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Kieferbäume vor Himmel

Der Wert der Natur

Intakte Ökosysteme liefern vielfältigen Nutzen: Sie regulieren das Klima, unterstützen die Landwirtschaft und bieten Raum zur Erholung. Wenn sie zerstört werden, müssen diese Leistungen teuer durch menschliche Arbeit ersetzt werden. Der durch Menschen verursachte Schaden an der Natur beträgt nach Schätzungen pro Jahr mehrere Billionen Euro.

Biodiversität 08.11.2010

Die Ökonomin Sigrid Stagl erklärt in einem science.ORF.at-Interview, wie hoch der Wert der Natur für die Gesellschaft ist, wie man ihn messen kann und wo die Grenzen der monetären Bewertung von Natur liegen.

science.ORF.at: Welchen ökonomischen Wert haben Ökosysteme und Biodiversität für den Menschen?

Porträt Sigrid Stagl

Privat

Sigrid Stagl ist Professorin für Umweltökonomie und -politik an der Wirtschaftuniversität Wien. Davor unterrichtete und arbeitete sie unter anderem an den Universitäten in Cambridge, Leeds und Sussex. Sigrid Stagl ist Präsidentin der European Society for Ecological Economics.

Sigrid Stagl: Man muss nicht mal umweltmotiviert sein, um Ökosystemleistungen zu schätzen und sich um den Verlust von Biodiversität Sorgen zu machen. Ein exemplarisches Beispiel findet man in China: Dort müssen Bauern in Obstplantagen mittlerweile Menschen anstellen, um die Bestäubung durchzuführen, weil es zu wenig Bienen gibt; wahrscheinlich als Ergebnis einer Kombination von Faktoren, wie zum Beispiel Viren, Parasiten und Stress. Und dafür müssen Löhne gezahlt werden. Wenn manche Dienste nicht mehr von der Natur erbracht werden, dann müssen wir sie teuer selbst leisten.

Kann man den wirtschaftlichen Wert von Ökosystemleistungen abschätzen?

Eine vor kurzem herausgekommene Studie - TEEB, The Economics of Ecosystems and Biodiversity - hat die Schäden an der natürlichen Umwelt durch menschliche Aktivitäten für 2008 auf weltweit zwei bis 4,5 Billionen US-Dollar geschätzt. Laut einer anderen Studie sind es eher 6,6 Billionen.

Ich frage mich, wie sinnvoll derartige Schätzungen sind. Aber interessant ist, welche Annahmen getroffen werden mussten, um biophysische Auswirkungen in monetäre Größen übersetzen zu können.

Was sind solchen Annahmen?

Zum Beispiel die Möglichkeit, Trade-offs zwischen natürlichen und von Menschen hergestellten Werten zu identifizieren und für Elemente von recht komplexen Ökosystemen, einen einzelnen adäquaten Wert festlegen zu können. Manche Philosophen betrachten das als unmöglich, weil es keine Vergleichbarkeit von Werten gibt.

Sind solche Rechnungen angesichts der Unsicherheiten und Ungenauigkeiten, die dabei auftreten können, überhaupt sinnvoll?

Was uns Ökosysteme bringen

Das Millenium Ecosystem Assesssment der Vereinten Nationen unterteilt die Leistungen von Ökosystemen in vier Kategorien:

  • Bereitstellende Leistungen, die zum Beispiel Nahrung, Wasser, Naturfasern oder Energie liefern,
  • regulierende Leistungen, die das Klima und den Wasserhaushalt stabilisieren oder Krankheitserreger in Schach halten,
  • kulturelle Leistungen, die Spiritualität, Ästhetik, Erholung und Bildung dienen, sowie
  • unterstützende Leistungen wie Bodenbildung und Stoffkreisläufe, die der Land- und Fortwirtschaft zugutekommen.

Weitere Informationen zu Ökosystemdienstleistungen findet man unter anderem auf der Plattform biologischevielfalt.at und der Seite des Projekts Vielfalt 2010+.

