Viele Metalle kommen in unseren Alltagsprodukten nur in Spuren vor. Doch ohne sie geht nichts. Der deutsche Chemiker und Umweltwissenschaftler Armin Reller bezeichnet sie daher als Gewürzmetalle. Im Interview mit science.ORF.at erklärt er, wie Handyberge zu Minen werden könnten und warum wir auf manche Materialien verzichten sollten.
science.ORF.at: Sie schreiben an Ihrem Institut Stoffgeschichten. Was erzählen diese?

Glattfelder
Armin Reller ist Vorstandsmitglied des Wissenschaftszentrums Umwelt an der Universität Augsburg. Dort werden so genannten Stoffgeschichten geschrieben, die einen ganzheitlichen Blick auf den Werdegang von Stoffen werfen und ihre ökologische, ökonomische und soziale Geschichte erzählen. Die Berichte erscheinen im deutschen Oekom-Verlag.
- Artikel „Stoffgeschichten – eine neue Perspektive für eine transdisziplinäre Umweltforschung“ (pdf).
Armin Reller: Durch unseren Lebensstil nutzen wir vielfältige Güter. Die Materialien und Stoffe für diese Produkte kommen aus aller Herren Länder. Wir wissen jedoch in den wenigsten Fällen, woher sie stammen, noch wissen wir, unter welchen Umständen sie aus der Erde gewonnen werden. Wir sind in einem Zeitalter gelandet, in dem wir durch globale Güter und Rohstoffe versorgt werden. Mit den Stoffgeschichten wollen wir Materialen in Zeit und Raum kennenlernen. Entlang einer Geschichte kann man aufzeigen, woher der Stoff kommt und wer daran gearbeitet hat.
Sie bezeichnen Stoffe als „kahle Objekte“ und „diskursive Schläfer“. Was meinen Sie damit?
In der Grundlagenforschung suchen wir Erkenntnisse, die sich praktisch umsetzen lassen, aber in dieser Phase denken wir nicht daran, ob die Materialien dafür überhaupt verfügbar sind. Die Stoffe haben also noch keine Geschichte, es sind kahle Objekte mit bestimmten Eigenschaften. Die Automobilindustrie zum Beispiel strukturiert derzeit in Richtung Elektromobilität um. Dadurch braucht man Batterien, also viel Lithium. Wir suchen neue Systeme, die auf Materialien beruhen, die bisher nicht in hohem Ausmaß verwendet wurden. Es hat aber noch niemand geschaut, ob diese Stoffe in der benötigten Menge gefördert werden können und welche Konsequenzen ihre Nutzung haben wird.
Die Stoffgeschichten könnten da helfen?
Mit ihnen kann man besser verstehen, bestenfalls sogar voraussehen, was passiert, wenn man eine bestimmte Technologie realisieren möchte. Dieser Denkansatz und diese Neugier müssen auch in die Köpfe der Konsumenten. Wir wollen Kontexte aufzeigen und eine Kritikfähigkeit schaffen, die uns Konsumenten mündig macht, zu entscheiden, wie effizient oder verschwenderisch wir durch unseren Lebensstil agieren.
Woher könnten denn in Zukunft die Rohstoffe für Elektroautos kommen?
Am 10. Juni spricht Armin Reller an der Akademie der Wissenschaften in Wien im Rahmen der Vortragsreihe „Mut zur Nachhaltigkeit“.
Weitere Interviews mit Vortragenden der Vortragsreihe auf science.ORF.at:
Für Elektromobilität braucht man Elektromotoren und dafür Kupfer und Magneten, vor allem potente Magnetmaterialien. Das sind insbesondere Seltenerdmetalle, die aber zurzeit zu 97 Prozent aus China stammen. D.h. China hat hier eine Monopolstellung. Wenn Politiker sagen, dass wir in zehn Jahren eine Million Elektroautos auf der Straße haben wollen, muss man sich erst mal überlegen, ob wir diese Metalle bekommen und genug davon haben. Daran hat man bisher wenig gedacht. Das sind Kontexte, die durch die Geschichte der Seltenerdmetalle sofort kapiert werden können.
Bei einer neuen effizienteren Technologie sollte man sich also vorweg überlegen, was das bezüglich sozialer Einflüsse, der Verfügbarkeit der Rohstoffe und der Ökonomie bedeutet. Das sind langfristige Überlegungen, die auch eine Risikominderung darstellen, damit es nicht zu bösen Überraschungen kommt. Europa ist zu 95 Prozent von Rohstoffimporten abhängig. Da sollte man jetzt schon schauen, welche Folgen es hat, neue Technologien hochzuziehen.
Welche Probleme haben wir derzeit mit nicht erneuerbaren Ressourcen?
