In Europa wurde diese Strömung lange Zeit kaum rezipiert. Zum 100. Todestag von William James am 26. August wurde nun an der Technischen Universität Dortmund ein William James Forschungszentrum eingerichtet. Es ist das erste seiner Art im deutschsprachigen Raum.
Nicht pragmatisch im heutigen Sinn

Emory University
William James (1842-1919) war jemand, den man heute als interdisziplinären Forscher bezeichnen würde. Er studierte und lehrte Medizin, Psychologie und Philosophie. Über seine großbürgerliche Familie - sein jüngerer Bruder war der Schriftsteller Henry James - beschäftigte er sich auch mit Literatur und Kunst. Seine Hauptwerke sind:
Wenn man von der Philosophie des Pragmatismus spricht, kommt man nicht umhin, sie von der Alltagsbedeutung des Wortes abzugrenzen. Als pragmatisch gelten heute Menschen, die ihr Leben bodenständig führen und sachlich handeln, die aber auch wenig kreativ und auch nicht sehr originell sind. "Jemand, der nur pragmatisch denkt, der denkt nicht an die Mystik, an das Schöne, an die Romantik. Genau das gilt für den Pragmatismus und für William James aber nicht, Mystik hat für ihn z.B. eine wichtige Rolle gespielt", erklärt Logi Gunnarsson, Leiter des William James Forschungszentrums.
Der Begriff Pragmatismus, wie ihn James und Charles Sanders Peirce geprägt haben, richtete sich gegen die Hauptströmungen der europäischen Philosophie. Auf der einen Seite gegen die Erkenntnistheorie von Idealismus und Rationalismus, die von absolut sicheren Prämissen ausgehen. Auf der anderen Seite gegen den Empirismus, der seine Erkenntnis daraus gewinnt, dass man die Welt beobachtet und gewissermaßen passiv auf sich einwirken lässt, wie es Logi Gunnarsson ausdrückt.
"Der dritte Weg ist der pragmatische Weg: Dabei geht man weder von sicheren Prämissen aus noch lässt man die Welt passiv auf sich einwirken, sondern man agiert aktiv in der Welt und kommt damit zu der Erkenntnis. Insofern sind die Konsequenzen der Anwendung einer Theorie für ihre Bewertung entscheidend."
Der "Barwert der Wahrheit"
Im Wort pragma - griechisch für Handlung - steckt schon das Wesen des Pragmatismus von James. Entscheidend für eine Theorie ist die Frage, zu welchen Folgen sie in der Praxis führt. Wenn sie zu keinen führt, dann ist die Theorie bedeutungslos. James spricht in diesem Sinn vom "Barwert der Wahrheit, der in Erfahrungsmünze umzurechnen ist." Von Kritikern in Europa wie Bertrand Russell oder Max Horkheimer wurde ihm das oft als simpler Ökonomismus und unkritisches Zweck-Mittel-Denken verübelt. James bekam den Ruf eines "typisch amerikanischen Philosophen", einem Denker des Kapitalismus.
Für Logi Gunnarsson ist das ein Missverständnis. Der gebürtige Isländer versteht den Pragmatismus nicht als Lobpreisung der Ökonomie, sondern als Abkehr von Ideologie. Und auch als Antwort auf den amerikanischen Bürgerkrieg, der von 1861 bis 1865 ausgetragen wurde, aber durch den Konflikt von Ideologien verursacht war.
William James Forschungszentrum
Logi Gunnarsson ist Leiter des William James Forschungszentrums, das vor zwei Monaten an der Technischen Universität Dortmund eingerichtet wurde. Mit einer Bibliothek, Konferenzen und Gastaufenthalten von Wissenschaftlern soll das Erbe des Pragmatismus weitergetragen werden.
"Der Ausdruck 'Barwert der Wahrheit' ist insofern amerikanisch, als er seine Wurzeln in der amerikanischen Geschichte hat. Er wendet sich nach den Erfahrungen des Bürgerkriegs von Ideologien ab. Aber mit Barwert ist nicht der reine Geldwert gemeint, das ist nur eine Metapher. Es geht eigentlich um das Handliche, das, was man bar hat. Womit man zahlt, ist etwas, womit man auch hantiert, damit tut man etwas. Insofern ist der Begriff schon amerikanisch: Er meint das Tun, die Handlung, aber nicht das Geld."
Beispiel Willensfreiheit
Letztlich ist es der Nutzen, der bei William James im Mittelpunkt steht. Die Wahrheit einer Behauptung besteht für ihn in ihrem Nutzen, wobei dieser je nach Thema höchst unterschiedlich sein kann. "Man kann den Nutzen einer Behauptung über die Bestandteile von Molekülen nicht danach werten, ob man mit dieser Behauptung glücklich wird. Sondern es geht um den Nutzen der Behauptung in der Wissenschaft: Was macht man mit dieser Theorie, wie kann man sie umsetzen?", erklärt Gunnarsson.
Ein anschauliches Beispiel für die pragmatische Wahrheitstheorie ist die Frage der Willensfreiheit, die laut James nicht alleine theoretisch zu klären ist. "Wenn jemand frei ist, dann hätte er anders handeln können. Wie aber soll man klären, ob er oder sie das wirklich kann? Für James ist das nicht theoretisch beantwortbar, sondern nur im Vollzug der Theorie im Leben. Man nimmt an, dass man frei ist und dementsprechend handelt - und das ist entscheidend für ein sinnvolles Leben, für die Moralität."
Gut für die Moral
Ö1 Hinweis:
Dem Thema widmete sich auch ein Beitrag im Ö1 Dimensionen Magazin am Freitag, 20. August, 19.06 Uhr in Radio Österreich 1.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Wenn man sich für die Theorie entscheidet, dass es keine Willensfreiheit gibt, würde man laut James einen gewaltigen Nachteil in Kauf nehmen: den Verlust des Lebenssinns. Nach einer Handlung könnten wir nicht mehr sagen kann, dass wir sie bedauern, weil wir ohnehin keine Wahl hatten anders zu handeln. Bedauern würde somit zu einem lächerlichen Gefühl, wie es Logi Gunnarsson beschreibt.
Weil dies in unserem täglichen Leben aber anders ist, geht James lieber von der Annahme der Willensfreiheit aus. In seinem Tagebuch schrieb er einmal, dass sein erster Akt des freien Willens der wäre, an einen freien Willen zu glauben. Nicht zuletzt weil die Debatte um die Willensfreiheit bis heute weitergeht, ist William James auch in seinem 100. Todesjahr lesenswert, meint Gunnarsson. "James war jemand, der sich mit aktuellen Problemen von uns beschäftigt hat, und das als ganzer Mensch und nicht nur als isolierter Wissenschaftler."
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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