Das Rätsel der romantischen Liebe und ihrer Anbahnung klären Biologen, Psychologen und Soziologen zwar auch nicht restlos. Einige Hinweise darauf, wie wir unsere Partner wählen, geben sie aber dennoch. So unterschiedlich die Antworten ausfallen, der Schluss ist überall der gleiche: Unsere Partnerwahl, die wir oft als anschaulichsten Ausdruck unserer Individualität betrachten, läuft in Wirklichkeit hinter unserem Rücken ab.
Radio-Hinweis
Die Partnerwahl aus wissenschaftlicher Sicht steht auch im Mittelpunkt der Ö1 Dimensionen-Sendung "Wer passt zu mir? Die Geheimnisse der Partnerwahl" am Montag, 21. Dezember, 19.05 Uhr, Radio Österreich1.
Wir können es uns gar nicht aussuchen, mit wem wir zusammen sind, meint die Psychologin und Paartherapeutin Renate Hutterer-Krisch: "Wenn ihnen Menschen vorgestellt werden, spüren Sie genau, ob Sie sich stark angezogen fühlen oder nicht. Das ist ziemlich unabhängig davon, was Sie sich denken oder wollen, wir haben da nicht so viel Wahlmöglichkeit."
Nach zehn Versuchen ist es vorbei
Das heißt aber nicht, dass man nicht Gesetzmäßigkeiten unserer Partnerwahl entdecken kann. Der Verhaltensforscher Karl Grammer von der Universität Wien etwa hält sich gerne "hinter unserem Rücken" auf.
In einer bisher noch unveröffentlichten Studie hat er knapp 200.000 Erst-Rendezvous zwischen Frauen und Männern analysiert, die sich durch Videos einer deutschen Dating-Agentur kennengelernt hatten. Der Studie zufolge gibt es eine zeitliche Grenze für unsere Bemühungen: Denn nach zehn Partnern kommt nichts Besseres nach.
"Sie können nicht für immer suchen. Die Wahrscheinlichkeit, nach zehn Partnern noch jemanden zu finden, ist gleich Null. Das zweite Problem ist: Nach zehn Partnern war der qualitativ Beste bereits dabei", so Grammer.
Genetischer Kontrast und persönliche Homogamie
Bildungshomogamie in Österreich
Für die Sozialwissenschaften ist es der sozioökonomische Hintergrund, der entscheidet, wen wir kennen und lieben lernen. Messen kann man das z.B. anhand des Bildungsniveaus. Die "Bildungshomogamie" ist in Österreich besonders ausgeprägt: So leben laut einer jüngst erschienenen Studie über 60 Prozent aller Akademikerinnen mit einem Akademiker zusammen. Bei Frauen mit einem Lehrabschluss ist dieser Homogamie-Quotient mit 71,5 Prozent noch höher. Es gibt regelrechte Paarbildungsbünde: auf der einen Seite männliche und weibliche Akademiker und Maturanten, auf der anderen Seite Pflichtschul- und Lehrabsolventen.
Die Frage ist nur: Was heißt hier besser oder schlechter? Aus Sicht der Biologie liegt die Qualität eines Partners in der Aussicht auf reproduktiven Erfolg. Gemeinsame Kinder sollen erstens mit guten Erbanlagen ausgestattet sein und zweitens in einer stabilen Partnerschaft gemeinsam aufgezogen werden. Genetischer Kontrast zwischen Männern und Frauen ist dabei von Vorteil, weil er das Immunsystem potenzieller Kinder stärkt.
Bei der Partnerwahl zählt für die Biologie aber nicht nur das Prinzip des Unterschieds. Bei Eigenschaften und Verhaltensweisen bevorzugen wir Ähnlichkeit, betont Karl Grammer:
"Es gibt laut Studien keine einzige Gegensätzlichkeit, die sich anzieht. Das macht auch Sinn im Bereich des täglichen Lebens: Je ähnlicher jemand ihnen ist, umso weniger Konflikte gibt es. Gegensätze tun sich wunderbar darin, sich jeden Tag zu streiten. Ob das Ei jetzt von der Spitze aufgemacht wird oder von der runden Seite: Die, die beide die Spitze wählen, haben keinen Konflikt."
