Die Akustikerin Maria Fellner untersucht, wie das funktioniert.
science.ORF.at: Sie leiten einen Forschungsschwerpunkt für Intelligente Akustische Lösungen. Was sind solche?
Maria Fellner: Heutzutage wird bereits viel mittels Video überwacht. Doch man kann auch Geräusche analysieren. Der Vorteil dessen ist, dass man Dinge hören kann, die man im Bild nicht sieht. Manchmal kann man sie auch schneller hören, als man sie sehen kann. Man verarbeitet verschiedene Sinneseindrücke von einem Ereignis gemeinsam, wie es ja auch der Mensch in seiner Wahrnehmung tut. Dann erfährt man mehr über die Umgebung. Dieses akustische Monitoring lässt sich im Sicherheitsbereich anwenden, wo es um kritische Infrastruktur geht, aber auch im Bereich Multimedia oder Verkehrstelematik.

Foto: Martin Vukovits
Maria Fellner hat Elektrotechnik-Toningenieur an der TU Graz und der Kunstuniversität Graz studiert. Sie leitet bei Joanneum Research den Forschungsschwerpunkt Intelligente Akustische Lösungen und koordiniert unter anderem das Projekt „Advanced Audio Processing“ im Rahmen des Comet-Programms der FFG. Daneben lehrt sie an der TU Graz im Bereich Akustik.
Sie ist Geschäftsführerin der Österreichischen Gesellschaft für Akustik. 2007 gewann Fellner das Stipendium „Frau in der Wirtschaft“ für den Professional MBA „Entrepreneurship & Innovation“ an der WU Wien und TU Wien, den sie 2009 mit einer Masterthese auf dem Gebiet Innovationsmarketing abschloss. Im August 2006 war sie FEMtech-Expertin des Monats.
Wie die meisten Ihrer Kollegen und Kolleginnen aus dem Arbeitsbereich der Akustik spielt Fellner in ihrer Freizeit Musik, segelt aber auch gerne.
Bei den diesjährigen Technologiegesprächen des Europäischen Forums Alpbach diskutiert Fellner im Arbeitskreis "Innovation für Soziale Verantwortung - Chancengleichheit in einem digitalen Zeitalter".
Sie haben an Ihrem Institut eine Methode entwickelt, um Tunnel akustisch zu überwachen. Wie funktioniert das?
Wenn in einem Tunnel ein kritisches Ereignis auftritt, sollte man das möglichst rasch erkennen, damit man Maßnahmen einleiten kann. Beim akustischen Tunnelmonitoring wurde zu jeder Kamera ein Mikrofon installiert. In den aufgenommenen Geräuschen werden etwa Reifenquietschen, ein Unfall, Schreie von Menschen oder der Lärm erkannt, wenn Ladegut verloren geht. Vor Kurzem ist das System im neu eröffneten Tunnel Kirchberg an der S35 weltweit erstmals in Betrieb gegangen.
Warum kann man manche Ereignisse akustisch schneller oder besser wahrnehmen als optisch?
Wenn Rauch im Tunnel auftritt, sind die Kameras binnen kürzester Zeit blind, man kann aber immer noch hören, was los ist. Manchmal kann es sein, dass man im Bild etwas nicht genau sieht, weil die Auflösung nicht hoch genug ist. Wenn verlorenes Ladegut nicht groß ist, ist es im Bild schwer erkennbar, aber vielleicht trotzdem am Geräusch – zum Beispiel wenn eine Eisenstange herunterfällt. Reifenquietschen kann man gar nicht sehen, sondern nur hören. Es geht aber immer um die Summe der erfassten Ereignisse, die ein verbessertes Gesamtbild ergeben.
Überwachen mit Mikrofonen bezieht sich also auf technische Bereiche, nicht auf den öffentlichen Raum?
Den betrifft es derzeit nicht. Man könnte aber überlegen, Mikrofone einzusetzen, wo Kameras die Intimsphäre zu sehr verletzen, weil man dabei kein Gesicht sieht, das identifizierbar wäre. Wenn man jemanden schreien hört, weiß man, dass etwas Kritisches passiert ist, und kann jemanden hin schicken, um nachzusehen.
Sie untersuchen auch, wie Produktgeräusche Kaufentscheidungen beeinflussen, worum geht es da?
Das ist der Bereich des Sounddesigns. Geräusche oder der Klang eines Produktes beeinflussen die Kaufentscheidung stark, aber unbewusst. Man schaut bei einem Auto vielleicht bewusst auf die Farbe, auf ein Geräusch hört man aber weniger. Trotzdem kann man nicht weghören, denn man kann ja die Ohren nicht zuklappen. Sounddesign wird in der Produktentwicklung schon länger genutzt, um Produkte zu optimieren.
Betrifft das nur Produkte wie zum Beispiel Autos oder Audio- und Medienprodukte, bei denen Klang und Geräusche eine große Rolle spielen?
Nein, das bezieht sich auch auf Haushaltsgeräte bis hin zu Nahrungsmitteln wie Müsli- und Schokoriegel.
