Das Ende: Nichts
"Das angeblich schaurigste aller Übel also, der Tod, hat für uns keine Bedeutung. Denn solange wir noch da sind, ist der Tod nicht da. Stellt sich aber der Tod ein, so sind wir nicht mehr da." Dieser Satz stammt vom griechischen Philosophen Epikur. Logisch betrachtet ist er wasserdicht: Der Tod ist definitionsgemäß kein Teil des Lebens, folglich kann er auch kein Übel sein.
Doch so schlüssig das Epikur'sche Argument auch sein mag, ganz überzeugen kann es dennoch nicht. Der Gedanke an die eigene Endlichkeit bleibt für die meisten beklemmend. Das Nichts, das uns nach dem Leben erwartet, wirft seinen Schatten voraus, obwohl es eigentlich gar keinen hat.
Das zeigen auch psychologische Studien: Wenn Menschen an den eigenen Tod erinnert werden, reagieren sie mit Abwehrhaltungen - Leugnung der eigenen Verwundbarkeit, Zuflucht bei religiösen Lehren, Unterdrückung von belastenden Gedanken. Britische und US-amerikanische Psychologen haben diese Tendenz nun genauer untersucht und einen interessanten Zusammenhang zu Intoleranz und Rassismus entdeckt.
"Wir reagieren wie kleine Kinder"
Die Studie
"Being Present in the Face of Existential Threat: The Role of Trait Mindfulness in Reducing Defensive Responses to Mortality Salience" ist im "Journal of Personality and Social Psychology" (Bd. 99, S. 344) erschienen.
"Angesichts der Endlichkeit unseres Lebens reagieren wir wie kleine Kinder, die sich vor dem Monster in der Toilette unter der Decke verstecken, bis sie fast ersticken", sagt Todd Kashdan von der George Manson University, einer der Studienautoren. "Wir versuchen die Gedanken an den Tod abzuwehren, aus unserem Ich zu entfernen und verteidigen die Stabilität und den Sinn des Lebens mit aller Gewalt."
Und diese Haltung habe, so Kashdan, auch eine dunkle Seite. "Wenn Menschen mit der Tatsache konfrontiert werden, dass der Tod unausweichlich ist, nehmen ihre rassistischen Tendenzen zu." Kashdan und seine Kollegen konfrontierten hellhäutige Probanden im Rahmen ihrer Studie mit einem hypothetischen Verbrechen. Wurden sie zuvor an ihre eigene Sterblichkeit erinnert, forderten die Probanden härtere Strafen für Täter mit dunkler Hautfarbe als es bei weißen Verbrechern der Fall war.
"Mindfulness" hilft
Die gute Nachricht ist: Nicht jeder ist gleichermaßen von diesem Einbruch im Moralgefüge betroffen. Aufmerksamkeit ist offenbar ein gutes Gegenmittel zur drohenden Intoleranz. "Mindfulness", nennen Psychologen diesen Zustand, eine Art Wachheit gegenüber dem Hier und Jetzt - durchaus vergleichbar mit dem, was Buddhisten "Achtsamkeit" nennen, wenn sie durch Meditation zur geistigen Klarheit gelangen wollen.
Inwieweit Menschen das Gegenwärtige achtsam erleben, lässt sich auch messen, wie die US-Psychologen Kirk Brown und Richard Ryan letztes Jahr gezeigt haben (Journal of Personality and Social Psychology, Bd. 84, S. 822). Und diese Messwerte sind wiederum ein guter Hinweis darauf, ob die dunkle Seite der Todesangst Einfluss über das Ich gewinnt - oder nicht.
Im Rahmen seiner aktuellen Studie legte Kashdan Testpersonen etwa folgende Aufgabe vor: Sie mussten die langsame Verwesung ihres Körpers nach dem Tod in möglichst vielen Details beschreiben und dann einen Fragenkatalog beantworten. Ergebnis der Übung: Unaufmerksame Menschen fanden es höchst ärgerlich, wenn Ausländer Kritik an den USA übten; sie reagierten negativer auf mögliche berufliche Benachteiligungen weißer Arbeitnehmer; und sie forderten härtere Strafen gegenüber "sozialen Übertretungen", wie etwa Prostitution und Ehebruch.
Das Grauen lindern
Aufmerksame Menschen indes reagierten deutlich weniger defensiv gegenüber Ansichten, die sich von ihrem eigenen Weltbild unterschieden. Kurzum: Sie waren in jeder Hinsicht toleranter und diplomatischer. Diese Haltung lindert der Studie zufolge auch das Grauen vor dem Nichts am biografischen Horizont. Gegen den Tod kommt natürlich auch die Aufmerksamkeit nicht an - aber sie gibt ihm offenbar ein anderes Gesicht.
Todd Kashdan: "Als wir unsere Probanden anwiesen, sich schriftliche Gedanken über den Tod zu machen, verbrachten jene mit hohen Werten bei den Aufmerksamkeitstests deutlich mehr Zeit damit. Und sie verwendeten auch mehr Wörter, die in direktem Zusammenhang mit dem Tod stehen. Das weist auf eine größere Offenheit gegenüber dem Sterben und den damit verbundenen Ängsten hin. In diesem Laborduell hat die Aufmerksamkeit dem Tod einen Teil der Macht genommen, die er über uns besitzt."
Robert Czepel, science.ORF.at
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