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Porträtfoto Sigmund Freud

Pop-Ikone Sigmund Freud

Sigmund Freud ist in Buenos Aires allgegenwärtig. Ob im Fernsehen, im Radio, in Buchhandlungen und selbst an Kiosken auf der Straße - Argentinier haben eine Obsession für ihn. So hat die argentinische Hauptstadt die weltweit höchste Psychologendichte.

Psychoanalyse 11.10.2010

In Buenos Aires kommen nach Angaben der Friedrich-Ebert-Stiftung 795 Psychologen auf 100.000 Einwohner, in New York sind es 100, in Berlin nur 25.

Identitätszweifel und Diktaturtrauma

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Hinter dem Psycho-Pop verbergen sich tiefergehende Motive wie Identitätszweifel, Diktaturtrauma und Wirtschaftskrisen. Der massive Anstieg der Verbreitung von Psychoanalysen in der argentinischen Mittelklasse "und deren Aufnahme in die Populärkultur in Argentinien geht einher mit einer Verunsicherung über nationale Zugehörigkeit und Identität", analysiert der US-amerikanische Soziologe Jeffrey Bass in einem Fachartikel. Dies zeige sich zum Beispiel daran, dass in dem Einwanderungsland viele stolz seien auf ihre italienischen Nachnamen und damit ihre "europäischen Wurzeln" betonten.

Es geht um Traumata und Träume. Argentinien erlebte Aufstiege wie Niederlagen. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte das Land seine goldene Epoche: die Volkswirtschaft boomte zur siebtgrößten in der Welt, kulturell florierten Literatur, Theater und die melancholische Tangomusik, Städte wurden nach europäischem Vorbild im Stil der "Belle Époque" nachgebaut. Viele Einwanderer aus Europa zogen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nach Argentinien, um in dem reichen Land ihr Glück zu machen.

Doch das schöne Zeitalter wurde von der Gewaltherrschaft der Militärs weggewischt als sie sich im Jahr 1976 an die Macht putschten. Es folgten die brutalsten Jahre in der Geschichte Lateinamerikas. Während der Militärdiktatur verschwanden bis 1983 rund 30.000 Menschen spurlos. Sie wurden verfolgt, verschleppt, gefoltert und ermordet.

Traumatisierte Generation

Noch immer ist die Auseinandersetzung mit dem düsteren Kapitel in der Geschichte des Landes nicht beendet. Wissenschaftler sind sich einig, dass diese Ereignisse eine ganze Gesellschaft traumatisiert haben. Und mehr noch, sie werden von einer Generation an die nächste weitergegeben. In der Psychoanalyse nennt man das transgenerationale Traumata.

Wie geht eine Nation mit dieser historischen Last um? Mit der Aufhebung der Amnestiegesetze für die Verantwortlichen der Militärjunta, hat ein neues Kapitel in der Vergangenheitsbewältigung begonnen. "Mit über 200 Prozessen findet in Argentinien eine einzigartige Auseinandersetzung eines Landes mit seiner Diktaturvergangenheit statt", sagte die argentinische Essayistin Beatriz Sarlo in einem Interview. In ihrer geschichtlichen Bedeutung seien sie teilweise vergleichbar mit den Nürnberger Prozessen.

Verlorene Hoffnung

Einen weiteren nationalen Tiefpunkt erlebte Argentinien während der Wirtschaftskrise von 1998 bis 2002. Das Land stürzte in eine tiefe Misere. Die starke Rezession und der Kollaps des Finanzsystems machten es pleite. Das Bruttoinlandsprodukt sank so tief, dass weite Teile der zuvor hochgepriesenen argentinischen Mittelschicht von Arbeitslosigkeit und Armut bedroht waren. Am Rande von Buenos Aires wuchern heute die Slums und in den ländlichen Provinzen Argentiniens sind vor allem Kinder unterernährt.

Im Land der Melancholie haben die Menschen wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Laut Umfragen des Latinobarometers im vergangenen Jahr, sind nur 13 Prozent der Argentinier der Meinung, dass das Land sich weiterentwickelt. Die Nachbarn im aufstrebenden Brasilien hingegen glauben zu 66 Prozent an ihr Land.

Einen Glauben aber haben die Argentinier nicht verloren: Der an die Psychoanalytiker. Vor zwei Jahren wurden Psychologen zu einem Kongress in Buenos Aires eingeladen. Sie sollten sich mit einer Frage beschäftigen, die eigentlich besser bei Politikanalysten aufgehoben gewesen wäre. Die Frage war, wie die Machtverhältnisse im Hause des Präsidentenpaars Kirchner zu deuten seien, da der Präsident sein Amt an seine Ehefrau verloren hatte.

science.ORF.at/dpa

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