Ein aktueller Träger der Fields-Medaillen - quasi der Nobelpreis der Mathematik - hält dies für einen "Weltrekord in politischer Kurzsichtigkeit", wie ESI-Präsident Klaus Schmidt in einem science.ORF.at-Gastbeitrag schreibt.
Österreich feiert Erwin Schrödinger
Von Klaus Schmidt
Der Autor:

privat
Klaus Schmidt ist Präsident des Erwin-Schrödinger-Instituts für Mathematische Physik in Wien.
"This is a total disaster." Dies war die Reaktion von Arthur Jaffe, Harvard University, und Past President der American Mathematical Society.
"Wie können solche Entscheidungen in einem europäischen Land passieren, wie kann so viel erfolgreiche Arbeit in ein paar Minuten gestrichen werden?" meint der Physiker und Mathematiker Jean-Pierre Bourguignon, Direktor des Institut des Hautes Études Scientifiques, Bures-sur-Yvette.
"I thought we have short-sighted politicians, but this seems a world record", war die Reaktion des Fields-Medaillen Gewinners 2010, Elon Lindenstrauss, Hebrew University of Jerusalem, Israel.
Was treibt eminente Wissenschaftler zu solchen Aussagen? Es ist eine kurze Zeile im Vortrag an den Ministerrat vom 23. Oktober 2010 in Loipersdorf: "Einstellungen der Basissubventionen für außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit 1.1.2011." Das Internationale Erwin Schrödinger Institut für Mathematische Physik (ESI) wurde in einem "Standard"-Artikel vom 28.10. über betroffene Institute an erster Stelle genannt.
Prominente Fürsprecher
Das ESI wurde 1993 gegründet und ist eines der Aushängeschilder der Forschung in Österreich. Dies ist kein Selbstlob. Frau Bundesministerin Dr. Beatrix Karl hat es bestätigt: "Das Erwin-Schrödinger-Institut ist auf dem Gebiet der mathematischen Physik und Mathematik weltweit führend und wurde für Wissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt zu einer wichtigen Forschungs-, aber auch Begegnungsstätte" (Presseaussendung des BMWF nach einem Besuch von BM Karl am 27.7.2010).
Ö1 Sendungshinweis:
Über die aktuellen Budgeteinsparungen im außeruniversitären Forschungsbereich berichtete am Donnerstag, 11.11, auch Ö1 Wissen aktuell.
"Seit seiner Gründung hat sich das ESI zu einem internationalen Top-Institut entwickelt, das in einer Reihe mit berühmten Forschungsinstituten weltweit wie etwa dem Mathematical Sciences Research Institute in Berkeley, dem Isaac Newton Institute in Cambridge, dem Institut Henri Poincaré in Paris, dem Max-Planck-Institut in Bonn oder dem Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach befindet. ... Viele der hervorragenden internationalen Neubesetzungen von Professuren im Bereich Physik/Mathematik waren nur möglich angesichts der Perspektiven, die das ESI als internationaler Umschlagplatz von Ideen eröffnet."
Dieses Zitat stammt aus einem aktuellen Protestschreiben von fünf österreichischen MathematikerInnen an die österreichische Regierungsspitze: Goulnara Arzhantseva (ERC Starting Grant 2010), Adrian Constantin (ERC Advanced Grant 2010), Ludmil Katzarkov (ERC Advanced Grant 2008), Christian Krattenthaler (Wittgensteinpreis 2007) und Walter Schachermayer (Wittgensteinpreis 1998, ERC Advanced Grant 2009). Drei der Unterzeichner verhehlen nicht, dass das ESI ein wesentlicher Grund gewesen ist, eine Berufung nach Wien überhaupt anzunehmen.
Wertvoll für Internationalisierung und Nachwuchs
Auch für die Karriere junger WissenschaftlerInnen kann ein Forschungsaufenthalt am ESI von zentraler Bedeutung sein: Aus vielen Schreiben - auch und insbesondere von Wissenschaftlerinnen - geht hervor, welch wichtige Rolle das ESI Junior Research Fellows Programm für ihre Laufbahn gespielt hat.
Im Rahmen des Senior Research Fellows Programms des ESI verbringen internationale Experten mehrmonatige Forschungsaufenthalte am ESI und bieten hier Vorlesungen für fortgeschrittene Studierende der Wiener Universitäten und Zusammenarbeit mit Junior Research Fellows an. Damit leistet das ESI einen wertvollen Beitrag zur Internationalisierung der Graduierten- und Post-Doc-Ausbildung an den Wiener Universitäten.
