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Ein Pudel wird mit einer Schere geschoren

Das Tier: Ganz anders oder doch wie wir?

Für Aristoteles war der Mensch jenes Tier, das Vernunft, Sprache und Gesellschaft hat. Descartes hielt Tiere für Maschinen, nur Menschen zeichneten sich durch eine Seele aus. War die Frage nach dem Verhältnis von Tieren zu Menschen immer wichtig in der Philosophie, so gibt es den Begriff "Tierphilosophie" erst seit kurzer Zeit.

Philosophie 18.01.2011

Den Gründen dieses "Comebacks" einer alten Fragestellung geht der Philosoph Hans Johann Glock von der Universität Zürich in einem science.ORF.at-Interview nach.

science.ORF.at: Welches Verhältnis haben Sie selbst zu Tieren?

Porträtfoto von Hans Johann Glock

Universität Zürich

Hans Johann Glock ist Professor für Philosophie an der Universität Zürich. Forschungsinteressen: Philosophie des Geistes, Sprachphilosophie, Geschichte der Analytischen Philosophie, Wittgenstein.

Hans Johann Glock: Ich habe kein Haustier, wenn Sie das meinen. Die meisten Tiere, denen ich begegne, sind bereits auf einem Teller. Mein Zugang ist also eher theoretischer Natur.

Seit wann existiert der Begriff Tierphilosophie?

Der deutsche Philosoph Markus Wild hat ihn 2008 in einem Buch eingeführt, seither ist er als griffiger Sammelausdruck für drei Themengebiete oft aufgegriffen worden. Die drei Fragen lauten: Besitzen Tiere einen Geist, der unserem ähnelt? Gibt es bestimmte Eigenschaften, die nur uns Menschen zukommen? Und wie sollen wir uns gegenüber Tieren verhalten?

Die Fragen hat es schon länger gegeben, warum nun das neue Etikett "Tierphilosophie"?

Das hat zum einen mit Fragen der Tierethik zu tun, die in den vergangenen Jahrzehnten öffentlich immer stärker diskutiert wurden und auch zu neuen Gesetzen geführt haben. Zum anderen haben Biologen immer mehr Beweise für intelligente Verhaltensweisen von Tieren erbracht. Und drittens scheint es auch eine Art Krise im menschlichen Selbstverständnis zu geben. Viele Dinge, die früher dem Menschen vorbehalten waren, können Computer, Roboter oder Tiere scheinbar genauso gut. Außerdem lassen sich heute viele Teile des Menschen durch Prothesen oder Implantate ersetzen. Und das hat zu einer Neuausrichtung der Frage geführt, was das wesentlich Menschliche denn ausmacht.

Tiere haben in der Geschichte der Philosophie immer eine wichtige Rolle gespielt - wann besonders?

Zu drei Zeitpunkten, zunächst im antiken Griechenland, dann in der Neuzeit von Europa und dann seit ungefähr 1950.

Warum gerade zu diesen Zeitpunkten?

Ö1 Sendungshinweis:

Cartoon, das Mensch und Tier zeigt - sie sehen sich durchaus ähnlich,

Reinhilde Becker

"Das Tier und wir. Philosophische Grenzgänge zwischen den Arten": Ö1 Dimensionen, 18.1., 19:06 Uhr.

In Griechenland hing das damit zusammen, dass da überhaupt erst angefangen wurde, so etwas wie Philosophie zu betreiben. Das geht nur, wenn man allgemeine Unterscheidungen trifft. Während man in der griechischen Mythologie von einzelnen Tierarten sprach, haben die Pioniere der Philosophie begonnen, Gemeinsamkeiten zwischen allen Tieren und Pflanzen festzustellen.

Dabei sind sie schnell auf die Idee gekommen, dass wir Menschen, obwohl wir Tiere sind, uns doch von den anderen Tieren unterscheiden. Aristoteles hat z.B. so eingeteilt: Pflanzen haben Bedürfnisse, Tiere können wahrnehmen und sich bewegen, aber nur der Mensch hat Vernunft, Einsicht und Intellekt.

