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Gerstenähren auf dem Feld

Ernährung ohne Raubbau an der Natur

Während zurzeit Experten in Rom über die Zukunft der Welternährung beraten, berichtet der österreichische Biologe Franz Seifert über Formen der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft: Er stellt in einem Gastbeitrag zwei brasilianische Betriebe vor, die Ökonomie mit Ökologie verbinden wollen.

Umwelt 14.10.2010

Nachhaltigkeit in Brasiliens Landwirtschaft

Durch eine Einladung der Universität von Maringá im Brasilianischen Bundesstaat Paraná gewann ich kürzlich konkrete Einblicke in den Konflikt um die Zukunft von Brasiliens Landwirtschaft.

Dass diese Zukunft mitentscheiden wird, ob die allseits geforderte globale Wende zur Nachhaltigkeit gelingen kann, liegt auf der Hand: Brasilien ist die weltweit dritt-größte Agroexportnation (nach den USA und der EU) und gleichzeitig Heimstätte der weltweit höchsten Artenkonzentration bzw. biologischen Vielfalt.

Alternative Nachhaltigkeitsmodelle

Franz Seifert, österreichischer Biologe und Sozialwissenschaftler

Franz Seifert

Franz Seifert ist Sozialwissenschaftler und Biologe, erhielt zahlreiche Stipendien im In- und Ausland, darunter des Instituts für Höhere Studien Wien und des UNU-IAS (United Nations University - Institute of Advanced Studies) Tokyo/Yokohama. Lehrtätigkeit am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Derzeit Leitung eines FWF-Forschungsprojektes zur Rolle des Staates in der transnationalen Protestbewegung gegen die landwirtschaftliche Gentechnik, einer Vergleichsstudie der Länder Deutschland, Frankreich, Groß Britannien, Österreich und Spanien.

Die Expansion landwirtschaftlicher Anbauflächen steht in Wettbewerb zu natürlichen Ökosystemen, der expanierende Anbau von Futtermittel und Biotreibstoffen (Ethanol aus Zuckerrohr, Biodiesel aus Soja) konkurriert mit dem Anbau pflanzlicher Lebensmittel. Dabei sind Ökologie und Nachhaltigkeit in Brasilien keine Fremdworte mehr, jedoch gehen die Vorstellungen darüber, was das ist, weit auseinander. Ich stelle hier zwei Modelle vor.

Die Reise führt uns zunächst zu einem landwirtschaftlichen Betrieb, dessen Besuch uns vom Management des Itaipú-Wasserkraftwerks empfohlen wurde. (Es ist das weltweit zweitgrößten seiner Art, der See hat zweieinhalb mal die Fläche des Bodensees).

Seit den 1990er Jahren ist man in dem in den Jahren der Militärdiktatur (1964-1985) errichteten (und wegen der Absiedlungspolitik vielfach kritisierten) Itaipú-Kraftwerk um ein ökologisches Image bemüht. Mittlerweile verursachen die Abfälle aus den um den Stausee angesiedelten Viehbetrieben Überdüngung und Algenbildung. Der von uns besuchte Betrieb wird als ökologisches Lösungsmodell hervorgehoben.

Intensive Bewirtschaftung

Nach zweihundert Kilometer Fahrt durch eine noch vor wenigen Jahrzehnten dicht bewaldete, heute weitgehend baumlose Agrarlandschaft gelangen wir durch abgemähte Hügel zu dem Betrieb. In mehreren hallenartigen, mit großen Ventilatoren bestückten Ställen äsen dort 900 Holstein-Kühe. Der Manager, ein Veterinärmediziner in den Dreißigern, begrüßt uns.

Er erklärt uns, dass auf dem 1.000-ha-Betrieb - ein für Brasilien großer aber kein Riesenbetrieb - lediglich auf 170 ha Mais als Tierfutter angebaut wird. Der Rest der Fläche wird für Weizen, Raps und Soja für den Export (letzteres als Tierfutter, alles v.a. nach Europa) genutzt. Pro Tag produzieren die Kühe 19.000 Liter Milch, bestimmt für den Inlandsverkauf.

Der Besitzer hat das Anliegen in den 1970er Jahren gekauft. Da war der äußerst fruchtbare Boden noch erschwinglich. Heute ist er der einzige, der auf diesem Boden wirklich wohnt. Ansonsten arbeiten hier 30 fix Angestellte und saisonal zwanzig Arbeiter.

Ökologische Schadensbegrenzung

Ö1-Sendungshinweis

Eine Milliarde Menschen hungern weltweit. Welternährungsgipfel in Rom, Abendjournal, 11.10.2010

Weitere aktuelle Berichte über den diese Woche stattfindenden Welternährungsgipfel bieten die Ö1-Journale.

Wir bekommen das ökologische Vorzeigesystem zu sehen: Eine Biogasanlage verwandelt die Ausscheidungen der Rinder in Gas, das einen Generator zur Stromerzeugung antreibt. Mittlerweile deckt man damit 30 % der eigenen Energiekosten ab (die ihrerseits aber nur 1 % der Gesamtkosten ausmachen).

Die restliche, besser aufgeschlossene Gülle wird später als Dünger ausgebracht. Ich frage, ob dadurch nicht langfristig ebenfalls die Nitrat- und Ammoniumbelastung in Grundwasser und Stausee gelangen werden. Gegenwärtig nicht, antwortet der Manager, aber für die Zukunft könne er das natürlich nicht ausschließen.

Das Gespräch kommt auf die schweren Holstein-Kühe in der brütenden Hitze. Ob man sich bei Kreuzungen mit widerstandsfähigeren, heimischen Kühen nicht den massiven Antibiotikaeinsatz sparen könne? Gewiß, aber diese importierte Linie sei nun mal Standard in Brasilien, ihre Milchleistung sei am höchsten.