Wir brauchen immer mehr Metalle. In den letzten 20 Jahren haben wir circa 50 neue Metalle zu nutzen begonnen. In einem Computer stecken vielleicht 50 unterschiedliche Metalle. Viele davon sind aber nur in kleinen Mengen in der Erdkruste zu finden. Meistens sind das so genannte Kuppelprodukte, d.h. man gewinnt in einer Kupfermine ein bisschen Platin oder Indium oder ein anderes exotisches Metall. Wenn ein Gerät nicht mehr läuft, wirft man es weg oder steckt es in eine Schublade und die darin steckenden Metalle sind nicht mehr zugänglich. Wir setzen sehr viel Energie ein, um Metalle zu gewinnen und nach der Nutzung sind sie weg. Das ist historischer Unsinn.
Aber gerade Metalle lassen sich doch einfach zurückgewinnen.
Die Metalle gehen zum Glück nicht kaputt. Metalle sterben ja nicht. Aber wir können sie verlieren, d.h. wenn sie feinst verteilt sind, können wir sie nicht mehr zurückgewinnen. Das könnte man logistisch schlauer gestalten – mit neuen Wirtschaftssystemen, bei denen man Produkte nur least und sie nachher wieder zurückgibt, damit man die kritischen Materialien wieder verwenden kann.
Das Konzept des Urban Mining versucht verteilte Rohstoffe wieder nutzbar zu machen. Ist das ein gangbarer Weg?
Ja. Metalle sind über lange Zeit aus Kolonien oder Minen zusammengetragen worden. In den letzten hundert Jahren wurden in Europa viele Metalle in Gebäude und Infrastruktur gesteckt – Geleise, Röhren, Stahlarmierungen, Aluminium, Kupfer. Das sind gewissermaßen Sekundärminen. Es ist aber eben auch so, dass seit 20 Jahren über die Mikroelektronik viele neue Metalle genutzt werden, deren Rückgewinnung schwieriger ist. Ich bezeichne diese als Gewürzmetalle.
Was ist das?
Diese Metalle werden wie ein Gewürz in einer Speise in ganz kleinen Mengen verwendet, aber ohne sie funktioniert die Technik nicht. Man kann keinen Safranreis ohne Safran kochen, aber auch keinen Flachbildschirm ohne Indium herstellen. In vielen Gerätschaften stecken Metalle in relativ konzentrierter Form.
Aber eben verteilt.
In einer Tonne Golderz aus einer Mine in Südafrika befinden sich vielleicht fünf Gramm Gold. In einer Tonne alter Handys sind aber 250 bis 300 Gramm Gold. Das heißt, dieser Handyhaufen ist eigentlich eine gute Rohstoffquelle. Aber die Handys liegen natürlich nicht auf einem Haufen, sondern sind verstreut. Das ist ein Beispiel für eine sekundäre, urbane Mine. Doch dieser Schatz wird derzeit nicht gehoben.
Es wäre aber technisch möglich?
Die Technologie dafür ist natürlich schwierig. In einem Erz haben sie vielleicht Kupfer und ein paar andere Metalle. Im Handy stecken aber 20 bis 30 Metalle – ein unglaubliches Gemisch, das man erst chemisch auftrennen muss.
Das klingt anspruchsvoll und teuer.
Man kann sich in Europa vielleicht vier oder fünf Fabriken leisten, in denen die Metallrückgewinnung vom Produktionsvolumen her wirtschaftlich gestaltet werden kann. Dazu sind Planungen nötig, die über zehn oder zwanzig Jahre hinaus funktionieren müssen. Doch es gelingt derzeit noch nicht mal, Handys und Computer wieder zu sammeln. Elektroschrott landet in Afrika, China oder Indien. Dort wird vielleicht gerade noch Kupfer herausgeholt. Viele Wertstoffe gehen aber verloren.
Gibt es einen nicht erneuerbaren Rohstoff, auf den wir Ihrer Meinung nach verzichten sollten?
Quecksilber sollte möglichst aus dem Geschäft gezogen werden. Auch andere Schwermetalle sollten in Alltagsprodukten nicht mehr enthalten sein. Wenn man sicher gehen kann, dass sie an einem Ort immobilisiert sind, nicht in die Biosphäre gelangen, ist es vertretbar. Auch für Blei gilt das. Das ist aber über Bleiakkus weltweit verbreitet, dass es noch lange dauern wird, bis es einerseits nicht mehr genutzt wird, andererseits Wasser und Boden nicht mehr belastet. Auch andere Metalle sollten aufgrund ihrer Toxizität vermieden werden. Dazu kommen viele synthetische Stoffe wie zum Beispiel FCKWs, Agrochemikalien, etc. – die sollte man wenn möglich nicht mehr einsetzen, sondern ersetzen.
Mark Hammer, science.ORF.at