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Hedy Lamarr

Hedy Lamarr: Eine Schauspielerin als Erfinderin

Für manche war sie die schönste Frau der Welt, die schönste Erfinderin war sie auf jeden Fall. Hedy Lamarr hat nämlich ein technisches Verfahren entwickelt, das heute eine Grundlage der Mobiltelefonie darstellt. Der ausgewanderten Schauspielerin ist nun eine Vorlesungsreihe gewidmet.

Veranstaltungshinweis 19.02.2010

Wissen und Information stehen im Zentrum der Veranstaltung der Österreichischen Akademie für Wissenschaften (ÖAW). Was Hedy Lamarr, Hollywoodstar der 1940er Jahre und Erfinderin einer Verschlüsselungstechnik, damit zu tun hat, erklärt einer der Organisatoren, Josef Seethaler von der Kommission für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW, im Interview mit science.ORF.at.

Die "Hedy-Lamarr-Lectures 2010" beginnen am 22. Februar um 18.15 h mit einem Vortrag von Anton Pelinka zum Thema "Die unvollkommenen Information - Voraussetzung für die unvollkommene Demokratie". Veranstaltungsort ist die ÖAW, Festsaal, 1010 Wien, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2.

science.ORF.at: Was hat die Akademie dazu bewogen, ihre diesjährige Vorlesungsreihe nach der Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr zu benennen?

Seethaler: Die Lectures, die seit 1998 veranstaltet werden, tragen immer den Namen einer Persönlichkeit aus dem wissenschaftlichen Bereich, die enge Verbindungen zu Österreich hat. Heuer war die Idee, eine Vortragsreihe zu den Problemen der heutigen Informations- und Wissensgesellschaft zu starten. Hedy Lamarr hat in den 1940 Jahren immerhin die technische Grundlage für die heutige Mobiltelefonie gelegt und Handys entwickeln sich ja immer mehr zur persönlichen Informationszentrale, also zu „dem“ Symbol der Informationsgesellschaft. Der Vorschlag kam zuerst von der Telekom, aber auch uns erschien Lamarr einer Würdigung wert.

Aus Sicht der Telekom ist leicht nachzuvollziehen, warum sie diese Namenspatronin wollten, was aber macht sie für die ÖAW so relevant?

Hedy Lamarr wurde 1914 als Hedwig Eva Maria Kiesler in Wien geboren. Nach dem Start einer Filmkarriere heiratet sie 1933 den Wiener Waffenfabrikanten Fritz Mandl, der ihr das Filmen verbot. 1937 floh sie nach Paris und dann nach London, wo sie von MGM unter Vertrag genommen wurde. Man gab ihr den Künstlernamen Hedy Lamarr. Sie verdankte ihren Erfolg vor allem ihrem blendenden Aussehen. Sie war eine erklärte Gegnerin der Nationalsozialisten und entwickelte eine eigene Funksteuerung, die 1942 patentiert wurde.

Wir haben natürlich nachrecherchiert. Ganz zweifellos hat Frau Lamarr eine hervorragende technische Leistung vollbracht, die zwar spät, aber immerhin noch vor ihrem Tod weltweit und in Österreich gewürdigt wurde. Außerdem war für mich persönlich interessant zu sehen, dass sie wirklich ein Symbol für unsere Informationsgesellschaft sein kann.

Wenn ich das richtig sehe, war sie als Schauspielerin eine der ersten, die von "Metro Goldwin Meyer" als Marke aufgebaut wurde, bevor sie dort ihren ersten Film gedreht hat. Sie selbst hat dieses Geschehen einerseits fasziniert angenommen, andererseits hat sie es sehr schnell sehr kritisch reflektiert. Mehrfach hat sie versucht, sich aus diesem Vermarktungsprozess heraus zu retten, was als Einzelmensch kaum machbar ist. Letztlich war sie sehr unglücklich.

Sie war ja in vielen Phasen ihres Lebens eine echte Medienfigur, zu Beginn ihrer Filmkarriere war sie aufgrund der angeblich ersten Nacktszene in einen Skandal verwickelt, Hollywood hat sie dann zur Ikone aufgebaut und in ihren letzten Jahren, bis über ihren Tod hinaus geriet besonders ihre wissenschaftliche Leistung ins Rampenlicht. Ist sie eine Projektionsfläche für vieles und viele?

Ja, das ist sie heute noch, gerade im Sinne dessen, was wir hier in der Reihe beleuchten werden. Denn einerseits sind wir alle fasziniert von den Möglichkeiten der Technik, die auch sehr viel Nutzen bringt, andererseits bedarf es der geistes- und sozialwissenschaftlichen Analyse der Folgen, um damit umgehen zu können. Es geht also nicht nur darum zu wissen, was alles machbar ist, sondern auch was alles wünschenswert ist.

Das heißt, neue Entwicklung sollten immer auch kritisch hinterfragt werden?

Die ethische Komponente ist ganz wichtig. Auch dafür steht Hedy Lamarr, nicht nur durch ihre eigene Lebensgeschichte, bei der sie sich selbst und den Medienrummel kritisch hinterfragt hat, sondern auch bei ihrer Erfindung. Es war ihr politisches Engagement, ihre überzeugte Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, die hier zum Tragen kamen. Ihre Vorkenntnisse hatte sie erworben, als sie mit einem Rüstungsfabrikanten verheiratet war (mit dem Wiener Fritz Mandl in 1. Ehe, Anm.). Dort hat sie sich einiges abgeschaut. Später hat sie versucht, dieses Wissen im Kampf gegen Nazideutschland einzusetzen

Sie hat also mehr oder weniger zufällig entscheidende Informationen erhalten. Jahre später konnte sie dieses Wissen offensichtlich gezielt für ihre Erfindung nutzen, wie war das möglich?

