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Ross Gardler in Wien

Open Source: Dezentrale Tools statt Facebook

Ross Gardler von der Apache Software Foundation hofft im Gespräch mit ORF.at darauf, dass dezentral organisierte Soziale Software wie Diaspora notorischen Datensammlern wie Facebook einen attraktiven Ansatz entgegenstellen kann. Auch bei der Koordination von Open-Source-Projekten soll die neue Soziale Software helfen.

WEB 27.10.2010

Zur Person:

Der Brite Ross Gardler ist Vizepräsident für Community Development bei der Apache Software Foundation (ASF) und als Manager bei der JISC OSS Watch tätig. Er forscht nach Lösungen zum nachhaltigen Einsatz von Open-Development- und Open-Innovation-Ansätzen im Softwarebereich.

science.ORF.at: Sie sind unter anderem Vorsitzender der Konferenz TransferSummit, die sich mit geistigem Eigentum in der Softwareentwicklung beschäftigt. Welchen Stellenwert haben diese Fragen heute bei der Entwicklung von Open-Source-Projekten?

Ross Gardler: Das Management von Copyright-Fragen bei Open Source-Projekten ist lebensnotwendig. Es muss klar, präzise und absolut eindeutig durch Lizenzen festgelegt werden und zwar von Anfang an, ansonsten kostet es einen in Folge einen Haufen Zeit, Mühe und Schmerz. Wenn das nicht gemacht wird, ist es für Anwender nicht sicher, die Software zu benutzen.

Wenn man seine Software nicht entsprechend sicher macht, wird man auch keine großen Unternehmen dazu bringen, sie zu nutzen. Wer soll dann für die Entwicklung zahlen? Man kann sich auch im Open Source-Bereich nicht auf eine Armee von Freiwilligen verlassen, die Programme in ihren Schlafzimmern entwickeln.

Ö1-Sendungshinweis

So., 24.10.2010: matrix - computer & neue medien

Im Endeffekt ist das fehlerhafte Management von Copyright-Aspekten bei Open-Source-Projekten aber eines der größten Probleme im akademischen Umfeld. Die Autoren kümmern sich einfach nicht darum, die Urheberrechte so zu definieren, dass das Projekt Open-Source-tauglich wird. Wir müssen oft einspringen und helfen, die ursprünglichen Programmierer einer Software ausfindig zu machen. Meistens wird das Management von Copyright nur in großen, etablierten Projekten richtig gemacht. Allerdings ist es ganz einfach, wenn man gleich zu Beginn die richtigen Prozesse festgelegt hat.

science.ORF.at: Sie haben in ihrem Vortrag auch den Wert der guten Zusammenarbeit zwischen den Projektmitarbeitern betont.

Gardler: Sie ist entscheidend, das Kernstück des Prozesses. Die Lizenzen sind meiner Meinung nach nicht so wichtig wie der kollaborative Prozess. Lizenzen wurden dazu entwickelt, die Methodik der Entwicklung zu schützen, aber diese Entwicklung geht den Lizenzen voraus – dadurch ist sie automatisch wichtiger. Kollaboration ist ein zentrales Element der Entwicklung bei Open-Source-Projekten. Es ist zwar auch so möglich, Software zu produzieren, die den Zweck erfüllt, aber ohne Zusammenarbeit ist das Endergebnis meiner Meinung nach immer mit niedriger Qualität verbunden.

Open-Source-Plattform KiWi

Gardler hat im Oktober in Wien eine Eröffnungsrede bei der Präsentation einer neuen Open-Source-Plattform für Social-Media-Anwendungen im Web gehalten. Mit der Plattform namens KiWi soll das Web durch Taggen, Verlinken und Kommentieren intelligenter gemacht werden.

science.ORF.at: Wissensmanagement kann auch bei der Entwicklung von Software helfen. Wie sieht Ihrer Meinung nach das Wissensmanagement-System der Zukunft aus, sind Semantic-Web-Plattformen wie KiWi hier ein Lösungsweg?

Gardler: Ich denke, dass es eine richtig gute Idee ist, weil man damit den Produktionsprozess von vernetzten Daten vereinfachen kann. Dass es ein Open-Source-Projekt ist, hilft sicherlich bei der Erprobung, ob es in der realen Welt funktionieren kann. Es ist allerdings essentiell, eine Community aufzubauen, da das Tool selbst sehr komplex und nicht selbsterklärend ist.

science.ORF.at: Web-Erfinder Tim Berners-Lee propagiert die Idee des "Semantic Web" ja schon seit geraumer Zeit. Es scheint lange zu dauern, bis diese Entwicklungen beim Endanwender ankommen.

Gardler: So langsam geht es gar nicht voran, es kommt uns nur so vor. Wenn man sich vergangene Revolutionen im Web ansieht, geht alles eigentlich ziemlich schnell voran.

Warum die Vision von Tim Berners-Lee, verteilte Daten über das Netz hinweg zu verbinden, noch nicht Realität geworden ist, hat allerdings mehrere Gründe. Hier gab es in der Vergangenheit einige schlechte Entscheidungen beim Design von Websites. Erst wenn wir zu dem Punkt kommen, an dem es so einfach ist, Daten zu vernetzen, wie eine einfache Website zu bauen, wird sich die Entwicklung durchsetzen.

