Universeller Glaube
Die Studie im "Trends in Cognitive Sciences": "The origin of religion: evolved adaptation or by-product?" (sobald online) von Ilkka Pyysiainen und Marc Hauser
Kaum eine Kultur kommt ohne irgendeine Vorstellung von Transzendenz aus. Weltweit glauben Menschen an Götter, Heilige und an ein Leben nach dem Tod. Warum und wie Religionen allerdings entstanden sind, ist bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Debatten.
Glaubensgemeinschaften regeln gewissermaßen das Zusammenleben größerer Gruppen. Vieles spricht daher dafür, dass sich Religion genau deshalb entwickelt hat. Auch nicht miteinander verwandte Menschen werden dadurch zu sozialem und kooperativem Verhalten gezwungen. Religion hat so gesehen einen Nutzen: Man ist bereit, Opfer für die Gemeinschaft zu bringen, religiöse Vorschriften bewahren uns vor Untaten und das Leben erhält einen Sinn, meinen zumindest manche Evolutionswissenschaftler.
Andere hingegen sind der Ansicht, Religion sei eher zufällig entstanden - als Nebenprodukt bestimmter kognitiver Fähigkeiten, die sich schon vorher für andere Zwecke entwickelt hätten.
Große Opfer binden
Für ihre aktuelle Arbeit - ein Review einschlägiger Studien - verglichen Ilkka Pyysianenen vom Helsinki Collegium of Advanced Studies und Marc Hauser von der Harvard University die beiden Standpunkte.
Einige der von ihnen begutachteten Artikel sprechen für die erste Sicht: So seien etwa Opfer, die Mitglieder von Religionsgemeinschaften bringen müssen, besonders kostenintensiv und reichen von monetären Abgaben bis zur Selbstgeißelung. Dafür seien sie aber auch besonders verbindend, wie ein Vergleich mit säkularen Gruppen ergab.
Unsichtbare Überwachung
Eine andere Arbeit beschreibt, wie die furchteinflößende Wirkung Gottes das Sozialverhalten der Gläubigen beeinflusst. Immerhin ermöglicht ihm seine Allmächtigkeit alles und jeden zu sehen. Der Mensch muss also permanent Rechenschaft über seine Taten ablegen, selbst wenn er scheinbar unbeobachtet ist.
Diese unsichtbare Überwachung stärke die Kooperation in Gruppen auf eine Weise, die weit über reine Gegenseitigkeit und persönlichen Ruf hinausgeht. Besonders in großen, weit verstreuten Gruppen, muss dieses "Instrument" ein echter Vorteil gewesen sein - also ein weiteres Argument für die "Religion als Adaption"-These.
Was heißt schon religiös?
Die Anhänger der "Nebenprodukt"-Theorie versuchen hingegen, mit ihrem Ansatz manche theoretischen Schwächen zu umgehen. Denn schon allein den Begriff "Religion" zu fassen sei schwierig - mit anderen Worten: Was heißt schon religiös? Er sei so vage, dass es höchst unwahrscheinlich erscheint, dass dieses Ganze zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden ist.
Viel wahrscheinlicher ist es demnach, dass wir bereits vor dem Auftauchen von Religionen bestimmte geistige Fähigkeiten besessen haben, wie etwa jene, sich in andere hineinzuversetzen oder auch die, körperlosen Wesen einen Willen zuzubilligen.
Zudem verfüge der Mensch auch über soziale Kompetenzen, die gar nicht religiös motiviert sind. Das zeigen auch Studien an Kleinkindern, die noch keinerlei konfessionsmäßigen Unterricht erhalten haben.
Ohne Religion keine Moral?
Pyysiainen und Hauser fügen nun der zweiten Hypothese ein weiteres Argument hinzu, das besagt, dass unser moralisches Empfinden weitgehend intuitiv sei, unabhängig von Religionen oder anderen kulturellen Normen. Das hätte auch ein Moralempfindungstest der Harvard University ergeben ("The Moral Sense Test" zum Selbermachen).
Der Test beinhaltet sogenannte moralische Dilemmata - also Aufgaben, bei welchen man sich wie bei einer Gewissensprüfung entscheiden muss, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten würde. Leider gibt es in diesen Szenarien nie die moralisch einwandfreie Lösung, irgendwer nimmt immer Schaden, man kann sich nur für das geringere Übel entscheiden.
Der Test, der mittlerweile von tausenden Teilnehmern mit unterschiedlichen Hintergründen durchgeführt wurde, zeigte laut den Studienautoren, dass sich die moralischen Entscheidungen von Atheisten in der Regel nicht von jenen religiöser Menschen unterscheiden.
Henne oder Ei?
Für die Forscher ein Zeichen dafür, dass moralische Intuition - also die Einschätzung von Gut oder Böse - von Religion unabhängig ist.
"Dies stützt die These, dass Religion nicht als biologische Adaption für Kooperation entstanden ist, sondern als Nebenprodukt anderer kognitiver Fähigkeiten, wie dem moralischen Empfinden", so Pyysiainen. Die Religion könne kooperatives Gruppenverhalten allerdings durchaus verstärken und hätte sich vielleicht gerade deshalb durchgesetzt.
Ob diese Erkenntnis, die "Henne oder Ei?"-Frage allerdings endgültig beantwortet, bleibt abzuwarten.
Eva Obermüller, science.ORF.at