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Ein Mann zählt Geld

Zur Theorie und Praxis der Buchhalteruniversität

"Exzellenz, Internationalisierung und Effizienz" heißen Schlagworte der Hochschuldebatte. Für den Physiker Karl Svozil versteckt sich dahinter ein Angriff auf die Freiheit und Unabhängigkeit von Forschung und Lehre. Neu sei dabei lediglich, dass dieser Angriff mit den Methoden der Buchhaltung und der Planwirtschaft erfolgt.

Uniproteste 30.11.2009

Zunehmend diene nicht mehr die Verwaltung den Wissenschaftlern, sondern die Wissenschaft der Buchhaltung, schreibt Svozil in einem Gastbeitrag.

Alexej Grigorjewitsch Stachanow lässt grüßen!

Porträtfoto Karl Svozil

Christian Schreibmueller

Karl Svozil ist Ao.Univ.Prof. am Institut für Theoretische Physik der Technischen
Universität Wien (Foto: Christian Schrebmüller).

Von Karl Svozil

Die Universitäten werden mit Zuckerbrot und Peitsche, mit ihrer, wie es im Englischen so schön heißt, "accountability" konfrontiert. Und um "accountable" zu werden und die benötigten Gelder zu erhalten, transformieren sich die Universitäten zu "accountants". Damit gebiert der Rechtfertigungszwang allerorten Buchhalteruniversitäten.

Wie konnte es dazu kommen? Die Universitäten waren schon immer äußeren Einflüssen ausgesetzt. Warum sie aber gerade heute von Buchhaltern und "Erbsenzählern" heimgesucht werden, ist leicht zu verstehen.

Anders als die vormaligen absolutistischen Herrscher benötigen die Entscheidungsträger unserer Tage für jede ihrer Aktionen eine Rechtfertigung. Und in unseren laizistischen, republikanischen und demokratischen Staatsformen muss jede Rechtfertigung von staatlichen Geldflüssen durch politisch vermittelbare Ziel- und Wertvorstellungen erfolgen. Deshalb kann die Existenz von Universitäten nicht mehr absolut, gewissermaßen von "Gottes Gnaden", begründet werden.

Wie maximiert man Nutzen?

Und was bringen uns die Universitäten denn "Schönes"? Was ist ihr "return of investment"; was schaut dabei heraus? Und wie kann man das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen maximieren? Bildung gerät hier in Relation oder gar Konkurrenz zu Fitnesszentren, Unterhaltungsetablissements und anderen Bedürfnisbefriedigungsanstalten.

Was könnte man auch gegen "public accountability" sagen? Sämtliche Bedenken, die gelegentlich zaghaft aufkommen, werden weggewischt: mit "Privilegienklüngel" und der Unterstellung, man "hätte es offensichtlich aus schlechter Leistung nötig, sich nicht den Index-Rankings zu stellen und wolle nur die vormaligen Freiheiten ausnutzen".

Wissen und Information, so wird an vielen Wirtschaftsuniversitäten gelehrt, kann nur dann als solches gelten, wenn man damit Gewinne erzielt. In einem solchen Klima des unwilligen Widerstandes, ja der Ignoranz, ist es für die Universitäten schwer, zu gesellschaftlichen Ressourcen zu gelangen.

Bürokratisch-buchhalterische Verelendung

Schon die Humboldt'sche Universitätsreform zielte auf die Unabhängigkeit von politischen, klerikalen und wirtschaftlichen Einflüssen. Die universitäre Lehre sollte in der Forschung begründet sein; gewissermaßen dem alten Zunftwesen der Handwerker abgeschaut: vom Lehrling zum Gesellen zum Meister-"training on the job".

Wissenschaftler sollten bestrebt sein, in Einsamkeit und Freiheit zu leben: in Einsamkeit mit dem wissenschaftlichen Werk und ausschließlich demselben verpflichtet; und in Freiheit und geistiger Unabhängigkeit. Hier meldeten sich die Aufklärung und die naturwissenschaftlich-technischen Eliten zu Wort, nicht die Verwaltung.