Es wird argumentiert, dass es solche monetären Abschätzungen braucht, um diese Kosten in die Kostenrechnung der Unternehmen und auf den Radarschirm der Politiker zu bringen. Ich bezweifle das. Wir könnten ja auch kommunizieren, dass wir derzeit das 100- bis 1.000-fache der natürlichen Hintergrundrate des Biodiversitätsverlustes verursachen. Wir verlieren viele Arten, und uns ist nicht klar, welche davon essenziell sind, um Funktionen zu erhalten, die wir von den Ökosystemen bekommen, zum Beispiel Nahrung und Energie.

Ist die monetäre Information hilfreich, um Entscheidungen treffen zu können? Wir sollten mehr dem Publikum entsprechend kommunizieren. Haushalte und viele Entscheidungsträger fragen sich bei dem Wert von zwei Billionen, was das soll. Auch, wenn man das übersetzen kann: Die zwei Billionen sind ungefähr das jährliche Bruttoinlandsprodukt von Großbritannien oder Italien.

Immerhin nicht wenig.

Das wäre das, was wir verlieren. Aber ist das weltweit gesehen viel? Ist das etwas, was wir in Kauf nehmen müssen? Aus solchen Zahlen ergibt sich keine klare Handlungsanweisung. Trotzdem kann es eine Größenordnung sein, die andeutet, dass es mehr ist, als man vernachlässigen kann. Das ist der Informationsgehalt, den ich nützlich und hilfreich finde.

Wie erhebt man solche Zahlen?

Man versucht, einen Wert zu identifizieren: zum Beispiel, wie viel es kosten würde, Menschen anzustellen, um Blüten zu bestäuben, oder wie viel es kosten würde, CO2 zu vermeiden, wenn es nicht von Pflanzen absorbiert würde. Viel schwieriger ist es beim Wert der Biodiversität. Da geht es um Stabilität und um die Menge und Anzahl von Arten, Ökosystemen und Genen. Je breiter das Portfolio ist, desto eher haben wir bei der Veränderung von Systemen eine Chance, uns anzupassen.

Man kann das umlegen auf Energiesysteme: Ein Energiesystem, das stark auf kalorische Kraftwerke abgestellt ist, wäre stärker von einer CO2-Steuer betroffen, als wenn es einen Mix gibt und das Land leicht auf andere Energieformen umschwenken kann, weil es Wissen, Technologien und Infrastruktur gibt, die darauf vorbereitet sind.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Biodiversität und Ökosystemleistungen?

Veranstaltungshinweis und Sendungshinweis:

Sigrid Stagl diskutiert am 10. November beim Science Event im Großen Sendesaal im ORF RadioKulturhaus. Der Science Event ist eine Veranstaltung der Initiative Risiko:dialog des Umweltbundesamts und von Radio Österreich 1, das den Science Event mit Beiträgen begleitet; zu hören am 12. November um 19:06 Uhr im Dimensionen-Magazin (Programm).

Weitere Science Events gab es bisher zur Wirtschaftskrise, zum Thema Risiko Energiegesellschaft und zu Demographischen Entwicklungen.

Biodiversität trägt deutlich zu Ökosystemleistungen bei. Zum Beispiel sind diversere Systeme vermutlich zuverlässiger im Bereitstellen von Produkten wie Nahrung und Energie. Tendenziell stimmt es, dass ein System umso stabiler und resilienter ist, je diverser es ist. Das stimmt aber nicht immer. Wüsten sind nicht sehr divers und trotzdem resilient.

Resilienz ist die Fähigkeit, mit einem Schock so umzugehen, dass sich danach das gleiche System wieder einstellt. Für soziale Systeme heißt das, dass wir wieder die gleichen Funktionen erfüllt bekommen, also Nahrungsmittel oder Energie im gleichen Ausmaß erhalten wie vor dem Schock. Außerdem können Landschaften mit hoher Biodiversität auch einen kulturellen Wert darstellen.

Wie ist es mit der Bewertung einzelner Arten? Zum Beispiel dem monetären Wert eines Singvogels. Sind solche Berechnungen sinnvoll oder nur Spielerei?

