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Ein Wrestler im Würgegriff

Wrestling: Die "Seifenoper" des Kampfsports

Wrestling polarisiert: Da gibt es jene, die diese Art des Ringens einfach nur abstoßend finden. Und es gibt treue Fans, die die Akrobatik der Kämpfe genauso schätzen wie den Einfallsreichtum der Inszenierungen. Der Sozialwissenschaftler Markus Lust analysierte Spiel und Ernst im gegenwärtigen Wrestling.

Sozialwissenschaften 28.12.2010

Lust untersuchte nicht nur das - nach Eigendefinition - "sports entertainment" selbst, sondern auch jene Elemente, die dezidierten Wrestling-Fans wichtig sind. Dabei zeigte sich: Was am Kampf echt bzw. "Theater" ist, hat für sie keine Bedeutung. Vielmehr geht es um die Qualität der körperlichen Leistung, aber auch die Schlüssigkeit von Inszenierung und die Rahmenbedingungen dieses Unterhaltungsbetriebs.

Die Studie:
"Spiel und Ernst, Fake und Fans im gegenwärtigen Wrestling" ist in Heft 4/2010 der "Sozialwissenschaftlichen Rundschau" erschienen.

Zwischen Talkshow und Seifenoper

Wrestling lässt sich schwer zwischen Spiel und Sport, Echtheit und Fälschung einordnen, weshalb der Film- und Medienwissenschaftler Markus Lust zu Beginn seiner Analyse das Phänomen auf seine wirtschaftliche Bedeutung herunter bricht: Die "World Wrestling Entertainment" (WWE) ist ein Millionen Dollar schweres, börsennotiertes Unternehmen, das die US-amerikanische Wrestling-Szene kontrolliert. Schon in ihrem Namen macht sie auch klar, wie sich zeitgenössisches Wrestling versteht: als Unterhaltung, nicht als Sportart, als "das Nächstbeste zu einer Live-Athletik-Sport-Seifenoper, das Sie finden werden", zitiert Lust einen WWE-Manager.

Lust selbst sieht Wesensverwandtschaften mit der Seifenoper und der Talkshow: "Erstere kommt dem Wrestling mit seinen Nebenhandlungen von Intrigen, Romanzen und Racheplänen (...) erzählerisch sehr nahe", bei letzterer "kommen ähnliche Inszenierungsmuster zum Tragen", etwa die Einzugsmusik, das "Arena"-Umfeld , die Involviertheit des Publikums etc.

Dementsprechend könne man bei Wrestling auch nicht von einem Wettkampf sprechen, vielmehr werde der Erfolg "an der ästhetischen Qualität und der Show-Tauglichkeit der Darbietung" gemessen, so Lust, der sogar Ähnlichkeiten mit dem Tanzsport ausmachen konnte: "Es bedient sich abstrakter Zeichen, die Choreographie und Aktionsfluss im Sinn haben."

Initiation durch Abreibung

Ein Wrestler in Siegerpose

EPA

Unterhaltung mit großen Gesten

Das Anlernen von jungen Wrestlern folgt einer eigenen Logik, in der - im Unterschied zum späteren "Schauspielen" - gezielte Schmerzerfahrungen dazu gehören: Zu Beginn gibt man vor, dass Wrestling echt sei, und verletzt Neulinge absichtlich, um sie später, wenn sie sich als würdig erwiesen haben, in die Geheimnisse des Business einzuführen. Markus Lust schreib in diesem Zusammenhang vom "Initiationsritus der Abreibung".

Wrestling und die Magie:
Wrestler weigern sich meist, über die Details ihrer Darbietungen zu sprechen. Insbesondere die Frage nach der Authentizität der Kämpfe gilt als verpönt und wurde von einem WWE-Vorstand einmal folgendermaßen beantwortet: "Wir machen eine Zaubershow. Und wir werden euch nicht sagen, wie unsere Zaubertricks funktionieren."

Die "Ausbildung" verläuft dann schrittweise: zuerst wird die Mechanik - die wichtigsten Haltegriffe, Würfe und Falltechniken - verinnerlicht, dann werden größere Bewegungsabläufe geübt und zuletzt Sequenzen improvisiert, denen emotionale Themen wie Rache, Stolz oder Bösartigkeit zugrunde liegen. Ein guter Wrestler müsse nicht nur technisch versiert, sondern auch ein guter Schauspieler sein, beschreibt der Medienwissenschaftler.

Die große Kunst beim Wrestling bestehe letztlich darin, Aktionen gleichzeitig "durchsichtig und undurchsichtig zu machen": Vieles von dem, was die Zuschauer sehen, sind routiniert gespielte Bewegungsabläufe - gleichzeitig darf das Publikum das aber nicht merken. Das veranlasst Lust dazu, gute Wrestler als "große Denker" zu bezeichnen: Jede Aktion müsse einen Ausdruck haben, inhaltlich Sinn machen, perfekt getimt, sicher ausgeführt und motiviert sein.

"Marks" und "Smarts"

Anleihen beim Zirkus und Karneval nimmt die Wrestling-Szene auch bei den Namen für ihre Fans: Die "Marks" sind die Uneingeweihten, die sich "nur" für das Spektakel interessieren - "Marks" steht hier für - frei übersetzt - "markiert" und leitet sich von jenen Menschen ab, die beim Eintritt in den Zirkus mit Kreide angezeichnet wurden, weil sie reich und leicht zu übertölpeln seien. Die "Smarts" hingegen sind die Insider, die auch über die Rahmenbedingungen des Wrestling-Business Bescheid wissen - eine Einteilung, die sich in dieser Einfachheit in der Analyse nicht bestätigen ließ.

Markus Lust hat anhand der Einträge während eines Jahres auf der Wrestling-Website "Pro Wrestling Torch" untersucht, was die Fans an diesem "Unterhaltungssport" interessiert - und er fand eine große Bandbreite an Themen: "Sie reflektieren über ihre eigene Schaulust, bewerten sportliche und darstellerische Aspekte bzw. deren Glaubwürdigkeit, üben Kritik am Aufbau, hinterfragen den Stil der TV-Aufbereitung und diskutieren nicht zuletzt das gesamte Wrestling-Programmgefüge sowie den eigenen Fan-Status", fasst Lust zusammen.

Der heutige Wrestling-Fan schätzt also das "Spiel" und beteiligt sich gern daran, wodurch sich nochmals eine Parallele zur Schauspielerei ergibt: Denn wie im Theater liegt es auch beim Wrestling nicht zuletzt am Publikum, welche Darbietungen als gelungen in die Geschichte eingehen.

Elke Ziegler, science.ORF.at

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