Narzisstische und komplementäre Objektwahl
Gilt wirklich nur das Prinzip "Gleich und gleich gesellt sich gern"? Schon der Volksmund kennt auch das Gegenteil, wenn er von den Gegensätzen spricht, die sich anziehen. Und auch die Psychologie kennt beide Phänomene. Sigmund Freud hat zwei Typen der Partnerwahl unterschieden, die sich in der frühesten Kindheit herauskristallisieren.
Variante Eins benannte er nach Narziss, dem Jüngling aus der griechischen Mythologie, der sich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser verliebte. Die narzisstische Objektwahl, wie es Freud nannte, richtet sich nach Ähnlichkeit. Der Narziss sucht nach einer Partnerin oder einem Partner, der ähnlich ist.
Im Gegensatz dazu steht die Partnerwahl nach dem Typus der Anlehnung. Dabei stehen die ersten Bezugspersonen des Säuglings im Mittelpunkt: Menschen, die mit der Ernährung, Pflege und dem Schutz des Kindes zu tun haben. Zu den ersten Sexualobjekten zählen deshalb die Mutter oder ihr Ersatz.
Die Partnerwahl kann also nach beiden Prinzipien erfolgen. Die Psychoanalytikerin Patrizia Giampieri-Deutsch: "Man ging in der Psychoanalyse später davon aus, dass bei jeder Partnerwahl beide Komponenten eine Rolle spielen. Zuerst sucht man sich ein Stück selbst in dem Anderen - unsere Gegenwart, aber auch unsere Vergangenheit oder wie wir sein möchten -, wenn daraus aber eine längerfristige Partnerschaft wird, geht es eher um Komplementarität."
Enteignete Selbstanteile im Anderen wiederfinden
Kommerzielles Verkuppeln
Ähnlichkeit und Gegensätzlichkeit sind zentrale Elemente unserer Partnerwahl. Das versuchen auch kommerzielle Partnerschaftsvermittler zu berücksichtigen. So muss man etwa bei der Partneragentur Parship 80 Fragen über Vorlieben und Abneigungen beantworten. Daraus wird ein Persönlichkeitsprofil erstellt, das mit den Profilen anderer Mitglieder verglichen wird. Herauskommt ein Verkuppelungsfaktor, der persönliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede mischt.
Mit derartigen Partnerschaften hat Renate Hutterer-Krisch tagtäglich zu tun. Seit rund 15 Jahren arbeitet die klinische Psychologin als Paartherapeutin in Wien und Niederösterreich. Die Frage, ob Ähnlichkeiten oder Unterschiede in einer Partnerschaft besser sind, begegnet ihr nahezu täglich.
Den Streit um das Gemeinsame nennt sie einen "Machtkampf" - und sein Ausgang ist nicht so eindeutig: "Der Laie meint, wenn zwei einen starken Machtkampf haben - wenn der eine z.B. sehr extrovertiert und der andere sehr introvertiert ist -, dass sie nicht zusammenpassen. Aus psychotherapeutischer Sicht passen sie aber sehr gut zusammen, selbst wenn sie darunter leiden und ihr Machtkampfthema noch nicht gelöst haben. Weil jeder die Seite, die er nicht lebt, jeden Tag im Gesicht des anderen sieht."
Der Partner lebt enteignete Teile des eigenen Selbst, wie Hutterer-Krisch es nennt. Diese enteigneten Teile sind im Lauf der Entwicklung verloren gegangen. Wenn man sie nun beim anderen in der Partnerschaft wiederfindet, kann man sich daran im besten Fall ein Beispiel nehmen und diese Eigenschaften auch für sich wieder neu entdecken.
Beziehungsmuster der Eltern nachspielen
Aber auch für die Psychologin zählen nicht nur die Unterschiede in einer Partnerschaft, sondern auch die Ähnlichkeiten. Und zwar jene, die das Beziehungsverhalten unserer Eltern betrifft. Wir finden uns, so sagt Renate Hutterer-Krisch, hauptsächlich Partner, mit denen wir Aspekte des Elternverhaltens in der Partnerschaft gewissermaßen nachspielen.
Bei der unbewussten Partnerwahl spielen diese introjizierten Paarbeziehungsmuster eine wichtige Rolle - entweder indem wir Menschen suchen, die unseren Erfahrung aus der Kindheit entsprechen oder das Gegenteil.
