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Eine Frau durchbricht mit ihren Händen eine Mauer (vermutlich aus Pappe)

Feminismus als Werkzeug der Wissenschaft

Sich zum Feminismus zu bekennen, ist heutzutage nicht gerade populär. Margarete Maurer tut es dennoch. Die Philosophin und Biochemikerin hält den feministischen Blick in der Forschung für ein wichtiges Werkzeug, bei dem es nicht alleine um stereotype Geschlechterrollen, sondern um die Kontrolle von Qualität geht.

Gender 23.08.2010

Feministische Kritik bedeute letztlich, Wissenschaft reflektiert zu betreiben, erklärt Margarete Maurer im Gespräch mit science.ORF.at.

science.ORF.at: Wie definieren Sie eigentlich Feminismus für sich als Wissenschaftlerin?

Porträtfoto der Biologin und Philosophin Margarete Maurer

privat

Margarete Maurer ist Biochemikerin und Philosophin. Sie arbeitet als freischaffende Wissenschaftlerin und Vortragende für theoretische und gesellschaftliche Aspekte in den Life Sciences u.a. an der Universität Wien und Innsbruck. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte liegt dabei auf feministischer Forschung in den Naturwissenschaften.

Margarete Maurer: Es hat etwas gedauert, bis ich selbst zur Frauenforschung oder sogenannten "feministischen Forschung" gekommen bin. Ich habe Biochemie studiert, ein Fach, in dem damals von 30 StudienanfängerInnen immerhin fünf weiblich waren - also mehr als zum Beispiel in technischen Studienfächern. Im Laufe der Zeit war dann für mich klar, dass es Arbeitsbereiche gibt, die stark auf männliche Lebenszusammenhänge hin orientiert sind. Das wirkt sich für Frauen z.B. in Schwierigkeiten bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus und in den beruflichen Perspektiven.

"Feminismus" lässt sich nicht so einfach definieren. Denn Feministinnen vertreten oft Anliegen, die auch andere Bewegungen vertreten, wie Ökologie, Antirassismus, Demokratie und politische wie individuelle Freiheitsrechte. Feminismus bezeichnet dabei eine Perspektive, die die Interessen von Frauen als solchen berücksichtigt: hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Frau-Seins. Ziel des Feminismus ist, dieses zu verbessern und z.B. Benachteiligungen aufzuheben. Bezogen auf die Wissenschaft geht es also u.a. um eine Forschung und Praxis, die keine sichtbaren oder unsichtbaren Aspekte der Diskriminierung, bzw. benachteiligende Implikationen beinhaltet. Dies ist insbesondere in solchen Fachgebieten wichtig, in denen "der Mensch" auch einen Gegenstand der Forschung darstellt.

Was verstehen Sie dann unter "feministischer Forschung"?

Feministische Forschung ist vom Ansatz her grundsätzlich interdisziplinär. In der Biologie bzw. in den Lebenswissenschaften beinhaltet sie u.a. Fragestellungen philosophischer, wissenschaftstheoretischer, ethischer, soziologischer und historischer sowie didaktischer Art. Ihr Zugang ist wissenschaftskritisch mit dem Ziel einer "besseren" Wissenschaft bzw. der Neugestaltung naturwissenschaftlichen Herangehens und Forschens.

Besonders vielversprechend finde ich hier den Ansatz der Gruppe um den bekannten Entwicklungsbiologen Scott Gilbert: Dieser vertritt den Ansatz, dass feministische Kritik eine Art notwendiges Tool, ein Handwerkszeug darstellt, um bei jedem Forschungsprojekt nochmals eine Qualitätskontrolle durchzuführen. Spätestens bei den Ergebnisinterpretationen sollte also z.B. gefragt werden, ob sich androzentrisch geprägte geschlechtsspezifische Einflüsse oder kulturelle Muster eingeschlichen haben könnten. Diese sind dann zu korrigieren.

Ich bin der Meinung, dass diese Qualitätskontrolle nicht nur bei der Durchführung, sondern schon bei der Konzeption eines Forschungsprojekts, in dessen gesamten Verlauf bzw. Durchführung sowie bei der Gestaltung und Evaluierung von Forschungsprogrammen durchgeführt werden sollte.

Frauen - wer genau ist das denn nun eigentlich?

Wenn ich von "Frauen" als gesellschaftlicher Gruppe spreche, ist das nicht so einfach definierbar, wie es klingt. Vielmehr ergeben sich dabei einige Paradoxien. Es besteht die Gefahr, in einen Biologismus zu fallen, der ja gerade überwunden werden sollte. Auch die soziologische Kategorie "Frauen" hat ihre Schwierigkeiten: Unter den Frauen gibt es ja viele unterschiedliche Lebenslagen. Die Gattin eines Fabrikbesitzers hat wahrscheinlich viel mehr gemein mit einem Fabrikbesitzer als mit einer Arbeiterfrau. Es besteht daher auch die Diskussion, was heißt "Frau-Sein" und gibt es dafür eine gemeinsame Basis für alle Frauen?

Es geht dabei einerseits um Emanzipation und andererseits um Gesellschaftsanalyse und Wissenschaftskritik: Eine Grundfrage lautet z.B.: Wenn die Führungspositionen einer Wissenschaft hauptsächlich mit Männern besetzt sind, könnte dies auch Auswirkungen haben auf die Auswahl der fachlichen Themen, auf die Vorgangsweisen und Methoden und auf die verwendete Sprache und die Darstellungsweisen? Der Eindruck ist, dass in die Ausformung unserer Technik und Forschung vorrangig die Erfahrungen, Perspektiven und Interessen nur einer sozialen Gruppe eingegangen sind, nämlich die von männlichen Gesellschaftsmitgliedern.

Wie äußern sich solche Einflüsse?

