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Bauer auf einem Stück kargen Land

"Schere zwischen Arm und Reich schließen"

Eine Milliarde Menschen weltweit hungern. Alle sechs Sekunden stirbt ein Kind an Hunger oder dessen Folgen. Gleichzeitig zerstört intensive Landwirtschaft Böden und Natur, in Industriestaaten landen Lebensmittel nach der Überproduktion am Müll. Für einen Ausweg braucht es viele Ansätze.

Nahrungsmittel 02.12.2009

"Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren?", ist der Titel eines Buches des deutschen Biologen Klaus Hahlbrock. Im Interview erklärt er, wie mehr Nahrungsmittel produziert werden könnten, dass wir auf Massentierhaltung verzichten sollten, und dass kein Weg daran vorbei führt, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen, wenn alle satt werden sollen.

Was sind derzeit die wichtigsten Ursachen, warum immer noch Menschen hungern?

Porträt Klaus Hahlbrock

Forum für Verantwortung

Klaus Hahlbrock ist Professor für Biochemie und ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln.

Klaus Hahlbrock: Die Menschheit wächst, und zwar ausgerechnet da, wo in Entwicklungsländern die Ärmsten ohnehin schon hungern. Das scheint paradox, hat aber damit zu tun, dass in diesen Ländern weder Sozialversicherung noch vernünftige medizinische Versorgung vorhanden sind. Das Einzige, was die armen Kleinbauern haben, sind Kinder als Arbeitshilfe und als Hilfe bei Krankheit und im Alter.

Dazu kommt, dass der Raum auf dieser Erde begrenzt ist und wir die Grenzen der Nutzungsmöglichkeiten inzwischen eher überschritten als erreicht haben. In einigen Regionen ist die landwirtschaftliche Produktivität bereits rückläufig.

Was sind die Ursachen dafür?

Durch Übernutzung insbesondere in afrikanischen und asiatischen Regionen haben wir mit Wassermangel und fortschreitender Wüstenbildung zu kämpfen. Wir haben durch jahrhunderte- oder jahrtausendelange Nutzung die Böden durch künstliche Bewässerung versalzt, sodass hier der Nahrungsmittelanbau schwieriger und in einigen Gebieten gar nicht mehr möglich ist. Mit Düngung und Pflanzenschutz wird versucht, so viel herauszuholen, dass das Ganze ökologisch immer bedenklicher wird.

Es heißt immer wieder, es gäbe eigentlich genug Nahrung für alle.

Cover des Buches "Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren?"

Fischer Verlag

Klaus Hahlbrocks Buch "Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren? Bevölkerungsexplosion – Umwelt – Gentechnik" ist Teil einer Buchreihe zu Nachhaltigkeitsthemen.

Am Donnerstag dieser Woche referiert Hahlbrock bei der Vortragsreihe "Mut zur Nachhaltigkeit", bei der einige Autoren der Buchreihe sprechen.

Die Veranstaltung wird vom Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Zusammenarbeit mit der Initiative Risiko:dialog von Umweltbundesamt und Ö1 sowie der Stiftung Forum für Verantwortung organisiert.

Begleitend werden in science.ORF.at Interviews mit den Vortragenden erscheinen.

Ein zweiter Grund für den Hunger in der Welt sind die außerordentlich ungleichen Verteilungsmechanismen. Die Weltwirtschaft wird von den Industrieländern dominiert, und die Entwicklungsländer haben es unter diesen Bedingungen sehr schwer, aus ihrer Armut und rückständigen Entwicklung herauszukommen.

Wenn man alle vorhandene Nahrung fair verteilte, vor allem aber auch den Entwicklungsländern faire Bedingungen überließe, um ihren eigenen Nahrungsanbau zu betreiben und ihnen möglichst auch noch dabei hülfe, ihre Anbaubedingungen zu verbessern, dann müsste heute keiner hungern.

Ist es also eher ein Problem der Produktion oder eines der Verteilung?