Ich betrachte es als problematisch, wenn es darum geht, das Ergebnis als Zahl oder Wert hervorzuheben. Aber oft weisen solche Übungen darauf hin, wie schwierig es ist, eine Art zu bewerten.

Die Einzigartigkeit einer Art wird dabei auch immer wieder angesprochen. Sie hat einen Wert, auch wenn sie keine biophysische Funktion für den Menschen hat. Wir erhalten eine Spezies, weil sie für uns einen Dienst erbringt oder weil es angenehm ist, wenn der Vogel singt. Aber auch wenn wir den Singvogel nicht hören können, weil er zum Beispiel nur im Regenwald singt, sollte er trotzdem erhalten werden, weil es eine Spezies ist, die existiert. Das geht dann über Ökosystemdienste hinaus.

Wie kann man Ökosystemleistungen erhalten oder fördern?

Das hat viel mit der Nutzung des Landes zu tun. Zum Beispiel ist es vermutlich positiv, Biolandbau zu fördern. Dem müsste man aber vielleicht auch entgegenhalten, wie viel Ertrag durch Biolandbau produziert wird. Bei Gemüse sind es 80 bis 90 Prozent des Ertrags von konventioneller Landwirtschaft, aber bei Weizen beträgt der Ertrag im Biolandbau nur die Hälfte.

Es gibt in der Ökologie derzeit eine starke Debatte: Wenn wir die doppelte Fläche brauchen, um die gleiche Menge herzustellen, was wäre, wenn wir konventionell produzieren und die andere Hälfte brach liegen lassen? Brache ist für die Biodiversität besser als Biolandbau.

Relativiert das die Vorteile des Biolandbaus?

Es geht um einen cleveren Mix, einerseits naturnahe Bewirtschaftungsmethoden zu optimieren und soweit wie möglich umzusetzen, aber das mit Brachen zu kombinieren. Es geht um das Feintuning von Landnutzung und dessen Auswirkungen auf die Biodiversität, d.h. die Felder so zu gestalten, dass sie für die Biodiversität optimiert sind.

Ergebnisse des erwähnten Projekts wurden in den folgenden Publikationen präsentiert:
- Comparing organic farming and land sparing: optimizing yield and butterfly populations at a
landscape scale, Ecology Letters, Bd. 13, S. 1358 (Abstract)
- Scale matters: the impact of organic farming on biodiversity at different spatial scales, Ecology Letters, Bd. 13; S. 858 (Abstract)
- The spatial aggregation of organic farming in England and its underlying environmental correlates, Journal of Applied Ecology, Bd. 46, S. 323 (Abstract)

Wir haben gerade ein Projekt abgeschlossen, in dem wir untersucht haben, ob es einen Unterschied macht, ob Biobetriebe über die Landschaft verteilt oder ob sie geclustert sind. Bezüglich Biodiversität und den biophysischen Auswirkungen ist das Clustering viel besser.

Sollten sich Nachbarbauern daher beim Umstellen auf Biolandbau zusammentun?

Wenn man die biophysischen Auswirkungen optimieren möchte, sollte man bei der Förderung berücksichtigen, ob der Nachbar auch ein Biobauer oder ein konventionell produzierender ist. Bezüglich der Biodiversität haben aber auch die konventionellen Bauern Vorteile, wenn sie Biobauern als Nachbarn haben. Auch in den konventionellen Feldern findet sich dann mehr Biodiversität bei Vögeln, Insekten und Pflanzen.

Biolandbau verbessert auch die Bodenqualität. Das wirkt sich auf Hochwasser aus: Die Spitzen bei den Fluten werden geringer, d.h. dem Hochwasser wird die Intensität etwas genommen. Aber beim Erhalt von Biodiversität geht es neben geänderter Landnutzung noch um andere Faktoren, nämlich die Übernutzung von natürlichen Ressourcen, invasive Arten und den Klimawandel.

Mark Hammer, science.ORF.at

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