Altersunterschiede und Ehedauer
Im Schnitt sind Männer in Österreich in einer Beziehung knapp drei Jahre älter als Frauen. Das hat sich laut Statistik Austria in den vergangenen 60 Jahren nicht geändert. Das mittlere Erstheiratsalter beträgt heute bei Männern 31,7 Jahre und bei Frauen 28,9. Die Scheidungsrate lag in Österreich im Vorjahr bei knapp 50 Prozent. Die mittlere Dauer der geschiedenen Ehen bei 9,6 Jahren. 6,3 Prozent ließen sich 2008 innerhalb der erst zwei Jahre wieder scheiden.
Psychologie blickt zurück, Biologie nach vorne
Während Psychologie und Psychoanalyse unsere Partnerwahl der Gegenwart mit Erlebnissen aus der Vergangenheit erklären, blickt die Biologie eher in Richtung Zukunft: auf gemeinsame Kinder. Frauen müssen dabei mehr Energie investieren als Männer. Sie sind neun Monate lang schwanger, Männer können in dieser Zeit eine Vielzahl von Kindern zeugen. Biologen nennen dies: asymmetrisches Investment in die Nachkommen. Und das führt bei Männern und Frauen zu unterschiedlichen Strategien bei der Partnerwahl.
Im Großen und Ganzen sind sich Männer und Frauen dabei gar nicht so unähnlich. Beiden ist es laut Studien am wichtigsten, dass ihr Partner nett, verständnisvoll und sozial verträglich ist. Zwei große Unterschiede bestehen aber: Männer schauen viel stärker auf die Schönheit von Frauen, Frauen viel stärker auf den Sozialstatus der Männer.
Die Ursachen dafür liegen für Karl Grammer in der Biologie. Frauen suchen die besten Bedingungen für das Aufziehen der Kinder und bevorzugen deshalb sozial gutgestellte Männer. Sie achten bei ihnen eher auf Eigenschaften wie Karriereorientierung, Ambition und Fleiß. Männer schauen bei Frauen hingegen eher auf die Attraktivität, auf ihre glatte Haut, ihre glänzende Haare und ihre weißen Zähne. Weil das Reproduktionspotenzial bei Frauen nicht direkt sichtbar ist, geben diese äußeren Zeichen einen Hinweis auf ihre Gesundheit. Und das gilt nicht nur für unseren Kulturkreis, betont Grammer.
Sichere und unsichere Bindungen
Ein Ziel der Partnerwahl ist auch aus Sicht der Biologie Stabilität. Wie stabile Bindungen zustande kommen und funktionieren, hat der britische Psychologe John Bowlby untersucht. Bereits in den 1950er Jahren hat er bemerkt, wie sich sichere oder unsichere Bindungen der Eltern auf die Entwicklung der Kinder auswirken. Eine frühe Trennung wird von ihnen oft wiederholt. Soziologen sprechen von einer "Vererbung des Scheidungsrisikos", Biologen haben gezeigt, dass die Art der Bindung in der Kindheit auch das Paarverhalten von Erwachsenen bestimmt.
Tierversuche haben bewiesen, dass sich sichere oder unsichere Bindungen nicht nur mental auswirken, sondern im Gehirn direkt messbar sind. Der Umgang mit Gefühlen, Stress oder Angst erwachsener Tiere hängt wesentlich davon ab, wie die Bindung zur Mutter gewesen ist. Diese Modelle lassen sich auch auf den Menschen übertragen, meint Patrizia Giampieri-Deutsch: "Das sind Modelle, die das ganze Leben weiterfunktionieren. Es geht um eine psychophysische Regulierung, und deshalb spielt die Frage, ob jemand sicher oder unsicher gebunden ist, eine sehr große Rolle. Das ist nichts, was man so schnell ablegen kann."
Sie wäre aber keine Psychoanalytikerin, wenn sie nicht auch an die Veränderungsfähigkeit des Menschen glauben würde. Vergangenheit ist für sie immer eine Vergangenheit in vivo, also eine lebendige. Die Beziehung zur eigenen Geschichte lässt sich verändern, und damit auch das Verhalten in neuen Partnerschaften.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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