Verteilung allein würde das Ganze nicht retten, sondern eher verstärken. Wenn diejenigen, die jetzt schon von unseren Wirtschaftsbedingungen abhängig sind, noch stärker von unserer Nahrungsmittelproduktion abhängig werden, würde das Problem zumindest sozial noch viel dramatischer werden. Die Produktion ist eine Frage der Produktion vor Ort. Man sollte Nahrung soweit wie möglich dort produzieren, wo sie gebraucht wird. Es gab zwar immer exportierende und importierende Länder, aber wir sollten das nicht auch noch befördern.

Die Ärmsten haben oft schlicht nicht das Geld, um vorhandene Nahrungsmittel zu kaufen. Und nicht die notwendige Infrastruktur – einschließlich Zugang zu Kleinkrediten – oder die nötige Ausbildung, sich selbst mit Nahrung zu versorgen. Es ist es in verschiedensten Regionen – insbesondere in den afrikanischen Entwicklungsländern – durchaus möglich, durch gezielte und nachhaltig wirksame Entwicklungshilfe die Infrastruktur so zu verbessern, dass die Menschen Verkehrswege haben, um Kleinhandel treiben zu können und überhaupt wirtschaftlich soweit auf die Beine zu kommen, dass sie sich, soweit wie möglich selbst versorgen.

Die UNO schätzt, dass es in einigen Jahrzehnten neun oder zehn Milliarden Menschen auf der Erde geben wird. Wie ließen diese sich ernähren?

Ich habe Bedenken, ob diese Prognosen stimmen, weil sie nur auf der Fortschreibung bestehender Trends beruhen. Aber alle zu ernähren wäre nur dann möglich, wenn wir erstens die ständig sich öffnende Schere zwischen Armut und Reichtum schließen oder zumindest die Differenz stark reduzieren, und wenn wir zweitens verstehen würden, welchen unglaublichen Futter- und Wasserverbrauch unsere Massentierhaltung bedeutet. Wir haben ein Mehrfaches der Zahl der Menschen an Tieren für unsere Fleischversorgung auf Erden.

Die Tiere setzen hochwertige Nahrungsmittel wie Mais, Weizen und Soja um, die die Menschen direkt genießen könnten. Dabei liegt der für uns verbleibende Nahrungsanteil nur noch zwischen zehn und 30 Prozent. Wenn wir die Fleischmenge auf die immer noch reichlich verbleibende Menge aus Weidewirtschaft reduzieren würden, müssten wir nicht auf Fleisch, Milch und Eier verzichten. Es wäre nur nicht mehr der Massenkonsum, der natürlich auch zu nie gekannten Billigprodukten geführt hat.

Fleisch wäre also teurer und man müsste weniger davon Essen?

So ist es, aber das wäre für viele der jetzigen Fleischabnehmer eher gesund als ungesund. Zudem braucht diese Fleischproduktion in Massentierhaltung einen unglaublichen Umsatz an Antibiotika und anderen Mitteln.

Wir sprechen locker über Vogel- und Schweinegrippe und haben gar nicht verstanden, dass das genetisch verhältnismäßig einheitliche Kulturen von Tieren sind, in denen sich neue Seuchen entwickeln und in Windeseile ausbreiten können. Wenn wir Pech haben, sind das eben nicht nur für Tiere, sondern auch für Menschen gefährliche Seuchen.

Wäre ökologische Landwirtschaft ein Zukunftsweg?

Der ideale Weg wäre, wir könnten weltweit eine rein ökologische Landwirtschaft betreiben. Das würde aber bedeuten, dass die hohen Ernteerträge, die wir jetzt mit unseren Hochleistungssorten bei den Hauptnahrungsmitteln Weizen, Reis, Mais und Soja erzielen, nicht möglich wären und wir die jetzige Zahl an Menschen gar nicht mehr ernähren könnten. Aber das soll nicht heißen, dass man nicht überall, wo es möglich ist, auf ökologisch verträglichere Bedingungen anstelle der klimatisch und ökologisch schädlichen Massenproduktion und -ausbringung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln umsteigen soll.

