Standort: science.ORF.at / Meldung: "Methanesser produzieren Sauerstoff"

Künstlerische Darstellung von Zellen/Mikroben

Methanesser produzieren Sauerstoff

Biologen haben eine Bakterienart entdeckt, die auf bisher unbekannte Art Sauerstoff herstellt. Diesen verwendet sie für die Energiegewinnung durch Methanabbau. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Stoffwechsel aus der Urzeit der Erde.

Bakterien 29.03.2010

Fund im Kanalsediment

Methylomirabilis oxyfera heißt die neuartige Bakterienart, die soeben im Fachblatt "Nature" vorgestellt wurde. Der Name weist darauf hin, dass die Mikroben Sauerstoff verarbeiten - und zwar auf fast wundersame Weise.

Als die Bakterien im Jahr 2006 im Sediment eines niederländischen Kanals, dem Twentekanaal, entdeckt wurden, wusste man nicht viel über ihren Stoffwechsel. Vor allem deshalb, weil sie extrem langsam wachsen und im Labor äußerst schwer zu kultivieren sind. Mit den Methoden der klassischen Mikrobiologie kamen die Wissenschaftler der katholischen Radboud-Universität Nijmegen nicht voran. So kontaktierten sie Spezialisten vom französischen Gensequenzierungszentrum Genoscope, um dem Stoffwechsel der unbekannten Mikroben indirekt - via Genetik - auf die Spur zu kommen.

Die Idee: Man sammle sämtliche Genfragmente, die sich im Sedimentwasser angesammelt haben, und setze diese im Nachhinein zusammen. Das gelang den französischen Genetikern mit Hilfe einer speziellen Software, aber das Ergebnis war ernüchternd: "Die experimentellen Labordaten standen im Widerspruch zu den Genomdaten", sagt Marc Strous. Er war an der Entdeckung von Methylomirabilis oxyfera beteiligt und ist mittlerweile an das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen gewechselt.

"Es war paradox"

Nachdem die Bakterien in einer methanreichen, aber extrem sauerstoffarmen Umgebung leben, hatten die Forscher ein entsprechendes Set an Stoffwechselgenen erwartet - eines, das auf anaerobe Reaktionswege hindeutet. Stattdessen fanden die Wissenschaftler, dass die Bakterien von Sauerstoff abhängig sind: Sie verarbeiten Methan (CH4) und Nitrit (NO2-) zu Stickstoff (N2), Kohlendioxid (CO2) und Wasser.

Fluoreszierende Bakterien

Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Methylomirabilis oxyfera unter dem Fluoreszenz-Mikroskop

"Es war paradox", erzählt die Erstautorin der Studie, Katharina Ettwig. "Das Bakterium hatte alle Stoffwechselwege, die für das Leben mit Sauerstoff notwendig sind - obwohl sie diesen niemals zu Gesicht bekommt."

Der gesuchte Sauerstoff konnte daher nur im Nitrit stecken, wenngleich das jeder chemischen Intuition widersprach: Energie aus der Verarbeitung von Methan mit Hilfe von Nitrit zu ziehen "ist fast so schwierig, wie unter Wasser eine Fackel anzuzünden", schreiben die Forscher in einer Aussendung. Dennoch: Das Bakterium tut genau das.

O2-Verarbeitung ohne O2

Wie Ettwig herausgefunden hat, führen die Mikroben zwei Moleküle Nitrit (NO2-) zusammen, lösen den Sauerstoff aus seiner Umklammerung, stellen O2-Moleküle her - und verwenden sie sofort für den Methanabbau. "Das ist einer sehr unübliche Stoffwechselform", kommentierte der US-Geomikrobiologe David Valentine gegenüber dem News-Dienst von "Nature". "Es ist ein anaerober Stoffwechsel, der Sauerstoff produziert."

Die Fähigkeit, molekularen Sauerstoff herzustellen, galt bisher als äußerst exklusive Fähigkeit im Reich der Lebewesen. Neben Pflanzen, Algen und Cyanobakterien müssen die Lehrbücher nun auch den (noch vorläufigen) Namen Methylomirabilis oxyfera in die Biochemie-Kapitel aufnehmen.

Leben auf dem Mars

Wie es die Bakterien im Detail schaffen, Sauerstoff aus Nitrit zu gewinnen, ist noch nicht bekannt. Man vermutet, dass sie das mit Hilfe eines speziellen Enzyms, einer "NO-Dismutase", tun. Nachgewiesen hat man das Enzym allerdings noch nicht. Raum für Spekulationen bietet der exotische Stoffwechsel auch in andere Hinsicht. Methylomirabilis oxyfera könnte nämlich ein Rolemodel für Lebensformen auf fernen Planeten sein.

Denn Methan, die einfachste Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff, ist auf relativ vielen Himmelskörpern vorhanden: Methanspuren finden sich beispielsweise in der Mars-Atmosphäre; auf Titan, dem größten Mond des Saturn, wurde ebenfalls CH4 nachgewiesen.

Ein Ur-Stoffwechsel?

Und last not least könnte der Fund ein altes Rätsel der Evolution lösen: Viele Enzyme verwenden Sauerstoff, dürften jedoch deutlich älter sein als die oxidierende Atmosphäre. "The Great Oxygenation Event", wie die globale Verbreitung des Sauerstoffs durch die Photosynthese genannt wird, fand vor rund 2,4 Milliarden Jahren statt - Leben gibt es auf der Erde indes seit mindestens 3,8 Milliarden Jahren.

Bisher haben Forscher diesen Widerspruch mit der Annahme erklärt, die Enzyme hätten früher eben auf alternative Moleküle zurückgegriffen, Stickstoffmonoxid (NO) etwa. Die Studie eröffnet nun eine andere Erklärungsvariante: Vielleicht haben bereits die Urmikroben den von ihnen benötigten Sauerstoff selbst hergestellt.

Robert Czepel, science.ORF.at

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