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Eine Person steht vor einer Wand mit TV-Geräten

"Der Köder muss dem Fisch schmecken"

Die Zusammenhänge zwischen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft sind meist komplex. Dementsprechend schwierig ist die Präsentation der Nachhaltigkeit in den Medien. Dass dem nicht so sein muss, zeigt ein deutsches Forschungsprojekt.

Nachhaltigkeit 16.06.2010

Der Medienwissenschaftler Clemens Schwender hat untersucht, wie Nachhaltigkeit in den Medien kommuniziert wird. Seine Kritik: Monologe von Experten seien langweilig, das Öko-Thema noch zu häufig mit negativen Bildern verknüpft.

Dabei ließe sich auch zu High-Heels über Nachhaltigkeit reden. Wenn Nachhaltigkeit entsprechend aufbereitet werde, könne das Thema sogar angehenden Rockstars den Rang ablaufen.

Porträt Clemens Schwender

Schwender

Der Medienwissenschaftler Clemens Schwender hat Neue Deutsche Literatur, Philosophie und Psychologie studiert. Er unterrichtet Kommunikationsmanagement an der Business School Potsdam und berät derzeit die Bioenergie-Region Ludwigsfelde bei der Öffentlichkeitsarbeit.

Im Forschungsprojekt balance[f] hat Schwender die Medialisierung von Nachhaltigkeit untersucht. Ein Bericht zu dem Projekt ist im Jahr 2008 in Buchform im Metropolis Verlag erschienen.

Cover des Buches "Medialisierung der Nachhaltigkeit"

Metropolis Verlag

Am 17. Juni spricht Clemens Schwender an der Akademie der Wissenschaften in Wien im Rahmen der Vortragsreihe „Mut zur Nachhaltigkeit“.

Programm zur Vortragsreihe

Weitere Interviews mit Referentinnen und Referenten der Vortragsreihe auf science.ORF.at:

science.ORF.at: Ernst Ulrich von Weizsäcker hat im Vorwort zu Ihrem Buch über die Medialisierung der Nachhaltigkeit behauptet, dass die Umweltkommunikation in einer Krise steckt. Wie sieht diese Krise aus?

Clemens Schwender: Der Rat für Nachhaltige Entwicklung, der in Deutschland die Bundesregierung berät, hat vor Jahren festgestellt, dass das Thema Nachhaltigkeit vor allem im Fernsehen schwer zu präsentieren ist. Der Begriff sei zu sperrig. Man könne keine Bilder daraus machen und Fernsehen braucht ja nun mal Bilder. Nachhaltigkeit ließe sich nicht massenpublikumsrelevant präsentieren. Wir haben Leute befragt, woran sie eine Umweltsendung erkennen. Die Menschen verbinden das Thema eher mit negativen Berichten: zum Beispiel mit ölverschmierten Vögeln. Wir wollen positive Ansätze, Überlegungen und Emotionen hinein bringen und vor allem Leute erreichen, die bisher zur Debatte günstigenfalls neutral oder auch geradezu aversiv eingestellt waren.

Ist Nachhaltigkeit zu komplex, um sie in Massenmedien zu vermitteln?

Man kann das präsentieren, wenn man nicht den Anspruch eines Wissenschaftlers hat, alle Teilbereiche zu betrachten, sondern Einzelaspekte der komplexen Problematik herausgreift. Es gibt nicht so etwas wie das Thema Nachhaltigkeit. Man kann über jedes Thema mit der Nachhaltigkeitsbrille berichten – auch über High-Heels: unter welchen Bedingungen werden sie hergestellt, wer hat sie gemacht, haben Kinder dran gearbeitet, wo kommt das Leder her, was ist im Lack enthalten. Die soziale, ökologische und ökonomische Dimension kann man bei jedem Thema anwenden. Es gibt keinen Grund zu sagen, dass das Thema zu sperrig ist.

Wie gehen Medien mit dem Thema Nachhaltigkeit um?

Fernsehen hat sehr eigene Probleme. Fernsehen braucht eine Visualisierung, was nicht immer einfach ist. Bei Zeitungen wird der Begriff Nachhaltigkeit relativ problemlos gebraucht, allerdings sehr dominant im Bereich Politik und Wirtschaft. Das Thema ist auch in der Boulevardpresse angekommen. Über die Klimadebatte berichtet sogar die Bildzeitung. Das Thema ist in den Medien immer mehr präsent, wenn auch bisweilen noch mit diesen negativen Vorzeichen. Als der Hurrikan Katrina in den Medien war, konnte man auch eine Steigerung des Begriffes Nachhaltigkeit feststellen.

Wie nehmen Leser und Hörer das Thema auf?

Wir haben das an sekundengenauen Einschaltquoten einer Fernsehsendung untersucht. Nachhaltigkeit ist kein Anlass, wegzuschalten, ist also kein Quotenkiller. Ähnliche Erfahrungen kann man in Zeitungen und Zeitschriften machen. Das Thema Ökologie wird auch gebündelt mit gesünderem Essen und erfasst auch Designermode. Das interessiert nicht nur Altfreaks, Hippies und Grüne.

