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Handschlag

Fairness: Ein Folge von Handel und Religion?

Warum sich Menschen in kleinen Gruppen gegenüber anderen fair verhalten, ist relativ leicht nachzuvollziehen. Weniger klar ist, warum sie das auch in größeren anonymen Gesellschaften tun. Eine neue Studie meint: Handelsbeziehungen und Religionsgemeinschaften sind die Grundlage dieses Verhaltens.

Sozialverhalten 19.03.2010

Kooperation stärkt den Zusammenhalt

Konkurrenz oder Kooperation - was prägt unser soziales Verhalten? Mit diesem Thema haben sich Psychologen, Biologen, Soziologen und sogar Ökonomen bereits in zahlreichen Experimenten und Feldstudien auseinandergesetzt. Die wichtigste Erkenntnis: Menschen, aber auch manche Primaten, haben offenbar einen Hang zur Fairness. Das heißt, sie handeln nicht ausschließlich aus Eigennutz, sondern verhalten sich kooperativ.

Haben soziale Gemeinschaften eine überschaubare Größe, lässt sich dieses Phänomen relativ gut erklären. Da gibt es natürlich zuallererst die verwandtschaftliche Nähe, aber auch andere wechselseitigen Beziehungen spielen eine wichtige Rolle; sprich: Das, was ich gebe, bekomme ich - wenn nicht gleich - dann zumindest irgendwann zurück. Dieses Verhalten ist zudem gut für den persönlichen Ruf. Außerdem werden Individuen, die nicht kooperieren, bestraft - im Zweifel auf eigene Kosten. Das stärkt ebenfalls den Zusammenhalt der Gruppe.

Fairness auch bei einmaligen Begegnungen

Ein großer Teil der Untersuchungen fand allerdings in größeren industrialisierten Gesellschaften statt. Erstaunlicherweise funktioniert das Prinzip gerade hier besonders gut. Menschen verhalten sich in der Regel auch gegenüber völlig Fremden bei einmaligen Begegnungen fair. Warum wir das tun, ist nicht restlos geklärt.

Manche mutmaßen, dass wir im Lauf der Evolution die einfachen Regeln des Zusammenlebens auf immer größere Gruppen übertragen hätten. So gesehen würde unser heutiges Verhalten einfach das widerspiegeln, was sich schon vor vielen Jahren tausend Jahren gut bewährt hat.

Kultur "domestiziert" Verhaltensregeln

Kulturelle Vergleiche zeigen jedoch, dass es durchaus Unterschiede gibt, wie fair sich Gruppen gegenüber Fremden verhalten. Das deutet daraufhin, dass auch kulturelle Einflüsse eine Rolle spielen. So ließe sich vielleicht erklären, warum wir nach Regeln leben, die in unserer heutigen Gesellschaft nicht immer augenscheinlich nützlich sind.

Die Studie in "Science": "Markets, Religion, Community Size and the Evolution of Fairness and Punishment (sobald online) von Joseph Henrich et al.

Demnach war es besonders die Entwicklung von Normen und Institutionen, die eine Verinnerlichung der frühen für Kleingruppen geeigneten Verhaltensweisen befördert hat. Laut Joseph Henrich von der University of British Columbia hätten sie den Fortbestand von Vertrauen, Fairness und Kooperation gesichert. Derartige Normen gebe es in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, im Rahmen der aktuellen Studie haben die Forscher vor allem die Auswirkungen des Handels und der Weltreligionen untersucht.

Gruppen verhalten sich unterschiedlich

In insgesamt 15 Jahren führte das interdisziplinäre Team Experimente mit 2.100 Teilnehmern durch. Diese stammen aus 15 verschiedenen Gesellschaften, die zwischen 20 und 10.000 Mitglieder umfassen, u.a. aus Afrika, Nord- und Südamerika sowie Asien. Manche der untersuchten Gruppen leben noch heute als einfache Jäger und Sammler oder als Fischer, andere hingegen bereits als Angestellte in größeren Betrieben.

Die Experimente bestanden aus drei bekannten ökonomischen Spielen - das Diktatorspiel, das Ultimatumspiel und das "Bestrafung durch Dritte"-Spiel, bei welchen es um die Verteilung von realem Geld an Unbekannte geht. Üblicherweise werden sie dazu verwendet, Vertrauen, Fairness und die Bereitschaft zum Strafen einzuschätzen.

Die Ergebnisse, die laut den Wissenschaftler ein sehr gemischtes Verhaltensbild zeichnen, wurden dann mit zwei gesellschaftlichen Faktoren in Beziehung gesetzt: einerseits der Grad, zu welchem die Menschen in den Handel integriert waren - gemessen daran, wie viel ein Haushalt einkauft und nicht selbst erzeugt oder erlegt; andererseits die Zugehörigkeit zu einer Weltreligion, dazu zählten die Forscher entweder das Christentum oder den Islam.

Soziales Verhalten durch Abhängigkeiten

Bei der Auswertung zeigte sich, dass Gesellschaften mit geringer Integration in den Markt und in Weltreligionen weniger fair agierten und auch weniger bereit waren, unfaires Verhalten anderer zu bestrafen.

Besonders deutlich war der Zusammenhang beim ersten Punkt. Laut den Forschern sind Menschen eher bereit, sich an soziale Regeln in komplexeren Zusammenhängen zu halten, je mehr sie auf Handel angewiesen sind. Soziale Standards gehen offenbar Hand in Hand mit der wirtschaftlichen Entwicklung; Solidarität sei vermutlich tatsächlich erst mit zunehmender sozialer Komplexität gewachsen.

Das würde jedenfalls erklären, warum sich bei Verhaltensexperimenten Menschen aus industrialisierten Gesellschaften besonders kooperativ verhalten. Laut den Forschern müsse man deswegen auch viel vorsichtiger sein, daraus Rückschlüsse auf die menschliche Natur zu ziehen. Denn, wie es aussieht, ist Fairness nicht nur angeboren, sondern auch erlernt oder zumindest von historischen Kräften verstärkt.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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