Zahlen, Fakten und Budget
Bisher fanden über 90 große Forschungsprogramme und fast 100 Konferenzen und Workshops am ESI statt. Mehr als 4.700 Gastforscher aus mehr als 60 Ländern besuchten das ESI. Zuletzt waren es mehr als 600 Gastforscher pro Jahr. Bisher wurden 38 Senior Research Fellows Lecture Courses am ESI abgehalten, über 150 Junior Research Fellows aus etwa 40 Ländern haben das ESI besucht.
Mehr als 2.250 ESI Preprints dokumentieren die wissenschaftliche Arbeit am ESI. In der ESI Lecture Note Series, einer Publikationsreihe der European Mathematical Society basierend auf Vorlesungen von ESI Senior Research Fellows, sind bisher sieben Bände erschienen.
Die jährliche Förderung des ESI durch das BMWF betrug in den letzten Jahren etwa EUR 980.000.
Breites Themenspektrum - und Evaluationen
Das Spektrum der wissenschaftlichen Aktivitäten des ESI ist auf unserer Webseite dokumentiert. Die Themen reichen von abstraktester Mathematik über aktuelle Entwicklungen in der Physik (wie z.B. String Theory, Quanteninformationstheorie oder Kosmologie), bis hin zur Biomathematik und der mathematischen Logik. Viele der Teilnehmer an diesen Aktivitäten kennen Wien und die Wissenschaft in Österreich fast ausschließlich durch ihre Arbeit am Erwin Schrödinger Institut.
Im Auftrag des BMWF und mit Mitteln des Ministeriums wurde das ESI regelmäßig international evaluiert, zuletzt im Jahr 2009. Die Evaluierung attestierte dem Institut höchste Qualität im wissenschaftlichen Bereich und eine erstaunliche Effizienz in der Nutzung der finanziellen Mittel (siehe Report oft he Review Panel 2008). Diese Evaluation blieb seitens des BMWF bisher folgen- und kommentarlos.
Zukunftsperspektiven: Struktur muss bleiben
Mit der Nachricht von der Einstellung der Förderung des ESI wurde seitens des BMWF der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass das ESI in eine größere wissenschaftliche Institution 'integriert' werden könnte. Zurzeit sind jedoch die finanziellen Voraussetzungen für eine solche Integration noch ungeklärt.
Eine Weiterexistenz des ESI - etwa im Rahmen der Universität Wien - ist nur dann sinnvoll, wenn das Institut auch in diesem Rahmen seiner absoluten Verpflichtung zu Exzellenz und wissenschaftlichem Erfolg nachkommen kann. Dazu gehört nicht nur eine adäquate finanzielle Ausstattung des Instituts, sondern auch ein absolutes Minimum an Bürokratie in Administration und Betreuung der Gastforscher.
Die Gastwissenschaftler am ESI kommen gerne (und ohne Ersatz ihrer Reisespesen!) an das Institut, weil sie hier eine anregende wissenschaftliche Atmosphäre und einen Mangel an Bürokratie vorfinden, die sich von vielen anderen Instituten dieser Art positiv unterscheidet. Die flache Hierarchie des Instituts drückt sich auch darin aus, dass Nobelpreisträger, Fields-Medaillen Gewinner und wissenschaftlicher Nachwuchs in finanzieller und administrativer Hinsicht völlig gleich behandelt werden.
Diese Struktur des Instituts muss erhalten bleiben, wenn es erfolgreich - und vor allem auch zum Nutzen der österreichischen Wissenschaft - weiterarbeiten soll.
Zusperren zum 50. Todestag Schrödingers?
Momentan steht nur eines fest: Die Einstellung der Förderung des Erwin Schrödinger Instituts seitens des BMWF mit 1.1.2011 findet vier Tage vor dem 50. Todestag Erwin Schrödingers statt. Kann das Zufall sein?
Das aus Anlass dieses Todestags am ESI veranstaltete Symposium über "Erwin Schrödinger und die Aktualität seiner Erkenntnisse" wird Gelegenheit bieten, über diese Frage nachzudenken.
Mehr zu den aktuellen Budgeteinsparungen: