"Der Jud' ist schuld"
Von Heidemarie Uhl
Das Verhältnis Wiens zu Karl Lueger ist erneut in Diskussion. Vor wenigen Wochen hat die Universität für angewandte Kunst auf Initiative von Martin Krenn und einer Gruppe von Studierenden einen Wettbewerb zur künstlerischen Umgestaltung des Lueger-Denkmals ausgeschrieben.
Das Interesse am Lueger-Denkmal ist auch durch die räumliche Nähe begründet: Studierende und Lehrende würden jeden Tag auf dem Weg zur Universität mit der Ehrung eines Antisemiten konfrontiert. Auch seitens der Universität Wien wird die Adresse "Dr.-Karl-Lueger-Ring 1" zunehmend als problematisch angesehen und eine Umbenennung befürwortet.

ÖAW
Heidemarie Uhl ist Historikerin am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Vor kurzem ist zudem die erste fundierte wissenschaftliche Biografie Karl Luegers erschienen, verfasst von John W. Boyer, Historiker an der Universität von Chicago und einer der profiliertesten Kenner der Geschichte von Wien und Österreich um 1900.
Drückte Stadt den Stempel auf
Karl Lueger macht es Kritikern und Befürwortern allerdings nicht einfach: Als Bürgermeister in den Jahren 1897 bis 1910 hat er Wien in der entscheidenden Phase der Entwicklung zur modernen Großstadt den Stempel aufgedrückt - in positiver wie in negativer Hinsicht. Seine Verdienste um den Ausbau der Infrastruktur (Gas-, Wasser-, Stromversorgung, öffentlicher Verkehr) und der kommunalen Versorgungseinrichtungen sind unbestritten.
Die Machtposition der Christlichsozialen im Wiener Gemeinderat war allerdings nur auf der Grundlage eines Zensus- und Kurienwahlrechts möglich, das weite Teile der Wiener Bevölkerung auf kommunaler Ebene vom Wahlrecht ausschloss.
Mit der Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts für Männer und Frauen sollte die Sozialdemokratie im Jahr 1919 die absolute Mehrheit der Mandate im Wiener Gemeinderat erringen.
Erfinder des modernen Antisemitismus
Symposion und Online-Ausstellung
Am Mittwoch findet im Wiener Rathaus das Symposion "Karl Lueger - Historische Verhandlungen über Mythen und Perzeptionen" statt. Virtuell wird Luegers von 10. März bis 31. Mai von der Wienbibliothek gedacht. Diese hat eine Ausstellung online gestellt, die exemplarische Einblicke in den Nachlass des Bürgermeisters gibt.
Das heutige Interesse an Luegers Wien richtet sich aber weniger auf die kommunalpolitischen Leistungen, sondern auf den Einsatz des Antisemitismus als Mittel der politischen Propaganda. Lueger gilt als einer der maßgeblichen Erfinder des modernen, populistischen Antisemitismus, er war - nach dessen eigenem Bekunden - einer der "Lehrer" Hitlers.
Der berühmte Ausspruch "Wer ein Jud' ist, bestimme ich" charakterisiert Luegers Antisemitismus aber nur unzureichend. Die Hetze gegen die Juden war keine Fußnote, über die man augenzwinkernd hinwegsehen könnte, sondern stand im Zentrum von Luegers politischer Taktik: Alle Probleme brachte er, wie Brigitte Hamann schreibt, "auf eine einfache Formel: Der Jud' ist schuld."
Ein Feindbild, das geeint hat
Ö1 Programm zu Lueger
Betrifft Geschichte: 8.-12. März, 17:55 Uhr
Hörbild: Ein Schweizer in Wien: 6. März
Von Tag zu Tag: 3. März
Lueger gelang es erfolgreich, "die Juden" - um 1900 rund zehn Prozent der Wiener Bevölkerung - als einigendes Feindbild in einer höchst heterogenen Zuwanderergesellschaft einzusetzen: Wien war im Jahr 1908 mit zwei Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen die weltweit sechstgrößte Stadt der Welt, 1850 war die Einwohnerzahl noch bei 550.000 gelegen.
Dass Lueger von seinen Anhängern in einem Maß verehrt wurde, das sich mit heutigen Popstars vergleichen lässt, lässt dieses Erbe für die politische Kultur Wiens noch problematischer erscheinen.
Unkritisches Gedenken heute nicht mehr möglich
Das ehrende Gedenken für Karl Lueger, wie es uns auf der Wiener Ringstraße, am Lueger-Platz, im Lueger-Denkmal begegnet, gilt naturgemäß dem verdienstvollen Bürgermeister und nicht dem Antisemiten. Das eine ist von dem anderen allerdings nur um den Preis der Verharmlosung zu trennen: Luegers Wahlerfolge verdankten sich dem Einsatz einer "kruden, beleidigenden und nicht selten herzlosen" antisemitischen Rhetorik (so Charles W. Boyer).
Er hat, so Brigitte Hamann in "Hitlers Wien", mit seinen Hetzreden ein Klima der Verrohung erzeugt, das die politische Kultur von "Wien um 1900" nachhaltig prägte.
Denkmäler und Straßennamen verweisen auf jene historischen Bezugspunkte, durch die sich ein Kollektiv definiert, mit denen sich eine Kommune identifiziert. Die gegenwärtigen Diskussionen und Initiativen verweisen darauf, dass ein unkritisches Gedenken an Karl Lueger mit den Wertmaßstäben, die das heutige Wien prägen, offenkundig nicht mehr in Einklang zu bringen ist.