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Familienportrait der Habsburger

Endlich fortschrittlich: Habsburger im Internet

Die Habsburger haben rund 600 Jahre Österreich und große Teile Mitteleuropas regiert. Mit einer neuen Website, die von der Bundesregierung initiiert wurde, sind sie nun auch offiziell im Internet angekommen. Das Adelsgeschlecht erscheint im historischen Rückblick weniger fortschrittsfeindlich als sein letzter großer Vertreter, Kaiser Franz Josef.

Geschichte 26.05.2010

Dieser soll nach der einzigen Autofahrt seines Lebens 1908 in Bad Ischl gesagt haben: "G'stunken hat's und g'sehn hat man nix!" Mit seinem gering ausgeprägten Fortschrittsglauben war er bei den Habsburgern zwar nicht alleine, es gab aber durchaus auch Gegenbeispiele, meint der Historiker Karl Vocelka in einem science.ORF.at-Interview.

Vocelka ist auch einer der Verantwortlichen für den Inhalt der neuen Website "Welt der Habsburger", die heute Vormittag standesgemäß im Wiener Schloss Schönbrunn vorgestellt wurde.

science.ORF.at: Rein hypothetisch: Würde Franz Josef heute noch leben, wäre er dann ein fleißiger Internet-User?

Karl Vocelka

Karl Vocelka

Karl Vocelka ist Professor für österreichische Geschichte, Vorstand des Instituts für Geschichte und Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung.

Karl Vocelka: Nein, das glaube ich nicht, weil er gegenüber jeder Art von technischem Fortschritt skeptisch war. Er würde heutzutage vermutlich auch kein Handy benutzen. Der Kaiser hatte nicht nur Vorbehalte gegen technischen, sondern auch gegen hygienischen Fortschritt, so hat er lange in einer Gummibadewanne gebadet. Es gibt auch Film- und Tonaufnahmen von ihm, aber die hat er eher über sich ergehen lassen.

Im Kapitel "Die Monarchie wird modern" der neuen Website erfährt man einiges über die Skepsis der Habsburger bei der Einführung der Eisenbahn ...

Das hat sie aber nicht von der Mehrheit der damaligen Bevölkerung unterschieden. Gerade bei der Eisenbahn waren viele ängstlich, es wurde auf die Gefahren verwiesen, die bei den hohen Geschwindigkeiten lauern etc. Denken Sie an die entsprechenden Beschreibungen von Peter Rossegger.

Franz Josef ist auch nur ein einziges Mal in einem Auto gefahren?

Soweit man das weiß, hat er auch da wenig Freude an technischen Neuerungen gehabt. Das hängt auch damit zusammen, dass die zu einem Zeitpunkt kamen, als er schon ziemlich alt war. Ältere Menschen tun sich da im Allgemeinen nicht so leicht, Gewohnheiten schleifen sich in der Jugend ein, und da hat es noch keine Tonaufnahmen, Filme oder Autos gegeben. In einem Bereich war Franz Josef Entwicklungen aber durchaus aufgeschlossen: bei der Waffentechnik.

Die Niederlage von Königgrätz 1866 war aber doch auch eine technologische?

Die neue Website

Website "Welt der Habsburger", Menüpunkt Portrait: Detailansicht Franz Stephan von Lothringen

Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H

Seit 26. Mai ist die Website "Welt der Habsburger" online. Zeitleiste, Landkarte, Stammbaum und Themenschwerpunkte bieten einen Überblick über die Geschichte des Adelsgeschlechts. Oben zu sehen aus dem Menüpunkt Portrait: eine Detailansicht zu Franz Stephan von Lothringen.

Die multimediale Ausstellung geht auf eine Initiative der österreichischen Bundesregierung zurück, läuft seit Frühling 2008 und wird von zahlreichen österreichischen Sammlungen unterstützt.

Für die Inhalte ist ein Team von Historikern und Historikerinnen der Universität Wien verantwortlich, unter der Leitung von Karl Vocelka, Vorstand des Instituts für Geschichte, und Franz X. Eder vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Auftraggeber und Finanzier des Projekts - verwendet wurden nach Eigenangaben ausschließlich private Mittel - war die Schloss Schönbrunn Kultur- und BetriebsgesmbH.

Ja, aber nicht nur. Es stimmt, dass die Preußen mit ihren Hinterladern gegenüber den Vorderladern der Österreichern im Vorteil waren. Die preußischen Generäle waren den österreichischen aber auch strategisch überlegen, der österreichische Oberbefehlshaber Ludwig von Benedek war alles andere als ein Genie. Die technologische Unterlegenheit hat sich nach 1866 geändert. Skoda etwa, das man heute nur als Automarke kennt, war eine der großen Waffenfabriken der Zeit. Die Produkte der Werke in Pilsen konnten in Sachen Artillerie durchaus mit Krupp mithalten.

Wenn man die Habsburger über ihre gesamten 600 Jahre untersucht: Waren sie tendenziell ein fortschrittsfeindliches Herrschergeschlecht?

Das kann man so pauschal nicht sagen. In vielen Bereichen wie in der Kultur waren sie sehr fortschrittlich, haben die modernen Kunstströmungen der jeweiligen Zeiten rezipiert. Was Wissenschaften betrifft, war das sehr unterschiedlich. Am Hof von Rudolf II lebten mit Kepler und Tycho Brahe zwei der wichtigsten Astronomen, er hat sich auch mit Alchemie beschäftigt. Im 18. Jahrhundert waren Franz Stephan von Lothringen und Leopold II sehr an Naturwissenschaften interessiert, im 19. Jahrhundert etwa Erzherzog Johann. Aber es gibt auch eine Reihe von Habsburgern, bei denen das ganz anders war. Speziell im 17. Jahrhundert ging es ihnen nicht um Wissenschaften, sondern um Religion und Machtpolitik.

