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Eine Frau flüstern einem Mann etwas ins Ohr

"Übersetzungen können auch scheitern"

Wer einen Text übersetzt, sucht nicht nur den passenden Begriff in einer anderen Sprache. Übersetzungen sind immer auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wer über die Autorität des Originals verfügt. Translation ist deshalb kein harmonischer Prozess, der eine Brücke zwischen Sprachen oder Kulturen baut.

Kulturwissenschaft 07.10.2010

Er muss vielmehr Differenzen anerkennen und bisweilen auch mit Unübersetzbarkeiten leben, meint die deutsche Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick in einem science.ORF.at-Interview.

Sie befindet sich derzeit anlässlich einer Tagung zum Thema an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

Doris Bachmann-Medick

Porträtfoto der Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick

Universität Giessen

Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick ist Permanent Senior Research Fellow am International Graduate Centre for the Study of Culture der Universität Gießen.

science.ORF.at: Sie kommen aus Deutschland, haben schon in Zürich, Wien, Los Angeles und anderen Städten der USA gelebt - wo waren Ihre eigenen Übersetzungsleistungen am stärksten gefordert?

Doris Bachmann-Medick: In meiner fast schon zweiten Heimat, Los Angeles. Die Stadt war mir anfangs sehr fremd, weil sie sehr unterschiedliche, in sich schon "übersetzte" Bevölkerungsteile und Sprachen hat. Als Deutsche gehörte ich dort zu einer winzigen Minderheit. Kulturelle Übersetzungsleistungen sind vor allem in Gegenden der Stadt gefragt, die von ethnischen Gruppen bestimmt werden wie z.B. den Latinovierteln oder Chinatown. Eine derart starke Differenzierung habe ich in europäischen Städten nicht gefunden.

Haben Sie sich in Los Angeles überall hingetraut, wovor in Reiseführern ja gewarnt wird?

Nein, habe ich nicht. Wenn man so will, ist das eine kulturelle Anpassungsleistung: Von einer Straße zur nächsten ändert sich in L.A. der Grad der Gefährlichkeit; ich habe mich aus Neugier dennoch in Viertel gewagt, vor denen ich gewarnt wurde, und prompt wurde es gefährlich. Ich habe dann auf dem Absatz kehrtgemacht und bin davongelaufen.

Worin besteht da die Translationsleistung, die sie geleistet haben?

Internationale Tagung in Wien

Vom 6. bis 8. Oktober 2010 organisiert das Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der der Österreichischen Akademie der Wissenschaft im Rahmen des Forschungsschwerpunkts "Translation" eine internationale Konferenz zu den wichtigsten Forschungsfragen aus dem Translational Turn in den Kulturwissenschaften

Translation besteht eigentlich darin, dass man sich einer Szene aussetzt und versucht, auch mit Widrigkeiten umzugehen. In gefährlichen Verhältnissen wie meinem Beispiel ist das nicht unbedingt ratsam. Die Translationsleistung mündet dann in einer der Vermeidung, weil man das Feld verlässt und dorthin zurückkehrt, wo man sich auskennt.

Theoretisches Translationswissen hilft einem praktisch also nicht immer weiter?

Nein, wobei es auf die Situation ankommt. Es hilft einem weiter, wenn man in einer Situation ist, in der differente Positionen und Verhaltensweisen zusammen kommen und man versucht, mit diesen Differenzen umzugehen.

Die Theorie lautet ja: Translation ist ein Umgehen mit und ein Aushandeln von Differenzen. Aber in einer konkreten Situation, in der zu verschiedene Positionen und Erwartungen aufeinanderprallen, ist es nicht immer leicht, diese Differenzen handzuhaben.

Können Sie mir ein praktisches Beispiel nennen, in dem dieses translatorische Wissen "hilft"?

Denken Sie an die aktuelle Sarrazin-Diskussion in Deutschland. In der Integrationsdebatte um die muslimische Bevölkerung, die dadurch ausgelöst wurde, führt der Translationsbegriff weiter. In der Soziologie wird er dazu genutzt, Gesellschaft als einen Zusammenhang von Übersetzungsverhältnissen zu betrachten.

Dabei geht es nicht darum zu integrieren - also von oben herab Integrationsangebote zu machen, die dann angenommen werden oder nicht -, sondern darum, dass sich gesellschaftliche Gruppen von sich aus übersetzen und integrative Schritte leisten müssen. Eine wechselseitige Translationsleistung, die von verschiedenen sozialen Gruppen verlangt wird, ist hilfreich.

Hinter "Integration" verbirgt sich dann nicht mehr eine harmonische Vorstellung von Gesellschaft, durch die Differenzen verschwinden, sondern ein Zusammenhang, in dem allen Beteiligten Translationsleistungen abverlangt werden.

Ö1 Sendungshinweis:

Politik, Wissenschaft und Migration. Ein kompliziertes Verhältnis: Ö1 Dimensionen am 5. Oktober, 19.06 Uhr, Radio Österreich 1.
Mehr dazu in oe1.ORF.at

Was viele Menschen auf allen möglichen Seiten aber nicht wollen.

