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Ohr in Großaufnahme

Die Haut "hört" mit

Menschen "hören" nicht nur mit den Ohren. Experimente von US-Forschern zeigen, dass Luftströme auf der Haut zum Verständnis von Lauten beitragen.

Sprachverarbeitung 26.11.2009

Schrittweise Verarbeitung

Sprachverarbeitung ist eine komplexe Angelegenheit. Zuerst müssen die Zeichen oder Signale wahrgenommen werden, das heißt, gelesen oder gehört werden. In der Folge erschließt das Gehirn schrittweise die Bedeutung von Lauten, Wörtern, Sätzen und Texten.

Zu Beginn steht also bei der gesprochenen Sprache die akustische bzw. physikalische Verarbeitung der Laute. Die Hauptrolle dabei spielen naturgemäß die Ohren, genauer: der Hörsinn, der die Schallwellen in sinnvolle Zeichenfolgen wandelt.

Verschiedene Sinneskanäle

Das Verständnis kann aber auch durch nichtakustische Faktoren beeinträchtigt oder verbessert werden. Vermutlich kennt jeder das Phänomen, dass man einen Sprecher besser versteht, wenn man ihn auch sieht. Das kommt einem nicht nur subjektiv so vor; Studien konnten bereits zeigen, dass die Mimik akustisches Sprachverstehen tatsächlich vereinfachen kann.

Demnach kann es hilfreich sein, wenn das Gehirn einander ergänzende Informationen über mehrere Sinne erhält. Widersprüche hingegen erschweren das Verständnis.

Einfluss des Tastsinns

Ob auch taktile Wahrnehmungen bei dieser multimodalen Integration eine Rolle spielen, war bisher unklar. Laut dem Team rund um Bryan Gick von der University of British Columbia konnte man einen Einfluss lediglich unter sehr eingeschränkten Umständen zeigen, nämlich dann, wenn sich Sprecher dessen bewusst waren oder sie extra dafür trainiert wurden.

Die Studie in "Nature": "Aero-tactile integration in speech perception" von Bryan Gick und Donald Derrick

Für ihre aktuelle Studie haben die Forscher nun das Verständnis einzelner Konsonanten untersucht. Ausgewählt haben sie sehr eng verwandte Laute, etwa "p" und "b" und "t" und "d". Das stimmlose "p" und "t" ist besonders im Englischen im Gegensatz zu den stimmhaften Varianten stark behaucht. Sprecher produzieren dabei einen spürbaren Luftstoß.

Laut-Tast-Interaktion

Die Forscher zeichneten die Laute in verschiedenen Versionen auf. Diese wurden den Probanden in jeder Sitzung viermal vorgespielt, zweimal mit zusätzlichem taktilem Reiz, zweimal ohne.

Im ersten Experiment wurde für den taktilen Reiz der Luftstrom auf die Außenseite der Hände zwischen Daumen und Zeigefinger gelenkt, da diese Stelle sehr feinfühlig ist. Eine Studie an Makaken hatte gezeigt, dass ihre Berührung Neuronen für auditive Verarbeitung aktiviert. In einem zweiten Experiment wurden die Luftströme auf eine Stelle im Nacken gerichtet. So wollte man überprüfen, ob die Laut-Tast-Interaktion auch dann noch existiert, wenn die Berührungsreize nicht der Alltagserfahrung beim Sprechen entsprechen.

Beide Versuchsanordnungen, die mit verbundenden Augen durchgeführt worden waren, kamen laut den Forschern zu einem ähnlichen Ergebnis: Laute, die von simultanen Luftreizen auf der Haut begleitet wurden, hörten die Teilnehmer eher als behaucht, selbst dann, wenn ihnen ein nicht behauchter Laut vorgespielt worden war, so dass sie mitunter das "b" für ein "p" hielten.

Hörgeräte zum Anziehen?

Das deutet laut den Autoren darauf hin, dass Menschen sensorische Informationen in die akustische Wahrnehmung gewissermaßen integrieren, ganz ähnlich wie das bei optischen Reizen der Fall ist. Noch allgemeiner gefasst hieße das, dass sämtliche Sinnesreize bei der Verarbeitung verwendet werden, egal welcher Sinn bzw. welche Modalität tatsächlich im Vordergrund steht.

Auch Anwendungen halten die Forscher für denkbar: Die Ergebnisse legen nahe, dass sich passive Wahrnehmung verbessern lässt. Das eröffne Möglichkeiten für Hörmedien, aber auch für die Entwicklung neuartiger Hörgeräte.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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