Die Entwicklung ist derzeit außerdem sehr komplex. Maschinen sind gut darin, diese Dinge zu verarbeiten, aber wir Menschen sind es nicht. Wir müssen daher versuchen, etwas zu entwickeln, was Menschen und Maschinen gleichermaßen entgegenkommt.

Diaspora

Das Team hinter dem Projekt Diaspora verspricht ein Soziales Netzwerk auf Open-Source-Basis, das die Privatsphäre beachtet und den Nutzern die Kontrolle über ihre Daten gibt.

science.ORF.at: Der Aspekt der verteilten Organisation scheint in jüngerer Zeit wieder wichtiger zu werden. Viele Personen weigern sich, zentralisierte Social-Media-Anwendungen wie Facebook oder Twitter zu nutzen, weil sie nicht das Gefühl haben, dass ihre Daten in den Händen eines einzelnen Betreibers sicher wären. Denken Sie, dass hier Open Source-Alternativen wie Diaspora Abhilfe schaffen können?

Gardler: Obwohl ich diese Netzwerke selbst nutze und kein großes Problem damit habe, wie mit meinen Daten umgegangen wird, denke ich auch, dass viele Menschen diese Netzwerke aus Datenschutzgründen nicht nutzen. Hier gibt es sicher einen Bedarf, diverse Probleme zu lösen. Ich möchte jetzt nicht über Diaspora im Speziellen sprechen, auch wenn ich es für eines der zur Zeit interessantesten Open-Source-Projekte halte. Open Source alleine reicht hier allerdings nicht aus. Längerfristig betrachtet muss eine Herangehensweise aus einer Kombination von Open Source und Open Data her.

Ich denke allerdings, dass es sehr schwierig wird, vom Punkt, an dem wir jetzt sind – dass nämlich einige wenige Unternehmen wie Facebook und Twitter alle Daten besitzen, wegzukommen. Anderseits ist gerade Mozillas Firefox ein gutes Beispiel, dass so etwas sehr wohl möglich ist. Der Browser wurde extra für den Zweck entwickelt, ein offenes Web zu schaffen. Damals hatte Microsofts Internet Explorer einen Marktanteil von 98 Prozent. Jetzt ist Mozillas Firefox ein Browser, der auch von der Masse genutzt wird. Mozilla hat außerdem ein Projekt namens DrumBeat, bei dem das offene Netz sowie allgemein gültige Privatsphäreeinstellungen und Datenschutz thematisiert werden. Dass eine Organisation wie Mozilla dahinter steckt und an einer Lösung arbeitet, ist sehr wichtig.

OpenOffice vs. LibreOffice

Teile des alten OpenOffice.org-Teams haben vor wenigen Wochen die Document Foundation gegründet, um mit LibreOffice weiter an einer Office-Suite zu arbeiten. Das Team betonte die Absicht, das Projekt auch "im nächsten Jahrzehnt" als freie Programmsammlung anbieten zu wollen. Auch Oracle will die Office-Suite unter dem altbekannten Namen OpenOffice weiterentwickeln. Sun Microsystems ist seit dem 27. Jänner 2010 eine hundertprozentige Tochter der Oracle Corporation.

science.ORF.at: Sie haben bereits im März 2008 davon gesprochen, dass es bei Sun Probleme beim Management von Softwareentwicklern gebe und die Gefahr bestehe, dass es zu einer Abspaltung bei Softwareprojekten kommen könnte. Jetzt kam es vor kurzem tatsächlich zu einer Abspaltung von OpenOffice.

Gardler: Ja, damals bekam ich wegen meiner Aussagen große Probleme, doch jetzt treffen sie tatsächlich zu, wenn auch unter der Herrschaft von Oracle. Das Unternehmen hatte bisher aber noch keine Gelegenheit, die Produktionsprozesse grundlegend zu verändern.

Die Gemeinschaft hat jetzt aber die Gelegenheit gesehen, mit LibreOffice ein Derivat zu starten. Das ist ein gutes Beispiel dafür, was bei Open Source-Projekten passieren kann. Wenn man nicht mehr glücklich damit ist, in welche Richtung die Software entwickelt wird, kann man ein Derivat schaffen.

science.ORF.at: Sie unterstützen auch Initiativen wie die Microsoft Biology Foundation. Hat sich die Einstellung von Microsoft gegenüber Open Source im Vergleich zu Vergangenheit geändert?

Gardler: Microsoft ist eine sehr große Organisation. Sie können daher keine einheitliche Position bezüglich Open-Source-Software haben. Die hatten sie zwar in der Vergangenheit, da war Open Source für sie eindeutig "böse". Ihre Einstellung hat sich aber geändert, sie sehen mehr Gelegenheiten für den Einsatz von Open-Source-Software und die Zusammenarbeit mit einzelnen Projekten. Es hängt aber großteils auch von einzelnen Personen im Unternehmen ab, die den Open-Source-Ansatz verstehen und auch weitertransportieren können.

Interview: Barbara Wimmer, ORF.at

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