Diese Dreiteilung des Belebten zieht sich durch bis zur frühen Neuzeit, aber spätestens mit Descartes kommt die Idee eines strengen Dualismus auf: auf der einen Seite die unbelebte Natur inklusive der Tiere, die man mechanisch erklären kann. Auf der anderen Seite der Mensch, der etwas besitzen musste, das ihn über den rein mechanischen Bereich der Welt hinaushebt. Und das war dann bei Descartes der Besitz einer Seele oder eines Geistes, die dem wiederum rein mechanischen menschlichen Körper innewohnen.

Die Debatten, die Descartes auslöste, hallen heute in der Analytischen Philosophie des Geistes nach ....

Literaturhinweise:

Giorgio Agamben: Das Offene. Der Mensch und das Tier, Edition Suhrkamp 2003
Ausstellungskatalog: Tier-Werden, Mensch-Werden 2009 in Berlin
Reinhard Brandt: Können Tiere denken? - Ein Beitrag zur Tierphilosophie, Suhrkamp Insel 2009
Jacques Derrida: Das Tier, das ich also bin, Passagen Verlag 2010
Donna Haraway: Hunde mit Mehrwert und lebendiges Kapital. In: jour fixe initiative berlin (Hg.): Gespenst Subjekt. Unrast Verlag, Münster 2007
Friederike Range: Wie denken Tiere?, Verlag Ueberreuter 2010
Markus Wild: Tierphilosophie zur Einführung, Junius Verlag 2008
Dominik Perler/Markus Wild: Der Geist der Tiere - Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2005
Peter Zeillinger: Jacques Derrida. Bibliographie der französischen, deutschen und englischen Werke, Turia+Kant, Wien 2005
Peter Zeillinger, Dominik Portune (Hg.): Nach Derrida. Dekonstruktion in zeitgenössischen Diskursen, Turia+Kant 2006

Im 20. Jahrhundert haben die Fragen nach dem Verhältnis von Tier und Mensch die dritte Blüte erlebt, in Folge des linguistic turn v.a. hinsichtlich der Unterschiede in der Sprache. In der Analytischen Philosophie des Geistes ist die Unterscheidung von Bewusstsein und Intentionalität zentral. Intentionalität bedeutet, dass ein Lebewesen Überzeugungen oder Wünsche haben kann, die seine Umwelt betreffen. Also z.B. die Überzeugung, dass die Sonne scheint, oder der Wunsch, dass die Schokolade im Kühlschrank liegt.

Viele zeitgenössische Philosophen gestehen Tieren solche Überzeugungen und Wünsche zu. Das wird aber von der Frage unterschieden, ob Tiere ein Bewusstsein haben. Ein bisschen kommt die Automatentheorie von Descartes ins Spiel: Niemand würde bestreiten, dass Tiere, wenn sie Automaten sind, sehr intelligente Automaten sind. Aber verfügen sie über dieses innere Glühen, das wir Bewusstsein nennen?

Was denken Sie?

Ich selber halte von der Unterscheidung nicht so viel: Für mich ist Bewusstsein eher ein hausbackenes Phänomen. Es haben jene Lebewesen, die für Reize und Information ihrer Umwelt zugänglich sind, die ihre Umwelt also wahrnehmen und entsprechend handeln können.

Kann man sich das als Dreistufenmodell vorstellen: Intentionalität-Bewusstsein-Sprache? Und wenn ja, wo stehen da die Tiere?

Für mich ist diese Hierarchie nicht so ausgeprägt. Man kann darüber streiten, ob alle Formen, auf die Umwelt zu reagieren, als Wahrnehmung gelten, und ob es da überall Bewusstsein gibt. Sprache ist ein nächster Schritt. Bei Tieren muss man unterscheiden zwischen denen, die in ihrer natürlichen Umgebung leben, und sogenannten akkulturierten Tieren, also Exemplaren, die von Menschen im Gebrauch von Symbolsystemen trainiert worden sind.

