Die jüngste: Nutzt man das Phänomen in umgekehrter Weise, könnten die künstlichen Gummimuskeln etwa in Wellenkraftwerken zur Umwandlung mechanischer in elektrische Energie genutzt werden, wie ein u.a. von Linzer Forschern verfasster Beitrag in der neuen Ausgabe von "Science" zeigt.
Ein lange bekanntes Prinzip
Siegfried Bauer vom Bereich "Physik weicher Materie" der Universität Linz hat gemeinsam mit italienischen Kollegen den Artikel über die Perspektiven dieses Fachgebiets in "Science" verfasst.
Die Idee, dass sich Materialien mit Hilfe von Elektrizität verformen lassen, geht auf den italienischen Wissenschaftler Alessandro Volta zurück, der dieses Phänomen bereits 1776 beschrieb.
Rund 100 Jahre später berichtete der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen, dass sich ein Kautschuk-Band unter dem Einfluss einer hohen Spannung dehnt - ein Experiment, das allerdings in Vergessenheit geriet, wie Bauer erklärte.
Der Artikel
"Stretching Dielectric Elastomer Performance" von Siegfried Bauer und Kollegen ist in "Science " erschienen.
Gummimuskeln bald im Handy
Während Röntgen nur rund zehn Prozent Längenänderung erreichte, waren es bei den neuen Versuchen um den US-Forscher Ron Pelrine im Jahr 2000 mehr als 100 Prozent, "ein gigantischer Effekt, weshalb die Arbeit auch in 'Science' erschien", so Bauer (hier die Original-Studie).
Rasch begann man weltweit darüber nachzudenken, was man denn mit einem solchen Phänomen machen könnte: elektrisch angetriebene, künstliche Gummi-Muskeln (in der Fachwelt dielektrische Elastomer-Aktuatoren genannt) etwa, die stärker, belastbarer und ausdauernder als jedes natürliche Vorbild wären.
Wie sehr das Feld boomt, zeigt, dass bereits eine optische Linse mit stufenlos verstellbarer Brennweite am Markt angeboten wird, die auf diesem Phänomen basiert. Im kommenden Jahr will laut Bauer ein Handyhersteller ein erstes Gerät herausbringen, bei dem derartige Gummimuskeln für Vibrationen sorgen. Damit könnte man beispielsweise beim Betrachten des Ultraschallvideos eines Babys auf dem Handy auch dessen Herzschlag täuschend echt fühlbar machen.
Auch zur Gewinnung von Energie?
Ein nächster Schritt könnten verformbare Bildschirme sein. Damit ließe sich etwa eine Art E-Reader für Blinde herstellen, der die Darstellung von Braille-Schrift ermöglicht. Erste Demonstrationen in diese Richtung gibt es laut Bauer bereits.
Doch nun zeichnet sich ein völlig neues Anwendungsgebiet ab: "Wenn man elektrische Energie in mechanische Energie umsetzen kann wie bei den dielektrischen Elastomer-Aktuatoren, dann kann man natürlich auch den umgekehrten Weg gehen und mechanische in elektrische Energie umwandeln", so Bauer. Konkret geht es um die Idee, dieses Phänomen zur Stromproduktion in Wellenkraftwerken einzusetzen.
Die Linzer Wissenschaftler arbeiten auf diesem Gebiet in enger Kooperation mit Kollegen von der Harvard University. Die Idee dahinter klingt einfach: Die Meereswellen sollen den Gummi deformieren, wodurch die Spannung am Elastomer in die Höhe gepusht wird.
Wie ein Kondensator
Dahinter steckt die enge Beziehung zwischen Ladung, Kapazität und Spannung: Der Gummi wirkt als Kondensator. "Man ändert die elektrische Kapazität des Elastomers, indem man es dehnt und wieder entspannt, und bringt damit Ladungen, die etwa von einem Solarpanel oder einer Batterie kommen, von einer geringen auf eine hohe Spannung", so Bauer.
Dieses Hochspannen funktioniert auch mit jedem Transformator, nur verringert sich dabei die erzielbare Stromstärke. Bei den Gummi-Muskeln bliebe dagegen durch die hineingesteckte mechanische Energie aus den Wellen die Stromstärke gleich.
Noch viel zu tun
Bauer vergleicht das Prinzip mit einem Pumpspeicherkraftwerk. Dort wird Wasser vom Tal ins Gebirge gepumpt und kann bei Bedarf durch Herunterfallen eine Turbine antreiben. Statt Wasser verwendet man beim Wellenkraftwerk mit Gummimuskeln Elektronen, die von einer geringen Spannung mit Hilfe der mechanischen Energie der Wellen auf eine hohe Spannung gebracht werden.
Weiterer Vorteil laut Bauer: Die verwendeten Gummi-Elemente funktionieren im Gegensatz zu den meisten anderen Materialien im Meerwasser viele Jahre und würden im Vergleich zu anderen Konzepten leichte Konstruktionen erlauben.
Bauer betont, dass man bei dieser Idee noch "ganz am Anfang" stehe, grundlegende Experimente zum Potenzial der Technik, die im kommenden Jahr publiziert werden, würden "sehr spannend und vielversprechend aussehen".
science.ORF.at/APA
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