Aber Milchleistung ist doch nicht alles? Doch. Der Manager merkt an, dass er persönlich am Milchertrag beteiligt ist und irgendwann wolle er doch auch mal reich werden. Wie reich sei denn der Besitzer? Das wisse er nicht, aber man sollte sich da keine Illusionen machen, ein Großteil des Kapitals ginge schließlich in die Anschaffung neuer Maschinen zur Steigerung von Produktivität und Rentabilität.

Das Land der Landlosen

Francisco Chicão und Wânia Rezende Silva sitzen an einem Tisch.

Franz Seifert

MST-Aktivist Francisco Chicão und unsere Gastgeberin von der staatlichen Maringá Universität, Wânia Rezende Silva.

Eine andere Exkursion führt uns zu einer Kooperative der „Bewegung der Landarbeiter ohne Boden“ (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, MST). Dort empfängt uns Francisco. Francisco, ein Mann in den Sechzigern, ist dürr und abgezehrt, ein Leben voller Entbehrung und harter körperlicher Arbeit ist ihm anzusehen.

Ironischerweise waren es die Absiedelungen im Zuge des Itaipú Projekts, die ihn in den 1970ern zum Landlosen gemacht hatten. Er schloss sich der damals noch jungen Bewegung an, besetzte mit anderen Familien mehrere Grundstücke. Nachdem er nach Jahren einen kleinen Grundbesitz für sich erstritten hatte, trat er Mitte der 1980er dieser Kooperative bei, da ihm eine Zukunft im Kollektiv sinnvoller erschien.

Nach Jahren des Kampfes und dem Ende der Militärdiktatur hatten hier 22 Familien vom Staat 240 ha als Kollektivbesitz erhalten. Großteils zur Selbstversorgung, mit bescheidener Viehhaltung, einer eigenen kleinen Molkerei und Bäckerei, Weizenanbau zur Eigenverwertung und einem großen Gemüsegarten.

Alles gehört allen

Für den Verkauf wird Zuckerrohr angebaut, mittlerweile nach ökologischen Kriterien, denn Bioprodukte erzielen heute auch in Brasilien höhere Preise. Aus Zuckerrohr brennt man auch den Cachaça-Schnaps, den die Kooperative sogar in die USA und Frankreich exportiert, und man gewinnt daraus den dunklen Muskovado-Zucker, den man als beliebte Süßigkeit vor allem an öffentliche Kantinen absetzt.

Das Kollektiv besitzt zwei Traktoren, einen LKW und zwei Kleinlaster. Auch die einzelnen Familien beziehen ein kleines Einkommen, haben Fernseher, Motorräder oder Autos und wohnen in kleinen, ebenerdigen Häusern.

Wöchentlich finden Versammlungen statt, in denen gemeinsame Entscheidungen besprochen werden. Frauen sind explizit gleichberechtigt. Ideal wäre, wenn jeder nur soviel nimmt, wie er braucht, meint Francisco. Obwohl die Meinungen da auseinander gehen, richtig Geld verdienen oder gar reich werden kann man hier ohnehin nicht.

Eine lokale Erfolgsgeschichte

Franciscos beide Töchter haben es, so wie die Kinder vieler anderer Mitglieder, zu einem Universitätsstudium geschafft. Eine hat Landwirtschaft studiert und wird vielleicht im Kollektiv bleiben. Wir teffen sie im Gemüsegarten. Besser ausgebildete Mitglieder werden dem Kollektiv in Hinkunft helfen, mit Nischenstrategien in dynamischen Marktlagen zu bestehen.

Das MST-Kollektiv in Paraná City ist eine Erfolgsgeschichte. Nicht überall kann die MST, die rund eine halbe Million Familien vertritt, solche Erfolge verbuchen. Sie stellt letztlich in der auf Massenproduktion und zunehmend Agrarexport ausgerichteten Landwirtschaft Brasiliens ein marginales Minderheitsmodell dar.

Obwohl die linksgerichtete Regierung unter Luiz Inácio Lula da Silva der MST manche Hilfe bot, der angekündigte große Wurf einer ökologischen Landreform blieb aus. Agri-Business bedeutet in Brasilien eben großes Geld und damit politische Macht. Zudem gründet Brasilien einen Gutteil seines wachsenden Reichtums auf dem Modell industrieller, exportorientierter Landwirtschaft. Keine Regierung wird den Aufschwung gefährden.

Nachhaltigkeit: Beachten Sie das Kleingedruckte

Eine realistische Einschätzung globaler und nationaler Wirtschafts- und Machtstrukturen wird dem MST-Modell daher geringe Chancen einräumen. Ebenso klar ist aber auch, dass sich das Modell einer für den Weltmarkt produzierenden, industriellen Hochproduktivtäts-Landwirtschaft in eine ökologische und soziale Sackgasse bewegt.

Niemand weiß, wie unsere Welt in 50 odert 100 Jahren aussehen wird und fast ebenso unklar ist, auf welche Weise wir sicherstellen können, dass sie zukünftigen Generationen ein lebenswertes Zuhause bieten wird. Wofür aber der Lokalaugenschein in Brasilien den Blick schärft, sind Entwicklungen von unten, an den sozialen Rändern, gewissermaßen das Kleingedruckte des offiziellen Nachhaltigkeitsdiskurses.

Was ich gelernt habe, ist, dass diese Entwicklungen möglich sind, und letztlich auf beharrliche Kämpfe um Anerkennung zurückgehen. Die Vielfalt an Lebensformen, das schiere Vorhandensein gelebter Alternativen zu Markt und Produktionssteigerung, scheint mir eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. Es gilt, diese Prozesse besser zu verstehen.

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