Neuronales Stopp
Viele Geräusche treten erst durch ihre Abwesenheit ins Bewusstsein. Wenn das Surren der Geschirrspüle abbricht oder der Nachbar die sonntägliche Rasenpflege für beendet erklärt, stellt sich Erleichterung ein. Auch dann, wenn die monotonen Geräusche vom Gehirn längst ins Ablagefach mit der Aufschrift "Unbewusst" abgeschoben wurden. Solche Stopp-Signale sind allerdings nicht bei jedem Sinn gleich gut erforscht.
Wie üblich, ist auch in dieser Hinsicht der Sehsinn Primus der Wissenschaft. Hell und Dunkel werden bereits in der Netzhaut über spezialisierte ("bipolare") Zellen verarbeitet - sie sind gewissermaßen Ein- und Ausschalter, die ihre Signale direkt von den Stäbchen und Zapfen beziehen. Und diese Trennung zwischen "On" und "Off" bleibt die längste Zeit bestehen, erst in der Hirnrinde finden die beiden Verarbeitungskanäle wieder zusammen.
Was den Hörsinn betrifft, wusste man bislang zweierlei. Erstens: Es gibt im Ohr kein Gegenstück zu den bipolaren Zellen. Zweitens: Dennoch ist Stille nicht nur die Abwesenheit von Hörempfindungen. Zumindest in der Hirnrinde von Affen gibt es gesonderte Signale dafür. Nur: Was passiert zwischen Ohr und Hirnrinde?
Präzise Pausenwahrnehmung
Die Studie "Nonoverlapping Sets of Synapses Drive On Responses and Off Responses in Auditory Cortex" ist im Fachblatt "Neuron" erschienen.
Eine Antwort liefert nun Michael Wehr. "Es sieht so aus, als gäbe es einen gesonderten Kanal, der für die Verarbeitung von Schallpausen verantwortlich ist. Er entspringt beim Ohr und führt bis in höhere Hirnzentren", sagt der Neuropsychologe von der University of Oregon. Wehr und seine Kollegen haben Ratten mit diversen Tonfolgen beschallt und die Reaktion einzelner Nervenzellen im Hirn der Tiere aufgezeichnet.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Stille und Dunkelheit durchaus ähnlich verarbeitet werden, für beide stehen jedenfalls im Nervensystem eigenständige Signalbahnen bereit. Manches spricht dafür, dass auch im Hirn von Menschen Ähnliches vor sich geht, nicht zuletzt deshalb, weil Schallpausen beim Sprechen eine wichtige Rolle spielen. "Die Grenze zwischen einzelnen Wörtern oder Wortteilen zu finden ist eines der kniffligsten Probleme des Sprechens", sagt Wehr. "Wir verstehen nicht wirklich gut, wie das Gehirn das fertig bringt."
Praxistest: Cocktailparty
Dass es dazu auch unter erschwerten Bedingungen imstande ist, zeigt der berühmte Cocktailparty-Effekt: Auch wenn Dutzende Menschen in nächster Nähe plaudern, ist es in der Regel kein Problem, die Stimme des Gesprächspartners aus dem akustischen Gewirr herauszufiltern und den Rest beiseite zu schieben.
Wichtig für diese Fähigkeit sind unter anderen subtile Informationen über Herkunft und Weg des Schalls. Das weiß man seit den 1950er Jahren, als Forscher Gespräche bei Partys auf Band aufnahmen, beim späteren Anhören aber kläglich scheiterten. Der Grund: Die Mono-Aufnahme konnte keinen Raumklang erzeugen, so blieb das Durcheinander der Stimmen unauflösbar.
Robert Czepel, science.ORF.at
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