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Volvox-Kolonie

Als Frau und Mann erfunden wurden

Bei Einzellern ist die Sexualität eine eher fade Angelegenheit - nicht zuletzt deshalb, weil sich die Geschlechter kaum unterscheiden. Biologen haben nun eine Genregion entdeckt, die für eine folgenreiche Neuerung der Evolution verantwortlich ist: die Unterscheidung von Frau und Mann.

Evolution 16.04.2010

Kostspielige Innovation

Die Entstehung des Sex gilt als eines der großen Rätsel der Biologie. Denn: Sich sexuell zu vermehren heißt, nur 50 Prozent der eigenen Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Und es heißt auch, auf Nachkommen zu verzichten. Sich klonal vermehrende Lebewesen sind nämlich in beiden Disziplinen erfolgreicher. Dennoch gibt es in fast allen Tier- und Pflanzengruppen zwei Geschlechter, bei Pilzen ebenso, selbst Bakterien kennen so etwas wie eine Quasi-Sexualität. Also wozu das Ganze?

Die Studie "Evolution of an Expanded Sex-Determining Locus in Volvox" ist im Fachblatt "Science" erschienen (Bd. 328, S. 351, doi: 10.1126/science.1186222).

So direkt kann das auch James Umen nicht beantworten. Aber der Biologe vom kalifornischen Salk Institute hat zumindest eine Teilantwort zum evolutionären Problemfall "Sex" anzubieten: "Bis jetzt hat man die Sex-Chromosomen als Regionen des Verfalls angesehen, weil sie sukzessive alle Gene einbüßen, die nichts mit der sexuellen Vermehrung zu tun haben. Unsere Studie zeigt das Gegenteil: Solche Regionen können wachsen und neues genetisches Material ansammeln - und zwar schneller als das restliche Erbgut."

Zwei Algen im Vergleich

Umen und seine Mitarbeiter haben zwei Algenspezies verglichen, die zwar nahe verwandt, aber dennoch sehr unterschiedlich sind. "Chlamydomonas reinhardtii" ist ein Einzeller, der zwei Arten von Keimzellen herstellt, die jedoch äußerlich nicht zu unterscheiden sind. "Volvox carteri" indes, die aus Lehrbüchern bekannte kugelige Grünalge, hat mit 2.000 Zellen schon den Sprung zur Mehrzelligkeit geschafft. Bei ihr gibt es bereits einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, deren Keimzellen sind ganz unterschiedlich gebaut: große Eier und kleine Spermien, so ähnlich wie wir das auch vom Menschen kennen.

Volvox-Kolonie

Peter de Hoff, Sa Geng, Bradley Olson, James Umen

Weibliche Kolonie von Volvox carteri mit Eizellen in ihrem Inneren.

Der Übergang zwischen beiden Evolutionsstadien lag bislang weitgehend im Dunkeln. Um Licht in die Angelegenheit zu bringen, haben Umen und seine Kollegen nun das Erbgut der beiden Algenarten verglichen, und zwar besonders in jener Gen-Region, die Biologen als "mating locus" bezeichnen. Sie übernimmt bei den Algen ähnliche Funktionen wie bei unsereins die Geschlechtschromosomen.

Ein genetischer Magnet

Die Biologen um Umen fanden heraus, dass Volvox' "mating locus" etwa fünf Mal so groß ist wie jener von Chlamydomonas. Vor allem deswegen, weil Volvox Gene für die sexuelle Fortpflanzung rekrutiert hat, die ursprünglich gar nichts damit zu tun hatten. Der "mating locus" ist offenbar so etwas wie ein genetischer Magnet, der umliegende Erbfaktoren in seinen Funktionskreis zieht. Eines davon ist etwa das Gen "MAT3", das überraschenderweise auch ein menschliches Gegenstück kennt: Bei uns steuert es unter anderem die Zellteilung, Untersuchungen zeigen auch, dass MAT3 häufig in Tumorzellen mutiert ist.

Und bei Volvox? Vermutlich ist es auch dort für die Zellteilung verantwortlich, jedenfalls sieht MAT3 bei weiblichen und männlichen Volvox-Algen anders aus. Und diese Unterschiede der Gensequenz "korrelieren mit den Differenzen männlicher und weiblicher Fortpflanzung", wie die Forscher schreiben. Direkter formuliert: MAT3 war nebst anderen Genen dafür verantwortlich, dass Männlein und Weiblein unterscheidbar wurden. Und dass Sex, evolutionär betrachtet, nicht auf der Stufe der Gen-Mixtur stehen blieb. MAT3, wir danken.

Robert Czepel, science.ORF.at

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