Das stimmt schon, aber es geht auch um die prinzipiellen Fragen, wie man einerseits von Seiten der Wissenschaft Gesellschaft sieht und wie andererseits in ihr gehandelt wird. Manchmal passt das eine nicht ganz zum anderen. Manchmal ist es aber auch wichtig, dass die Sichtweise von Gesellschaft schon weiter ist als die Wirklichkeit.

Die Wirklichkeit mag noch hinterher hinken, weil da verschiedene Positionen aufeinander prallen und unversöhnlich und unübersetzbar scheinen - was ja auch durchaus der Fall sein kann, wenn man z.B. an die Mohammed-Karikaturen denkt.

Aber wenn man gesellschaftliche Verhältnisse festschreibt wie es etwa Samuel Huntingtons "Clash of Civilisations" macht, bringt einen das auch nicht weiter. Ich bevorzuge eine konstruktivere Sichtweise von Kultur, die auf Übersetzbarkeit angelegt ist und nicht auf Unübersetzbarkeit.

Der Begriff "Translation" hat in den Kulturwissenschaften in den vergangenen Jahren enorme Konjunktur - wie ist das entstanden?

Der Begriff stammt ursprünglich aus den Translationswissenschaften, die auch in Österreich sehr stark und etwa mit Namen wie Mary Snell-Hornby und Michaela Wolf verbunden sind. Lange Zeit waren Übersetzungen linguistisch dominiert, speziell durch den Einfluss amerikanischer Forscherinnen und Forscher hat dann ein "cultural turn" stattgefunden.

Übersetzung wird heute als eine von und zwischen Kulturen verstanden, der Zusammenhang von Sprachen und Kulturen wird dabei reflektiert, speziell von der Ethnologie. Diese Erweiterung des Übersetzungsbegriffs hat in den Geistes- und Kulturwissenschaften zu einer starken Expansion geführt. Zum Teil ist er dadurch auch sehr vage und metaphorisch geworden. Wenn alles Übersetzung ist, so stellt sich die Frage, wo dann ihre Grenzen liegen.

Im älteren, engeren Begriff von Übersetzung war Äquivalenz wichtig - der Versuch, für ein Wort das passende in einer anderen Sprache zu finden. Was ist an die Stelle der Äquivalenz getreten?

Mehrere Begriffe. Äquivalenz wurde auch als Treue verstanden: Man übersetzt möglichst originalgetreu. Nun gibt es mittlerweile Positionen, denen zufolge man möglichst untreu übersetzen und sich von der Autorität des Originals lösen sollte. Kulturtheoretisch heißt das: Die Verknüpfung von Original und Übersetzung durch den Begriff der Äquivalenz ist ein Korsett der Zweipoligkeit, in dem das Original noch immer die Priorität hat und die Übersetzung etwas Nachrangiges ist. Diese Auffassung hat Folgen.

Im Weltmaßstab wurde das Original - nicht nur das Textoriginal, sondern ganz allgemein die Autorität von Kultur, Wissenschaft etc. - vor allem in Europa lokalisiert. Gerade nicht-europäischen Ländern wurden keine Originale zuerkannt, sondern eher Übersetzungen im Sinne von nachrangiger Nachahmung oder Kopie. Das läuft nicht auf derselben Augenhöhe, was natürlich eine starke Asymmetrie der Macht bedeutet. Dahinter steht die gesamte Geschichte des Kolonialismus.

Die Kulturwissenschaften sagen deshalb: Übersetzung ist durch den Kolonialismus immer korrumpiert, die Beziehung der Äquivalenz ist zu einer Deplatzierung geworden. Von einem kontinuierlichen Prozess zwischen Original und Übersetzung kann man nicht mehr sprechen, sondern von Machtbeziehungen, und die sind aufzubrechen. Das Ziel ist eine Wechselbeziehung, keine Zweipoligkeit mehr, sondern eine Mehrpoligkeit des Übersetzungsprozesses, bei dem man sich vom Original der europäischen Autorität abkoppelt und die verschiedenen Originale in den verschiedenen Wissenskulturen der Welt anerkennt und rezipiert.

Zusammengefasst: Was kann der Begriff der Translation mehr als andere, um Gesellschaft zu beschreiben?

Übersetzung wurde lange überwiegend als eine Überbrückung von Differenzen gesehen, als eine völkerüberspannende Brücke durch Dialog. Dieses harmonistische Modell scheint noch immer in der Kulturpolitik und Fragen interkultureller Kommunikation durch.

Ein Übersetzungsbegriff, wie ich ihn vertrete, ist nicht nur weiter, sondern auch gebrochener: Es geht ihm um Brüche statt Brücken, er betont Differenzen und versucht erst auf Basis dieser Differenzen, zu einer Verständigung zu kommen. Er kann Differenzen auch stehen lassen und versucht, Unübersetzbarkeiten auszuloten. Man kann bei einer Übersetzung ja auch scheitern, das muss man zulassen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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