen Menschen jetzt auf die Straße - da ihnen diese unter den aktuellen Studienbedingungen nicht geboten würden, so Heinzlmaier im Gespräch mit science.ORF.at.

Porträtfoto des Jugendkulturforschers Bernhard Heinzlmaier

Institut für Jugendkulturforschung

Bernhard Heinzlmaier ist Mitbegründer und seit 2003 ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er die tfactory-Trendagentur in Hamburg.

In einer aktuellen Studie Ihres Instituts wird die jetzige Jugend als eine "anti-revolutionäre" bezeichnet, die die Welt nicht mehr verändern möchte, sondern passiv abwartet und individualistisch nach eigenem Glück strebt. Sind Ihnen die aktuellen Uniproteste deshalb unangenehm?

Bernhard Heinzlmaier: Nein. (lacht) Was wir gesagt haben, stimmt weiterhin für die große Mehrheit der Gesellschaft. Bei den Besetzern des Audimax handelt es sich um eine Minderheit, auch bei den 10.000 Menschen der Demonstration vom Mittwochabend. Hier engagieren sich Teile der Eliten. Die Frage lautet: Was hat diese passiven Eliten so gereizt, dass sie plötzlich demonstrieren und protestieren?

Sagen Sie es mir.

Heinzlmaier: Der Druck der Verhältnisse auf den Unis scheint so groß geworden zu sein, dass selbst die Anpassungsbereiten nicht mehr stillhalten können. Es ist eine fast schon körperliche Reaktion. Ein Kernpunkt der Forderungen lautet ja: Bildung statt Ausbildung. Ich interpretiere das so: Es ist den Leuten zwar klar, dass sie sich an den Bedürfnissen der Wirtschaft zu orientieren haben. Aber eben nicht ausschließlich. Sie wollen auch nach eigenen Interessen studieren. Bologna-Prozess, Punktesysteme, Vergleichbarkeit nichtvergleichbarer Studien - davon haben sie offenbar genug.

Aktuelles zu den Uniprotesten:

Politische Veränderungen haben historisch immer bei Minderheiten ihren Ausgang genommen ...

Heinzlmaier: Sie haben recht, das war auch 1968 nicht anders. Es gibt aber einen fundamentalen Unterschied zu heute: Damals waren die Studenten auch in ihrem alltäglichen Handeln viel rebellischer. Sie haben den Professoren in den Lehrveranstaltungen heftig widersprochen, sich die Haare lang wachsen lassen als äußeres Zeichen der Aufmüpfigkeit etc. Die Anpassungsbereitschaft ist heute sowohl diskursiv als auch lebensstilistisch viel größer. Das halte ich auch für den entscheidenden Punkt: Die aktuellen Proteste stammen von einer Jugend, die versucht hat, alles richtig zu machen, und dafür nicht belohnt wurde.

In einem Interview hat Ihre Kollegin Beate Großegger der Jugend von heute drei Eigenschaften attestiert: Sie sei sicherheits- und erlebnisorientiert und strebe in erster Linie nach Selbstverwirklichung. Hält das dem aktuellen Reality-Check stand?

Heinzlmaier: Ich denke schon. Bologna z. B. verspricht eine Ausbildung, die überall verwertet werden kann, dennoch finden viele keinen Job nach dem Studium. Die neuen Systeme bieten also keine Sicherheit. Zur Erlebnisorientierung: Ein Drittel der Studierenden lebt an der Armutsgrenze von 900 Euro im Monat. Dazu kommt ein immer verschulteres Studium mit Anwesenheitspflichten, das die Freiräume immer kleiner werden lasst.

Unter diesen Umständen lässt sich wenig erleben. Damit hängt auch die mangelnde Selbstverwirklichung zusammen. Das Bildungssystem wird immer uniformer. Früher gab es Fächerkombinationen, die man nach Lust und Laune selbst zusammenstellen konnte, heute gibt es vorgefertigte Module. Die Studien sind maximal entindividualisiert, das ist der Feind der Selbstverwirklichung.

Was halten Sie persönlich von den Uniprotesten?

Heinzlmaier: Mir gefallen sie. Ich habe mich schon gewundert, was noch alles geschehen muss, bis die Jugendlichen endlich ihre Contenance verlieren. Wobei ich nicht glaube, dass es sich dabei um eine politische Bewegung handelt, sondern eher um den spontanen, unorganisierten Aufschrei geknechteter Kreaturen.

Wie geht es weiter?

Heinzlmaier: Wenn die Studierenden alleine bleiben, wird ihnen irgendwann die Energie ausgehen. Entscheidend wird sein, wie sich andere gesellschaftlich relevante Gruppen verhalten - im näheren Sinn die Hochschullehrer, im weiteren etwa die Gewerkschaften und politischen Parteien.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at