Sie hat offenbar zu jenen Menschen gehört, die eine ungeheuer breite Bildung haben. Ihre Eltern waren wohlhabend - der Vater war Bankier, die Mutter Pianistin. Sie haben ihr eine sehr gute Ausbildung, zumeist in Schweizer Schulen angedeihen lassen. Die war weder einseitig noch auf "weibliche" Inhalte festgelegt. Auch darin zeigt sich die Notwendigkeit einer soliden und nicht von vornherein spezialisierten Ausbildung. Darauf kann man aufbauen. Lamarr hätte mit ihren zufällig erworbenen Kenntnissen sonst nichts anfangen, sie nicht einordnen können.

Dazu kam ja dann ihr Ko-Erfinder George Antheil, Avantgarde-Musiker und Bekannter vieler illustrer Zeitgenossen. Entsprach es dem damaligen Zeitgeist, dass Künstler und Schauspieler wissenschaftliche Ideen entwickeln und umsetzen?

Antheil war ja Künstler und Instrumentenbauer, er hat sich also auch mit der technischen Seite der Kunst beschäftigt. Seine konkrete Herausforderung war, 16 Klaviere von einer zentralen Konsole aus zu steuern. Das war sozusagen der erste Schritt zur Entwicklung des Frequenzsprungverfahrens: mit identischen Lochkarten bei Sender und Empfänger konnte Synchronisation erfolgen. Das war der Kinderschuh für das 1942 eingereichte Patent.

Aber wesentlich war offenbar die im Nachhinein fast banal anmutende Idee, dass Sender und Empfänger gleichzeitig Frequenzen wechselt?

Ja, dass das Signal in Sekundenbruchteilen von einer Frequenz auf die andere springt, um Störungseinflüsse von außen zu minimieren, wobei auf mehreren Frequenzen gleichzeitig gesendet wird.

Jedenfalls sind hier offenbar unterschiedliche Kreativitäten aufeinander getroffen, wäre sowas heute überhaupt noch möglich?

Heute ist alles sehr viel zielorientierter, die Spezialisierung setzt sehr früh ein. Aber erst durch eine breite Ausbildung wird Kreativität möglich.

Kritische Stimmen meinen, der Rummel um Lamarr sei übertrieben, es handle sich eher um eine Legendenbildung. Sie sei sich der Dimension nicht bewusst gewesen und in Kriegszeiten hätten viele an Verschlüsselungstechniken gearbeitet. Wie sehen sie das?

Ich glaube, ihr war völlig klar, was sie da entwickelt hat. Sie hat es bewusst getan und die Patentierung bewusst verfolgt. Sie hat es dann auch dem US-Militär geschenkt, um eine Anwendung zu ermöglichen. Aus Kostengründen kam es dann nicht dazu, sie war sehr enttäuscht darüber. Viel später kam es erst zur Anwendung im militärischen Bereich, nach der Freigabe der Informationen 1981 durch US-Army dann zur zivilen Nutzung bis zur Mobiltelefonie.

Heutige Wissensproduktion erfolgt ja eher im Team und verteilt. Unterstreicht die Namensgebung nicht auch eine Sehnsucht nach außergewöhnlichen Personen und Genies?

Ich würde eher von einer Idealvorstellung eines engagierten Wissenschaftlers sprechen, der seine Arbeit reflektiert. Denn das ist genau das, was wir brauchen. Jeder von uns sollte die Möglichkeiten reflektieren, die wir in die Hand bekommen, inwieweit wir sie nutzen wollen oder sollen.

Warum wurde die wissenschaftliche Leistung von Lamarr erst so spät anerkannt?

Die US-Army hat ja erst 1981 die Grundzüge ihrer Erfindung preisgegeben. Sie wurde einer industriellen Nutzung zugrunde gelegt. Aber erst mit der Realisierung auf digitaler Basis wurde die Bedeutung ihres Beitrags sichtbar. Danach folgten die Ehrungen Schlag auf Schlag.

Bei den Vorlesungsreihen der letzten Jahre hat man zunehmend den Eindruck, dass als Namensgeber besondere Figuren ausgewählt werden: Persönlichkeiten, die keine klassischen Wissenschaftler sind oder zumindest unbekannte - welche Überlegungen stecken dahinter?

Es geht nicht um einen Glamourfaktor, sondern um die Sichtbarmachung des breiten wissenschaftlichen Potenzials, das in Österreich existiert hat und existiert. Dazu wollen wir beitragen. Mit dieser Namensgebung durch Personen, die nicht nur weltweit bekannte Stars wie Einstein sind, soll deutlich werden: Da ist ein riesiges Potenzial, eine Chance, die Österreich noch immer hat, Knowhow als Basis von wirtschaftlichem und sozialem Erfolg. Daher müssen wir die Budgets für Bildung und Wissenschaft erhöhen.

Ist es auch eine Botschaft an die Jüngeren: "Wissenschaftler können auch Stars sein"?

Sie war ja als Wissenschaftlerin kein Star, die Anerkennung kam spät. Dafür braucht es in der Wissenschaft oft einen längeren Atem. Aber Hedy Lamarr zeigt uns, was in jedem Menschen steckt. Wissenschaft ist das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung nach bestimmten Regeln, die man aber lernen kann. Viele sind dazu fähig, wenn die Grundlagen dafür gelegt werden.

Interview: Eva Obermüller, science.ORF.at