Sprache, wie wir sie kennen, in der Zeichen aufgrund von Konventionen verwendet werden, kann man manchen höheren Lebewesen beibringen. Das betrifft u.a. bestimmte Delfinarten, Schimpansen und Zwergschimpansen. Diese Arten haben auch eine Syntax, wie es Linguisten nennen, d.h. sie können nicht nur einzelne Begriffe darstellen, sondern auch verschiedene sprachliche Elemente auf unterschiedliche Weise miteinander kombinieren (z.B. "Das Glas ist auf dem Buch" vs. "Das Buch ist auf dem Glas"). Was es nicht gibt, ist die Art Struktur, die es erlaubt, beliebig viele Sätze zu beliebig vielen Themen bilden können. Das findet sich bei keinem Tier, nur beim Menschen.

Wie sinnvoll ist es, sich mit derlei Fragen "nur" philosophisch zu beschäftigen? Wie wichtig ist die Auseinandersetzung mit der empirischen Verhaltensforschung?

Das kommt darauf an. Wenn es um die Frage geht, welche mentalen Fähigkeiten man einem Lebewesen ohne Sprache prinzipiell zuschreiben kann, dann kann man das auch ohne Verhaltensforschung. Wenn aber die Frage lautet "Können Tiere denken?", dann wäre es absurd, sie ohne empirischen Input zu beantworten. Was von Einzelwissenschaftlern, die gerne die Philosophie abwatschen, aber oft übersehen wird, ist, dass ohne Philosophie auch keine kohärente Lösung folgen kann.

Denn in der Frage tauchen Begriffe auf, die äußerst komplex und umstritten sind. Wer fragt, ob Tiere denken können, muss klären, was unter Denken zu verstehen ist, was die Unterschiede sind zwischen Denken und Wahrnehmen, was der Zusammenhang ist von Über-eine-Sache-Nachdenken und Denken, dass etwas der Fall ist. Ob man denken kann, ohne Wünsche zu haben, was man unter einer Sprache versteht etc.

Ein Plädoyer für Interdisziplinarität?

Sicherlich. Ich halte nichts von der reinen Philosophie, die unter Berufung auf Aristoteles oder Kant im schlechten Sinn a priori sagt, dass Tiere nicht denken können. Ich bin aber auch der Meinung, dass die Expertise von Philosophie nicht darin besteht, Daten zu sammeln, sondern sich mit den Daten der Verhaltensforschung auseinanderzusetzen, zu überprüfen, wie die empirischen Befunde zu ihren Verhaltenstheorien passen; schauen, ob es da begriffliche und methodologische Ungenauigkeiten gibt.

Begriffsklärung also als Job der Philosophen?

Ja, wobei sich auch Philosophen einmal überlegen könnten, wie man eine bestimmte Hypothese empirisch bestätigt oder widerlegt. Was sie nicht tun sollten, ist a) die Empirie zu ignorieren und b) als Philosophen selbst empirische Forschung zu betreiben. Das scheint mir ein regressiver Schritt, da gibt es doch eine gute Arbeitsteilung.

Gibt es diese Zusammenarbeit konkret an der Uni Zürich?

Ja, ich arbeite mit den Life Sciences zusammen. Wie an der Universität Wien gibt es eine starke Verhaltensforschung, wir kommentieren gegenseitig die Papers. Ich frage bei den Kollegen z.B. nach, wie es mit vergleichenden IQ-Tests für verschiedene Tierarten aussieht. Umgekehrt fragen sie mich z.B., was es zum Begriff der Regel in der Philosophie gibt, weil sie wissen wollen, ob Primaten Regeln befolgen können.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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