Also das Knacken des Riegels?
Genau. Manche Werbungen sind sogar auf das Hören ausgelegt. Es gibt eine Werbung für einen Rasierer, in der es heißt, dass man den Unterschied nicht sehen, aber hören kann.
Welche Frequenzen oder Geräusche sind für Menschen besonders störend und welche hören wir eher gerne?
Das ist schwer zu sagen. Es sind viele einzelne Aspekte, die ein Ganzes ergeben. Der einzelne Wert, ob ein Geräusch unangenehm ist oder nicht, ist schwer zu definieren. Das untersucht zum Beispiel die Psychoakustik, zusätzlich kommt noch der Kontext hinzu. In der Psychoakustik erstellt man Modelle für den Zusammenhang zwischen objektiv messbaren Größen und subjektiver Wahrnehmung. Wenn man Befragungen der Konsumenten mit Messungen vergleicht, kann man beurteilen, wie gut oder angenehm ein Geräusch beurteilt wird. Wir haben dazu eine Software erstellt, deren Ergebnisse man auch als Merkmale zum Erkennen von Geräuschen verwenden kann.
Wie lassen sich bestimmte Geräusche technisch erkennen und unterscheiden?
Man muss die Geräusche oder Schwingungen zuerst mit einem Sensor (einem Mikrofon, Schwingungssensor, etc.) detektieren und kann dieses Signal dann im Computer verarbeiten. Dafür werden aus dem Signal bestimmte Eigenschaften, sogenannte Merkmale, errechnet. Für das Tunnelmonitoring heißt das vereinfacht: Hupen ist ein harmonischer Ton, ein Zusammenstoß ist ein nicht-harmonisches Geräusch. Oder man betrachtet den Zeitverlauf: ob das Geräusch etwa rhythmisch ist.
Mit vielen dieser Merkmale kann man eine Mustererkennung durchführen, welche die Geräusche automatisch in verschiedene Klassen einteilt. Während der Entwicklung benötigt man viele Daten, deren Inhalt man kennt, um das System zu trainieren. Sobald das System selbst eine entsprechende Intelligenz erlangt hat, verarbeitet es nur mehr die einlangenden, unbekannten Daten und liefert die Klassifikation dieser Daten als Ergebnis.
Im Workshop des Forums Alpbach, an dem Sie teilnehmen, geht es um soziale Innovation. Was kann man sich darunter vorstellen?
Technologiegespräche in Alpbach
Von 26. bis 28. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Entwurf und Wirklichkeit in Forschung und Technologie". Dazu diskutieren Minister, Nobelpreisträger und internationale Experten.
In den nächsten Wochen erscheinen in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Lange Zeit wurde Innovation hauptsächlich auf Technik bezogen. Doch der soziale Aspekt von technologieorientierter Forschung ist auch sehr wichtig. Technik ist nicht per se gut oder schlecht. Es kommt darauf an, was man daraus macht. Das hat immer auch einen sozialen Aspekt. Technologien verändern ja auch das Verhalten von Usern. Sozialwissenschaftliche Partner werden in technologieorientierte Forschung eingebunden, um diese Aspekte abzudecken. Soziologen sehen die Dinge anders als naturwissenschaftlich und technisch orientierte Forscher.
Man kann die Fragestellung auch umdrehen: Welche sozialen Herausforderungen gibt es und wie könnten technische Innovationen dazu aussehen? Innovation besteht laut einer gängigen Definition aus einer Erfindung und ihrer wirtschaftlichen Umsetzung. Unter sozialer Innovation versteht man oft eine Lösung für eine soziale Herausforderung, die dann – bezogen auf den sozialen Aspekt, weniger auf die Technik – effizienter, nachhaltiger und besser ist, als eine vorhandene Lösung.
Wo wird das angewandt?
Zum Beispiel bei Ambient Assisted Living. Es geht darum, dass die Umgebung für alternde Menschen unterstützend ist. Man versucht durch Technik, Menschen länger in der Gemeinschaft mit anderen zu halten oder ihnen beim eigenständigen Wohnen zu helfen. Man muss sich aber auch die soziale Akzeptanz einer Technologie anschauen. Wenn man etwas entwickelt, das dann nicht akzeptiert wird, wird die wirtschaftliche Umsetzung scheitern.
Wird bei Ambient Assisted Living auch Akustik angewandt?
Ja. Man kann hören, wenn alte Leute daheim einen Umfall haben, wenn es Abweichungen von normalen Gegebenheiten gibt. Dann weiß man, ob man nachschauen muss. Dazu kommt die Kommunikation mit Verwandten oder mit einer Leitstelle. Die kann zum Beispiel über den Fernseher erfolgen.
Haben Sie ein Lieblingsgeräusch?
Ein Lieblingsgeräusch habe ich eigentlich nicht. Eher einen Lieblingskomponisten: Bach. Und ich mag auch die Stille sehr gern.
Mark Hammer, science.ORF.at