"Natürliche" Energien
Laut dem Psychologen Richard Ryan von der University of Rochester haben bereits einige Studien der letzten Jahre auf den Zusammenhang zwischen Natur und Wohlbefinden hingewiesen.
So fühlen sich Menschen bei Exkursionen in die Wildnis energiegeladen und lebendig, mehr noch: allein die Erinnerung daran steigert persönliche Glücks- und Gesundheitsempfindungen. Andere Ergebnisse legen nahe, dass die bloße Anwesenheit von Natur gegen Erschöpfungszustände hilft und dass sich immerhin 90 Prozent der Menschen bei Aktivitäten im Freien subjektiv energiegeladener fühlen.
Was so banal klingt, ist laut Ryan aber nicht unwesentlich in Hinblick auf die psychische und physische Gesundheit von Individuen: "Man weiß mittlerweile, dass Menschen, die sich lebendiger fühlen, nicht nur tatsächlich mehr Energie haben, um das zu tun, was sie wollen. Sie sind auch physisch belastbarer und widerstandsfähiger gegen Krankheiten."
Andere Ursachen?
Zur Studie im "Journal of Environmental Psychology": "Vitalizing effects of being outdoors and in nature" von Richard Ryan et al.
In seiner aktuellen Studie wollte das Team rund um Ryan nun feststellen, ob tatsächlich die Natur selbst für diese positiven Effekte verantwortlich ist. Denn die gesteigerte Lebenskraft könnte ja auch andere Ursachen haben. Beispielsweise könnte sie die angenehme Nachwirkung körperlicher Aktivität sein. Auch Sozialkontakte könnten eine Rolle spielen, denn oft gehe man raus, um Menschen zu treffen oder um gemeinsam mit anderen etwas zu unternehmen.
Um diese Faktoren auszuschließen, führten die Forscher insgesamt fünf Versuchsreihen mit 537 Studenten durch. In einem der Experimente mussten die Teilnehmer einen 15-minütigen Spaziergang absolvieren, entweder in Innenräumen oder am baumverwachsenen Ufer eines Flusses. In einer anderen Anordnung sahen die Studenten Fotografien von Häusern oder Landschaften.
In einem weiteren Setting mussten sie sich unterschiedliche Situationen vorstellen, aktiv oder ruhend, drinnen oder draußen sowie mit oder ohne andere Personen. In den zwei abschließenden Experimenten mussten die Teilnehmer vier Tage bzw. zwei Wochen lang ein Tagebuch führen: Sie sollten einerseits ihre Stimmungen und den Energiezustand aufzeichnen, außerdem ihr Tagesprogramm genau protokollieren: von körperlichen Aktivitäten, der Zeit im Freien, Treffen mit anderen, jeglichen Kontakt mit der Natur bis hin zum Blick aus dem Fenster.
Grünanlagen zur Gesundheitsvorsorge
Laut den Forschern fühlten sich die Teilnehmer in allen Anordnungen energiegeladener, wenn sie Zeit in natürlichen Umgebungen verbrachten oder sich dies zumindest vorstellten - unabhängig von allen anderen Einflussfaktoren. Demnach steigt die Lebenskraft schon deutlich an, wenn man nur zwanzig Minuten des Tages in der Natur verbringt. Wie die Tagebuchaufzeichnungen, zeigten ging es dabei tatsächlich um die Natur, denn das Draußensein allein - also etwa im gemauerten, städtischen Umfeld - hatte nicht dieselbe Wirkung gehabt.
Diese Ergebnisse schließen an frühere Arbeiten der Forschergruppe an. Sie hatten gezeigt, dass Menschen unter Einfluss der Natur fürsorglicher und großzügiger werden. Laut den Psychologen besitzen wir offenbar eine natürliche Verbindung zu lebendigen Dingen. "In der Natur blühen wir auf, sie ist sozusagen ein Treibstoff für unsere Seele", so Ryan. Sie sollte daher einen zentralen Platz in unserem Leben einnehmen, besonders wenn man - so wie häufig heutzutage - in einer betonierten Umgebung lebt und arbeitet. Parks, Grünanlagen, Zimmerpflanzen oder der Blick aus dem Fenster auf eine Wiese wären zumindest ein kleiner Beitrag zu mehr Gesundheit.
Eva Obermüller, science.ORF.at