Vergleichsweise einfach ist dies in der Biologie, wo es um eine phänomenologische Beobachtung und Darstellung geht. Wie werden Tierarten z.B. in Schulbüchern dargestellt? Solche Analysen habe ich früher für deutsche Schullehrbücher durchgeführt. Da wurde z.B. die Art der Haushühner dargestellt in der Sozialform "Hahn mit seinem Harem". Das sind Übertragungen traditioneller androzentrischer Denkgewohnheiten bei uns. Das Alphatier steht oben und die anderen gehören ihm. Der Hahn hat bekanntlich vor allem spezifische Aufgaben zu erfüllen. Er muss zum Beispiel auf Raubvögel achten und die anderen warnen.

Das "Hühnervolk" könnte also auch ganz anders beschrieben werden: mehrere Hennen halten sich gemeinsam für Sicherheitsaufgaben und zu Befruchtungszwecken einen Hahn. Das ist ein ganz anderes Bild - zugegebenermaßen ähnlich subjektiv konstruiert.

Auf einer etwas komplexeren Ebene ist die Methodenkritik in biologischen und biomedizinischen Fachgebieten zu nennen. So kritisiert z.B. Anne Fausto-Sterling vehement, dass bei Tierversuchen in der medizinischen Forschung oft ausschließlich männliche Tiere genommen wurden. Männliche Ratten haben einen weniger komplizierten Zyklus bzw. konstanteren Stoffwechsel als weibliche, so dass sich die experimentellen "Randbedingungen" (die nicht interessierenden Vorgänge oder Faktoren) mit männlichen Tieren besser konstant halten lassen. Ein Effekt lässt sich einfacher messbar machen. Ein solches Vorgehen hat also massive Vorteile, doch wie "objektiv" ist es? Die ganze weibliche Spezies kommt in dem Fall ja gar nicht ins Bild.

Tradiert denn die moderne Naturwissenschaft alte Geschlechtsstereotype?

Wo es in der biologischen Forschung um sexuelle Reproduktion geht, haben überlieferte männliche Vorstellungen vom aktiven Männchen und passiven Weibchen jahrhundertelang eine dominante Rolle gespielt. Doch generell lässt sich das so nicht sagen. Ein DNA-Zentrismus im Sinne einer "Kernnatur" des Menschen ist wissenschaftlich überholt. Eine Analyse der biologischen Definitionen von "Geschlecht" zeigt, dass es beim Homo sapiens sapiens keineswegs nur zwei Geschlechter gibt, sondern mehrere und fließende Übergänge zwischen männlich und weiblich.

Insofern gibt es "die "Buben" und "die Mädchen" als strikte Gruppen gar nicht. Die soziologischen und psychologischen Differenztheorien werden damit biologisch hinfällig. Hinsichtlich des Menschen bevorzuge ich persönlich einen aus der Thermodynamik stammenden Ansatz: Der Mensch jeden Geschlechts ist als dynamisches System zu betrachten. Je nach den äußeren Einflüssen und inneren Systemvoraussetzungen versucht das System sich auszugleichen. Geschlechtszugehörigkeit ist dabei nur ein Aspekt.

In manchen biologischen Disziplinen spielt heute die Geschlechtsspezifität eine untergeordnete Rolle. In der Hirnforschung z.B. ist die individuelle Plastizität des Gehirns viel wichtiger und die Forschung über Funktionen wie Gedächtnis und Lernen interessanter. Im Sinne der nötigen "feministischen Qualitätskontrolle" auf allen Stufen und Ebenen der biologischen Forschung ist Geschlechtsspezifität allerdings zu berücksichtigen.

Bleiben wir bei Frauen als Wissenschaftlerinnen. Gibt es einen weiblichen Stil in der Naturwissenschaft?

Historisch betrachtet sind Frauen oft in Gebiete gegangen, die neu waren. Wenn es sich dann als interessant und vielversprechend erwies, drängten die Männer hinein. Ein gut belegtes Beispiel dafür stellt die "Farbenforschung" am Radium-Institut im Wien der ersten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts dar, mit Untersuchungen von Olga Steindler und Marietta Blau http://lise.univie.ac.at/physikerinnen/historisch/marietta-blau.htm). Ein anderes Gebiet ist die moderne RNA-Forschung. Es kommt auch vor, dass sich männliche Wissenschaftler "bedroht" fühlen, wenn Frauen in einem als "männlich" konnotierten Gebiet reüssieren.

Ich kann aber nicht sagen, nur weil jemand eine Frau ist, betreibt sie eine "andere" Wissenschaft. Im Gegenteil: Um in auf männliche Lebenszusammenhänge zugeschnittenen Strukturen durchzukommen, passen sich viele erst einmal an. Besonders im deutschsprachigen Bereich besteht eine Tendenz, Frauen, die "feministische" Wissenschaft" versuchen, zu ghettoisieren. Sie werden dann als Wissenschaftlerin oft nicht mehr ernst genommen. Auch eine "feministisch" orientierte Forscherin vertritt aber eine Wissenschaft mit Objektivitätsansprüchen.

Wer also das Tool "feministische Kritik" anwendet, könnte sagen: "Ich betreibe feministische Wissenschaft". Sie oder er könnte aber auch einfach sagen: "Ich betreibe eine reflektierte Wissenschaft". Ich stelle mir mittlerweile verstärkt die Frage, ob der Feminismus-Begriff noch notwendig oder zeitgemäß ist. Mein Eindruck ist: Um die Anliegen "des Feminismus" wissenschafts- oder gesellschaftspolitisch durchzusetzen, mag er wenig effektiv sein. Für die Naturwissenschaften stellt er aber ein fachlich innovatives Konzept dar.

Tobias J. Körtner, Ö1 Wissenschaft

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