Standort: science.ORF.at / Meldung: "Tränen machen sanft"

Weinende Frau

Tränen machen sanft

Wenn Frauen weinen, werden Männer schwach - so will es zumindest das Klischee. Dass daran etwas Wahres sein könnte, legt eine neue Studie nahe. Demnach enthalten weibliche Tränen tatsächlich chemische Signale, die das männliche Gegenüber besänftigen.

Emotionen 06.01.2011

Warum wir weinen

Zum einem haben Tränen beim Menschen wie bei vielen Tieren eine rein praktische bzw. physiologische Funktion: Die salzige Flüssigkeit hält das Auge feucht und reinigt es von Fremdkörpern. Spezielle Stoffe schützen zudem vor Bakterien und Infektionen.

Menschen weinen aber auch aus rein emotionalen Gründen. Babys versuchen damit etwa auf sich aufmerksam zu machen oder etwas mitzuteilen, wofür ihnen die Sprache fehlt. Erwachsene drücken damit Wut, Trauer oder auch Freude aus. Warum sie das tun, ist bis heute nicht restlos klar. Vermutlich dienen die Tränen der sozialen Interaktion, zumindest lösen sie in der Umgebung in der Regel Mitgefühl aus; manche gehen aber auch von einer seelisch reinigenden Wirkung aus.

Versteckte chemische Signale?

Versuche an Mäusen haben gezeigt, dass die Tränen der männlichen Tiere bestimmte Substanzen enthalten, die die Weibchen betören. Man weiß, dass menschliche Gefühlstränen eine andere chemische Zusammensetzung besitzen als jene, die das Auge vor dem Austrocknen schützen. Das spricht dafür, dass auch menschliche Tränen versteckte Chemosignale enthalten. Das wollten die Forscher rund um Shani Gelstein vom israelischen Weizmann Institut in ihrer aktuellen Studie nun herausfinden, indem sie die psychischen und physischen Auswirkungen von echter Tränenflüssigkeit mit jener von reinem Salzwasser verglichen.

Zur Studie in "Science":

"Human Tears Contain a Chemosignal" von Shani Gelstein et al.

Für ihre Experimente suchten die Wissenschaftler per Anzeige nach freiwilligen Tränenspendern. Gemeldet haben sich fast nur Frauen - aus kulturellen Gründen, wie die Forscher vermuten. Für Männer sei es einfach weniger akzeptabel in der Öffentlichkeit zu weinen. Aus Gründen der Machbarkeit beschränkten sie die Studie vorerst auf die Wirkung weiblicher Tränen auf männliche Probanden.

Weibliche Tränen

Das Auge einer Frau, die eine Träne mit einer Phiole auffängt

Science/AAAS

In einem Zeitraum von insgesamt drei Jahren führte das Team 204 Experimente mit 114 Teilnehmern zwischen 24 und 31 Jahren durch. Um echte Tränenflüssigkeit zu erhalten, mussten die Spenderfrauen traurige Filmszenen in einem abgeschlossenen Raum betrachten. War das Unterfangen erfolgreich, fingen sie die Tränen mit Hilfe eines Spiegels in einer kleinen Phiole auf, die Spende enthielt im Durchschnitt etwa einen Milliliter Flüssigkeit.

Für den Vergleichstest ließen sich dieselben Frauen Salzwasser über die Wangen laufen, welches dann in ähnlicher Weise aufgefangen wurde. Die Spenderinnen waren zuvor angehalten worden, keinerlei Kosmetika zu verwenden. Für alle Experimente wurden frische Tränen verwendet, die maximal drei Stunden alt waren. Der Raum, in dem sie stattfanden, war mit rostfreiem Stahl ausgekleidet und so optimiert, dass er annähernd geruchsneutral war.

Besänftigende Körperflüssigkeit

Ö1 Sendungshinweise:

Über die Wirkung von Frauentränen berichtet "Wissen aktuell" am 7.1., um 13:55

Mit den Spendertränen führten die Forscher unterschiedliche Versuchsreihen durch, die meisten davon doppelblind, das heißt, weder die Probanden noch der Leiter des Experiments wusste, ob es sich um eine echte Probe handelt oder lediglich um Salzwasser. Die Flüssigkeit - echt oder falsch - stammte pro Versuch aber immer von derselben Frau.

Die Männer mussten an den vermeintlichen Tränen riechen, eine kleine Menge wurde auch mit Hilfe eines Pflasters oberhalb der Lippe der Probanden platziert. Währenddessen und danach wurden unterschiedliche Test durchgeführt. Einerseits wurden zahlreiche Körperfunktionen gemessen: die Leitfähigkeit der Haut, der Herzschlag, die Atmung und die Konzentration von Testosteron im Speichel. Außerdem wurde die Stimmung mittels eines Fragebogens erhoben.

Bewusst hatten die Männer keinen Unterschied zwischen der falschen und der echten Körperflüssigkeit wahrgenommen. Hatten die Männer jedoch an echten Tränen geschnuppert, sanken die meisten körperlichen Parameter den Forschern zufolge statistisch signifikant ab. Ein Test mit Frauenbildern zeigte zudem, dass dieselben Abbildungen unter dem Einfluss von echten Tränen für die Männer sexuell deutlich weniger attraktiv waren.

In einer weiteren Versuchsreihe wurde außerdem die Gehirnaktivität der an den Tränen riechenden Männer mittels Funktioneller Magnetresonanztomographie aufgezeichnet, nachdem sie sexuell erregende Bilder betrachtet hatten. Bei echtem "Tränengeruch" ließ sich ein Abfall der sexuellen Erregung beobachten. Offensichtlich ist das den Forschern zufolge zumindest eine emotional relevante Funktion von Tränen, es könnte aber noch andere geben.

Nichts typisch Weibliches

Rein körperlich betrachtet machen also Frauentränen Männer deutlich sanfter bzw. weniger erregt. Laut den Forschern führen chemische Signalstoffe, die zwar nicht bewusst riechbar sind, zu den entsprechenden Reaktionen - ähnlich wie bei Schweiß oder anderen Körperflüssigkeiten. Welche Komponenten dies sind, müsse man erst herausfinden.

Diese Signalwirkung beschränkt sich mit Sicherheit nicht auf weibliche Tränen, wie die Forscher betonen. Es sei vielmehr wahrscheinlich, dass Tränen von Männern oder Kindern die gleichen oder andere Botenstoffe beinhalten und vergleichbare Reaktionen beim Gegenüber auslösen. Das möchten sie auch in zukünftigen Studien untersuchen. Wenn sich denn nur genug weinende Männer finden würden.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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