Ihr Projekt will Nachhaltigkeit mittels des Ecotainment-Konzepts weiterverbreiten. Was steckt hinter diesem Konzept?

Das Konzept kommt aus dem Marketing. Es geht ums Lernen aus der Werbung. In ihr wird lösungsorientiert argumentiert, mit positiven Emotionen und persönlicher Relevanz. Das hat psychologische Hintergründe. Das Bild des modernen nachhaltigen Menschen ist nicht mehr das des konsumfeindlichen Hippies mit Jesuslatschen. Der moderne Mensch würde all die Dinge tun, die schön sind und Spaß machen, aber eben auch darauf achten, dass so etwas wie Fairness und Gerechtigkeit mit hinein passt.

Sie haben dieses Konzept anhand der Sendung „Welt der Wunder“ getestet. Was ist dabei heraus gekommen?

Zum einen konnten wir nachweisen, dass Nachhaltigkeit als Thema akzeptiert wird. Wir wollten wissen, aus welchen Gründen Leute wegschalten. Nachhaltigkeit ist es nicht. Es sind eher Dinge wie die Machart der Sendung oder die Erwartung an sie. Kommen Dinge, die man nicht erwartet, fühlen sich Menschen im falschen Film und schalten weg.

Worauf bezieht sich Erwartung in diesem Fall?

Es gab im Rahmen von „Welt der Wunder“ eine Sendereihe, in der Unternehmen gezeigt wurden, die Dinge entwickeln, die im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit interessant sind, z.B. eine Bodenversiegelung, durch die das Regenwasser durchläuft, damit die Fläche nicht versiegelt ist. Um diese Innovationen auch virtuell und emotional zu verdeutlichen, hat man junge, damals noch unbekannte deutsche Bands präsentiert. In “Welt der Wunder“ fand der erste Auftritt der Band Tokio Hotel im Fernsehen statt. Was aber passiert ist: die Einschaltquoten sind gefallen. Wenn man „Welt der Wunder“ schaut, erwartet man eben Themen, die Wissen vermitteln. Junge Bands passen in diese Erwartungshaltung nicht rein.

Ein anderer Grund, warum Leute abschalten, war ein formaler Aspekt. Der Ausdruck dafür ist Talking Heads, also wenn Experten in die Kamera schauen und etwas erzählen. Da ist egal, was sie sagen. Es ist für die meisten Zuschauer viel wichtiger, dass visuell etwas passiert.

Es gibt auch Kritik an der Idee, durch Konsum die Welt und die Wirtschaft zu verändern. Menschen, die auf Umwelt und Nachhaltigkeit Wert legen, können auch viele Ressourcen verbrauchen, indem sie dennoch häufig fliegen, eine große Wohnung besitzen oder einfach viel konsumieren, auch wenn dies nach bestimmten ethischen Kriterien erfolgt. Kann es nicht sein, dass Ecotainment in die falsche Richtung geht?

Im Prinzip ja, aber was wäre die Alternative? Dass man fliegt, aber keine CO2-Abgabe leistet? Dass man Bananen isst, aber nicht darauf achtet, unter welchen Bedingungen sie hergestellt sind? Man muss anfangs auch mit kleineren Ergebnissen zufrieden sein. Es geht darum, was wir tun können, ohne die Gesellschaft als Ganzes radikal in Frage zu stellen. Da muss man einfach bescheidener sein. Es ist ein Anfang, ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch das Ziel noch nicht erreicht ist. Es ist der Versuch, ökologisch zu sein unter traditionellen Bedingungen – der Versuch, einen Wertewandel in einem veränderten Konsumbewusstsein zu initiieren.

Wie kann man Nachhaltigkeit am besten kommunizieren, damit es die Leute auch verstehen und ihr Handeln ändern?

Die Inhalte müssen mit ihnen selbst zu tun haben. Man muss dem Einzelnen zeigen, wo er sein Verhalten ganz konkret ändern kann – kleine Schritte, die aber in der Summe auch die großen Dinge bewegen. Das sind Dinge, wo es der Zuhörer oder Zuschauer selbst in der Hand hat, sie zu verändern, zum Beispiel, welchen Stromanbieter man hat und dass man auf nachwachsende Energieformen achtet. Die persönliche Relevanz und das Individuum sollten mehr im Mittelpunkt stehen.

Die Komplexität des Themas lässt sich damit immer noch einfangen?

Man muss überlegen, ob man ein Thema mit allen Dimensionen und vollständig erläutern will, auch unter der Gefahr, die Zuhörer zu verlieren, oder ob man zufrieden damit ist, vielleicht nicht alles in seiner Komplexität rüber gebracht zu haben, aber dass bestimmte Elemente, die einem wichtig sind, ankommen.

Wenn man Leute erreichen möchte, die dem Thema nicht zugänglich sind, muss man eine Sprache wählen, die sie verstehen. Das ist nicht unbedingt das, was man von einem wissenschaftlichen Diskurs erwartet. Wenn man komplexe Themen einem Publikum vermitteln will, das nicht aus Experten besteht, muss man hinnehmen, dass Komplexität verloren geht. Oder anders ausgedrückt: Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.

Mark Hammer, science.ORF.at

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