Studien jetzt, Endbericht im Oktober
Der Census of Marine Life (CoML) ist die bisher größte Volkszählung in den Meeren. Die im Jahr 2000 begonnene Erhebung kam am 4. Oktober bei einer Veranstaltung in London zu ihrem vorläufigen Höhepunkt. Ein Großteil der Resultate war in gleich mehreren Untersuchungen im Journal "PloS One" nachzulesen. Einzelne Studien befinden sich auch auf der CoML-Homepage. Für die Volkszählung der Meeresbewohner werden zwei Datenbanken verknüpft: das Ocean Biogeographic Information System und das World Register of Marine Species.
Zu den bisherigen Funden gehören ein Urzeit-Krake, feengleiche Meeresschnecken, riesige Einzeller und besonders hitzeresistente Muscheln.
Nirgendwo sonst leben laut der "Meeresvolkszählung" so viele verschiedene Meerestiere wie rings um Japan und Australien. In beiden Seegebieten kommen jeweils rund 33.000 verschiedene Arten vor.
An der Zählung sind inzwischen rund 2.000 Forscher aus etwa 80 Ländern beteiligt. Nie zuvor ist die Frage "Was lebt im Meer?" so genau beantwortet worden. Und nie zuvor gab es so viel Grund zur Sorge, denn der Mensch bedroht die Vielfalt massiv.
Krebstiere kommen am häufigsten vor

Julian Finn, Museum Victoria
Dieser Drachenfisch aus Australien trägt sogar auf seiner Zunge Zähne; gut, dass er nur so groß ist wie eine Banane.
Das Meer um China, der kürzlich durch Öl verseuchte Golf von Mexiko und das Mittelmeer gehören ebenfalls zu den Top 5 der Arten-Rangliste, teilen die Teams mit. Fische sind dabei zwar die bekanntesten, aber bei weitem nicht die häufigsten Lebewesen.
Diese Rolle fällt den Krebstieren zu: Shrimps, Hummer, Krabben, Krill, Seepocken und andere Vertreter kommen auf 19 Prozent des Arteninventars. Weichtiere wie Tintenfische, Muscheln und Schnecken stellen 17 Prozent, und erst dann kommen mit zwölf Prozent die Fische. Darauf folgen Einzeller, Algen, Ringelwürmer und weitere Organismen.
Die Kosmopoliten der Meere

Shaoqing Wang
Großer Bootshaken (Lambis chiragra) heißt diese sternförmige Schnecke, gefunden in der Tiefsee vor China.
Die Forscher haben auch die am geografisch weitest verbreiteten Arten ermittelt: Dabei handelt es sich einerseits um Algen und Einzeller, andererseits um Meeresvögel und Meeressäuger, die im Laufe ihres Lebens die Ozeane queren.
Der Kosmopolit Nummer 1 unter Fischen dürfte der Viperfisch Chauliodus sloani sein, der in rund 25 Prozent der Weltmeere aufgefunden wurde.
Anzahl der Arten weiter unklar
Bei aller Mühe und der bislang zehnjährigen Arbeit ist die Volkszählung aber nur ein Beginn: "Dieser ersten Bestandsaufnahmen liegen spärliche und ungleich verteilte Proben zugrunde, die künftige Forschung wird den (bekannten) Bestand ganz ohne Zweifel verändern", erklärt Mark Costello, Hauptautor der Census-Zusammenfassung und Meeresbiologe Leigh Marine Laboratory der University of Auckland in Neuseeland.

Eduardo Klein
Dieser Feuerborstenwurm (Hermodice carunculata) trägt seinen Namen nicht zu Unrecht: Bei Berührung veströmt er über seine Borsten ein heftig brennendes Gift.
Heute umfasst der Katalog wissenschaftlich bekannter Arten etwa 230.000 Einträge - vom Einzeller bis zum Blauwal. Die Zahl der Fische liegt bei rund 21.800, heißt es bei den Wissenschaftlern. Das ist noch vergleichsweise vorsichtig formuliert: Auf jede bekannte Tierart im Meer könnten noch vier weitere existieren.
Das gilt indes weniger für gut erforschten Wale oder Haie als viel mehr für die kaum zu erfassende Unzahl kleiner Schnecken, Würmer, Muscheln oder Einzeller. Gänzlich unübersichtlich wird es, wenn Algen, Bakterien oder Viren hinzukommen.
Unbekannte Tiefsee

H. Bahena, Felder, D. L. and Camp, D. K. (eds.) 2009. Gulf of Mexico - Origins, Waters, and Biota. Bd. 1 Biodiversity. Texas A&M Press, College Station, Texas
Flohkrebse der Art Phronima sedentaria in einem Salpen, gefunden im Golf von Mexiko.
In den Ozeanen leben vermutlich rund zehn Millionen verschiedene Arten, sagte kürzlich Professor Pedro Martínez, Direktor des deutschen Forschungsinstituts Senckenberg am Meer von Wilhelmshaven. Diese Zahl sei eine Hochrechnung, aber vor allem in der Tiefsee tue sich eine riesige Vielfalt auf. Noch in sieben Kilometern Tiefe etwa finden sich Fische - bei einem Druck, der viele U-Boote zerquetschen würde wie eine Dampfwalze eine Coladose.
Besonders viel eingewanderte Fische, Mollusken und andere Tiere gibt es im Mittelmeer zu sehen. Hier leben mehr als 600 Neuankömmlinge - mehr als vier Prozent aller Arten in diesem Gebiet. Die Herkunft ist zumeist das Rote Meer, als Verbreitungsweg dient meist der Suezkanal.

JAMSTEC
Die Tiefseequalle Atolla wyvillei nutzt ihre Biolumineszenz, um bei einem Angriff Alarm zu geben; gefunden vor der japanischen Küste in 800 Meter Tiefe.
Überfischung der Meere
Dem scheinbaren Überfluss zum Trotz: "Die See ist in Schwierigkeiten", sagt Nancy Knowlton von der Smithonian Institution in Washington, Leiterin der Arbeitsgruppe für die Riffe. "Ihre Bewohner haben in keinem nationalen oder internationalen Gremium Sitz oder Stimme, aber sie leiden, und müssen gehört werden."
Die größte Bedrohung geht von der Überfischung der Meere aus, die seit vielen Jahren im Detail bekannt ist und von Warnungen begleitet wird - oft ohne Konsequenz. Der Verlust der Lebensräume, einwandernde Arten, Verschmutzung, Überdüngung, Sauerstoffmangel, Verklappung von Müll oder die Versauerung der Meere sind weitere Probleme.

MAR-ECO/Marsh Youngbluth
Rippenqualle der Art Bathycyroe fosteri, gefunden am mittelatlantischen Rücken.
Die Überfischung entfernt nicht allein Fische aus dem System, sondern ändert es damit. Wenn über Jahrzehnte riesige Fischschwärme weggefangen werden, wachsen Algen massenhaft. Das wiederum hilft Quallen, die sich explosionsartig vermehren und dann alle möglichen weiteren Meeresorganismen fressen.
Damit ist ein ursprünglich stabiles, vielfältiges Zusammenspiel der Arten zerstört. Auch der Mensch hat dann nichts mehr zu fischen außer Quallen, die keinen Nährwert besitzen.
science.ORF.at/dpa
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Montag, 20. September 2010, 09:30