Vor der Uni Wien stand gerade der LKW einer Bäckerei, die einen "Sisi Guglhupf" anbietet. Wie ist das Habsburgbild in Österreich heute? Haben wir den Höhepunkt der Sisi-Nostalgie mit dem Guglhupf bereits überschritten?

Das muss man sehr differenziert sehen. Es gibt natürlich ein populäres Habsburgerbild, das sehr nostalgisch auf einige Personen abzielt. Sisi ist im Tourismus noch immer der Renner, viele Japaner, so erzählen Fremdenführer, wissen nichts anderes über Österreich, als dass Sisi hier gelebt hat. Österreich mit Hilfe der Habsburger zu vermarkten, hat man immer getan, natürlich nur mit einer strengen Auswahl: Maria Theresia, Franz Josef, Sisi und - wenn man es etwas schauriger haben will - der Rudolf in Mayerling. Von dem muss man das Bild der Habsburger in der Wissenschaft unterscheiden. Da hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Es gibt neue kritische Bewertungen, neue Themenstellungen, nicht mehr bloße Biografien und keine Nostalgie mehr.

Wie würden Sie den Umgang der offiziellen Politik mit den Habsburgern heute einschätzen?

Eines der Ausstellungsobjekte

Kaiser Franz II./I. im Ornat des Ordens vom Goldenen Vlies. Ölgemälde von Friedrich von Amerling, 1832

Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H.

Kaiser Franz II./I. im Ornat des Ordens vom Goldenen Vlies. Ölgemälde von Friedrich von Amerling, 1832

Ambivalent. Man nutzt sie zum einen zur Imagepflege, verkauft Österreich als großes Land der Kultur. Aber andererseits ist man natürlich auch skeptisch. Die Habsburger dürfen sich wegen des Verfassungsgesetzes von 1919 keiner Wahl zum Staatsoberhaupt stellen. Sollte man ihnen -wie bei den vergangenen Bundespräsidentschaftswahlen diskutiert - dieses Recht wieder zugestehen, könnte das revisionistische Türchen öffnen, die zur Veränderung auch anderer Verfassungsgesetze führen. Und da ginge es um die Rückgabe des sogenannten Privatvermögens der Habsburger: Das käme der Republik ziemlich teuer.

Inwiefern spiegelt sich diese ambivalente Haltung auf der neuen Webseite wieder? An wen richtet sie sich?

Einerseits an ein breites Publikum, etwa Touristen, die sich vorinformieren wollen, an interessierte Laien, die etwas nachschlagen, aber auch an Schüler und Schülerinnen, die die Website als Lernmedium nutzen, und die Fachwelt - ein Spagat, den wir da versucht haben.

Zurzeit gibt es an die 100 Schwerpunkte und Themen. Ist es bei der Bearbeitung auch zu Konflikten gekommen, was Thema ist und was nicht?

Nein, wir waren ein sehr gutes Team, das den Auftrag der Regierung erfüllt hat. Es war klar, dass die Geschichte der Habsburger in einen Kontext der allgemeinen Geschichte Mitteleuropas gestellt werden muss.

Was man vielleicht vermissen könnte, ist ein Beitrag zum "Habsburger-Inzest", die Habsburger Lippe etc. Warum gibt es dazu nichts zu lesen?

Ein schwieriges Thema: Den "habsburgischen Familientypus" gibt es und es gibt ihn nicht. Viele Habsburger hatten den berühmten Vorbiss, aber nicht alle. Die inzestuösen Verhältnisse, die dahinter stecken, betreffen nicht nur die Habsburger. Die finden sie in jedem abgelegenen Tal in Europa. Bei den Habsburgern sind sie klarer sichtbar, weil ihre Abstammungsgeschichte bis ins späte Mittelalter exakt dokumentiert ist, und weil sie oft sehr nahe verwandt geheiratet haben. Das günstige an einem Webprojekt ist, dass man es in Gegensatz zu einem Buch ständig erweitern kann, vielleicht widmen wir auch diesem Thema noch ein Kapitel.

Wurde für das Projekt mit lebenden Habsburgern kooperiert?

Nein, das war auch nicht notwendig. Es ging uns um eine kritische und keine nostalgische Auseinandersetzung, und da hätte es sicher Konflikte gegeben, weil die Wissenschaft und die Familie Habsburg oft andere Ansichten haben. Denken Sie an Mayerling: Die Familie meint noch immer, dass Rudolf kein Mörder und Selbstmörder war, sondern Opfer eines Komplotts von Frankreich oder von Deutschland.

Wollen die Habsburger eigentlich noch immer auf den Thron zurück?

Da müssten Sie Dr. Otto Habsburg fragen oder einen seiner Brüder. Derartige Gedanken hat es sicher lange Zeit gegeben, bis nach dem Zweiten Weltkrieg hat Otto Habsburg an einer Restauration der Monarchie in Mitteleuropa gearbeitet, wie auch immer die territorial ausgesehen hätte. Aber ich denke, dass auch er mittlerweile eingesehen hat, dass das nichts wird. Die Habsburger haben mittlerweile ein Realitätsbewusstsein entwickelt, das ihnen lange gefehlt hat. Noch in der Ersten Republik haben sie gedacht, wenn sie nach Österreich zurückkehren, würden ihnen die Leute zujubeln. Das war aber nicht so.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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