Vieles von dem, was dereinst selbstverständlich war, wie etwa die Muße der selbst bestimmten Forschung und Lehre ohne ständiger erbsenzählerischer Leistungsnachweise, "Drittmitteleintreibung" und "Lehrevaluation", gibt es heute nicht mehr. Von früh bis spät, vom Studenten bis zum Professor, befinden sich alle Beteiligten in den verschiedensten Tretmühlen und "rat races". Eine "bürokratisch-buchhalterische Verelendung" der Universitätsangehörigen hat eingesetzt.

Sowjetische Perfomancemessungen

Beinahe absurd erscheint es heutigen Studenten, wenn man ihnen von den Studienplänen der alten Universitäten erzählt, welche vor der Verteidigung der Dissertation und den Rigorosen keine einzige Prüfung verpflichtend vorsah. Das sind bereits ferne, vergessene Klänge.

International hat sich, verwandt mit den Perfomancemessungen von Fließbandarbeit durch Frederick Winslow Taylor, und besonders mit sowjetisch-bolschewikischen szientometrisch-bibliometrischen Methoden der quantitativen Wissenschaftsforschung, ein Managementstil an den Universitäten eingebürgert, welcher detailliert beispielsweise in dem kanadischen Buch "Counting out the Scholars" von Bruneau und Savage beschrieben wird. Darin heißt es unter Anderem: "Performance Indicators were never about quality. They were and are about cuts and control."

Billiger Impact Factor

Eugene Garfield, der Begründer des populären "Impact Factor" von Thomson ISI, einem börsennotierten Unternehmen (NYSE: TOC; TSX: TOC) diskutierte beispielsweise einmal in Wien die verschiedensten Unzulänglichkeiten dieser szientometrischen Erbsenzählereien. Er gab jedoch zu bedenken, dass andere gültige Kriterien viel teuer wären; sodass der Impact Factor und verwandte Performanceindikatoren eine "billige Möglichkeit" darstellten, Entscheidungen zu begründen.

Interessanterweise erwähnte Garfield dabei mehrmals seine, wie er sagte, "sowjetischen Freunde" in der Szientometrie. Dies wirft ein Streiflicht auf die leider nur wenig erforschten Zusammenhänge mit kommunistischen Planungsmethoden und den heutigen erbsenzählenden Buchhaltern.

Auch andere sowjetische planwirtschaftliche Methoden sind bei den Forschungsbürokratien allerorten beliebt: "Rahmenprogramme" und "Leistungsvereinbarungen" gehen Politikern jeglichen Couleurs gerne und geflissentlich von den Lippen. Alexej Grigorjewitsch Stachanow lässt grüßen!

Aber genau so, wie sich später heraus stellte, dass der von den Sowjets so verehrte Stachanow ein konstruiertes Hirngespinst war, könnte sich die Buchhalteruniversität letztlich als Potemkinsches Dorf erweisen.

Zurück zur "Open source education"

Welche Lösungsmöglichkeiten bieten sich an? Hier wäre wohl ein Rückgriff auf die Ursprünge europäischer Universitäten, verbunden mit Humboldt'schen Forschungsidealen, angebracht: totale, radikale Entrümpelung der Studienpläne auf Zustände, wie sie etwa noch vor dreißig Jahren herrschten; totale Abkehr von Vorgaben eines Lehrkanons. Dies schafft automatisch eine weitreichende Interoperabilität der Bildungsinstitutionen; aber nicht unter dem starren von Buchhaltern gelenkten "Bologna-Prozess", sondern geleitet von geistiger Freiheit und Selbstbestimmtheit des Individuums.

Das wäre natürlich der "horror vacui", vor dem sich alle Buchhalter zu fürchten scheinen. Auch Studierende müssten sich daran gewöhnen, nicht "durchs verschulte Studium getragen" zu werden und ständig "vorgekaute" Lerninhalte präsentiert zu bekommen.

"Open source education" war zu Zeiten der der alten, Humboldt'schen Universitäten eine Selbstverständlichkeit. Immerhin hat diese Deregulierung aber österreichische Forscher wie Boltzmann, Schrödinger, Pauli, Gödel oder Zeilinger hervor gebracht. Ich meine: wir brauchen uns davor nicht zu fürchten!

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