"Unser Ziel ist es, Naturgesetze über menschliches Gruppenverhalten aufzudecken", erklärte Stefan Thurner vom Institut für Wissenschaft komplexer Systeme. Die von ihm, seinem Dissertanten Michael Szell und Ranaud Lambiotte durchgeführte Arbeit wurde nun in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.
Die Studie:
"Trade, conflict, and sentiments: Multirelational organization of large-scale social networks" von Michael Szell et al. in den "Proceedings of the National Academy of Sciences".
Szell hatte das Online-Spiel "Pardus" aus rein spielerischem Interesse vor fünf Jahren online gestellt. In einem futuristischen Universum ringen dabei "Händler, Piraten, Schmuggler und andere Piloten verschiedenster Rassen und Zugehörigkeiten um Wohlstand und Ehre im Weltall", wie es auf der Homepage des Spiels heißt. Pardus ist ein so genanntes "Massively Multiplayer Online Role-Playing Game" (MMORPG).
Für seine Dissertation im Bereich komplexer Systeme hat Szell nun die Terabyte an Daten, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben und die jede Bewegung und jede Handlung der Mitspieler umfassen, gemeinsam mit Thurner analysiert.
Ein Beitrag zur Soziophysik
Für ihren Beitrag zu einer Soziophysik stehen laut Thurner erstmals die - anonymisierten - Nutzerdaten eines solchen Online-Spiels zur Verfügung. Bisher hätten datenschutzrechtliche Bedenken das verhindert, erst seit Kurzem würden auch vom Spiele-Klassiker "Second Life" Daten bereitstehen. Mit solchen Daten würden Physiker nun beginnen, "die aus ihrem Fach bekannten Methoden auf Gesellschaften anzuwenden - auf Vorhersagen bedacht und in einer Form, dass es experimentell überprüfbar ist".
"Wir sind im Gegensatz zu den meisten Soziologen überzeugt, dass es Gesetze gibt, nach denen große Gruppen funktionieren, die man für Vorhersagen von Gruppenverhalten verwenden kann", sagte Thurner. Diese Gesetze seien im Gegensatz zur Physik nicht universell, sondern würden sich über die Zeit ändern, und seien von Kultur zu Kultur verschieden.
Thurner sieht die Arbeit ganz in der Tradition der Verhaltensökonomie, "nur dass man die Experimente nicht wie bisher mit 20 Studenten durchführt, sondern mit 300.000 Leuten, die nicht ständig darüber nachdenken, dass sie an einem Experiment teilnehmen".
Online ähnelt offline
Konkret haben die Wissenschaftler sechs verschiedene Interaktions-Typen mit Hilfe netzwerktheoretischer Methoden analysiert: drei mit positiver Note (Freundschaft, Kommunikation, Handel) und drei negative (Feindschaft, Angriff und Bestrafung).
"Wir messen, wie sich soziale Spannungen aufbauen und auflösen, wie sich Freundschaften ausbreiten, wie typische Feindschaftsnetzwerke aussehen, welchen Einfluss Kommunikation auf Handel hat, wie aggressives Verhalten von der Gruppe geahndet wird, etc.", so Szell.
Das für Thurner vorerst überraschendste Ergebnis der Analysen ist, "dass sich die Leute im Spiel ganz ähnlich verhalten wie in der realen Welt", wenn man die Spieldaten mit den bekannten Daten von untersuchten sozialen Netzwerken der realen Welt wie Freundschafts-oder Kommunikationsnetzwerken vergleicht. So würden etwa die Kommunikationsmuster in dem Spiel jenen von Handy-Nutzern in der Realität gleichen oder die wirtschaftlichen Daten im Spiel mit den Mustern realer Börsenkurse vergleichbar seien.
Positive Interaktionen sind reziproker
Weiters zeigte sich, dass negative Interaktionen weniger wechselseitig sind als positive: "Wenn jemand sagt, du bist mein Feind, antworten viel weniger Spieler 'Auch du bist mein Feind', im Vergleich zum positiven Angebot 'Du bist mein Freund', das viel öfters erwidert wird", so Thurner. Dies entspricht der Theorie der sozialen Balance, die der österreichische Psychologe Fritz Heider bereits vor über 60 Jahren aufgestellt wurde.
Gezeigt hat sich dabei auch, dass sich Frauen und Männer in diesem Verhalten deutlich unterscheiden, ein Ergebnis, das die Wissenschaftler in ihrer nächsten Arbeit genauer beleuchten wollen.
science.ORF.at/APA
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