Das bedeutet auch, dass wir von der Nutzung weniger Hochleistungssorten, das heißt einer erheblichen Sortenverarmung, wegkommen müssen hin zu einem größeren Reichtum an unterschiedlichen Sorten, die man zumindest teilweise auch im Mischanbau ökologisch wesentlich verträglicher anbauen könnte als in Monokulturen.

In Europa kämpft die Landwirtschaft mit Überproduktion und Subventionen. Wie hängt das mit den angesprochenen Problemen zusammen?

Das behindert den Welthandel der Entwicklungsländer. Wir machen uns nicht klar, wie sehr das langfristig auch zu unserem Schaden sein wird. Es käme uns und dem Rest der Welt zugute, einen fairen Handel mit weniger Subvention und mehr ökologisch rücksichtsvollem Landbau zu betreiben.

Zudem glauben wir, wir könnten Biosprit auf Agrarflächen in einer Menge erzeugen, die uns weniger abhängig vom Öl macht. Das belastet besonders die tropischen Regenwälder und ist einer der vielen dramatischen Fehlschlüsse bezüglich der langfristigen Ernährung der Menschheit.

Wie wird sich der Klimawandel auf die Nahrungssicherheit auswirken? Einmal ist von Unwetter und Dürre die Rede, dann wieder von neuen Anbaugebieten und besserem Pflanzenwachstum.

Natürlich gibt es Pflanzen, die bei erhöhter CO2-Konzentration besser wachsen. Aber dafür brauchen sie auch alles andere besser: Nährstoffe, Wasser und entsprechende Pflege. Die Voraussage, wie es sich in welchen Regionen der Welt ändert, ist schwierig. Wie die Bilanz insgesamt aussehen wird, ist offen. Wenn es zum Schaden von Regionen ausgeht, die jetzt schon mangelhaft versorgt sind, wird das Problem der Verteilung und sozialen Gerechtigkeit noch viel größer.

Wie sehen Sie die Rolle der Gentechnik?

Knapp zehn Prozent des Pflanzenbaus weltweit wird derzeit mit gentechnisch veränderten Pflanzen betrieben, weitestgehend außerhalb Europas und zunehmend in Entwicklungsländern. Gentechnik wird weder das Allheimmittel sein, noch kann sie die klassische Pflanzenzüchtung ersetzen. Ich sehe Gentechnik wie jede Züchtung zwar auch mit ökologisch bedenklichen Entwicklungen verbunden. Manche wichtigen Züchtungsziele, einschließlich ökologischer Verbesserungen, sind aber nur mit gentechnischen Mitteln erreichbar.

Ich sehe sie als eine Möglichkeit, Ziele zu erreichen, die wir dringend erreichen müssen. Dazu gehört die Resistenz gegen Krankheiterreger und Insekten und auch die qualitative Verbesserung von Nahrungsmitteln. Reis wird von vielen als einziges Nahrungsmittel gegessen und man hat begonnen, Reis mit gentechnischen Mitteln zu verbessern, um den Vitamin-A-Bedarf der Betroffenen zu decken. Wir haben eine strenge Sortenprüfung. Sie sollte grundsätzlich die Qualität und Unbedenklichkeit der Sorten prüfen, aber nicht den Weg, wie man dazu kommt.

Ist Gentechnik notwendig, um zehn Milliarden zu ernähren?

Bereits die jetzige Menschheit bei zurückgehender landwirtschaftlicher Produktivität zu ernähren, wird intensiver Züchtung bedürfen. Es ist schwer vorstellbar, wie man aus den bereits hochproduktiven Pflanzen mit bisherigen Mitteln wesentlich höhere Ernteerträge herausholen kann. Einige der wichtigsten Züchtungsziele dürften ohne gentechnische Ergänzung kaum erreichbar sein.

Verbesserte Pflanzenzüchtung, soweit möglich und sinnvoll unter Einschluss von Gentechnik, ist eine wichtige Maßnahme, aber eben nur eine unter vielen. Wenn wir es nicht gleichzeitig schaffen, die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich in den Griff zu bekommen und unsere Welthandelsbedingungen auf Fairness statt auf Ausbeutung abzustimmen, dann nützt auch die Züchtung nichts.

Mark Hammer, science.ORF.at

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