Konsumgüter als götzenhafte Goldene Kälber und Religion als Motivation zum nachhaltigen Umgang mit Ressourcen in einer modernen Gesellschaft: Der Linzer Theologe Michael Rosenberger erklärt im Interview, wie uns religiöse Tugenden zu einem nachhaltigeren Umgang mit der Natur verhelfen könnten.
science.ORF.at: Wie können Religion oder Spiritualität dazu beitragen, nachhaltiger zu leben?

Pressestelle KTU Linz
Michael Rosenberger ist Professor für Moraltheologie und Prorektor der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, deren Rektor er von 2006 bis 2010 war. Er ist Mitherausgeber der Linzer Reihe "Beiträge zu Wirtschaft - Ethik - Gesellschaft" und Mitglied der Gentechnik-Kommission beim österreichischen Bundesministerium für Gesundheit sowie Umweltsprecher der Diözese Linz.
Michael Rosenberger: Religion hat einen großen Erfahrungsschatz, der über viele Jahrhunderte gewachsen ist und darauf hinaus läuft, dass der Einzelne sich einschränkt zugunsten der Bedürfnisse der Gemeinschaft, der Schöpfung und aller Lebewesen auf der Erde. Es war schon immer eine Frage von Religion - nicht nur der christlichen, sondern auch der anderen -, wie der Mensch im Umgang mit begrenzten Ressourcen glücklich werden kann. Christliche Spiritualität hat Strategien entwickelt, die dazu verhelfen können.
Wie sehen diese Strategien aus?
Eine lautet: Weniger ist mehr. Wenn ich faste, kann ich Dinge, die ich esse, mehr schätzen, bewusster wahrnehmen und den Geschmack intensiver empfinden und so zu einer intensiveren Lebensqualität kommen. Die Strategie wäre, im Verzicht eine neue Lebensperspektive, -qualität und -intensität zu entdecken und letztlich etwas zu gewinnen.
Die Kirche hat ja das Projekt des Autofastens ins Leben gerufen. Bräuchte es für einen nachhaltigeren Lebensstil ein Fasten auch in anderen Bereichen als der Ernährung?
Autofasten ist eine Aktion der katholischen und evangelischen Kirche. Die Initiative soll Menschen dazu anregen, in der Zeit zwischen Aschermittwoch und Karsamstag die eigene Mobilität zu hinterfragen und auf das Auto zu verzichten oder weniger mit dem Auto zu fahren.
Das Essen hat natürlich eine besondere Bedeutung, weil wir ohne es nicht auskommen. Gleichwohl sollte sich Fasten nicht allein auf die Nahrungsaufnahme beschränken, sondern wir können beim Fasten auch die verschiedenen Situationen unseres alltäglichen Lebens in den Blick nehmen.
Wenn wir weniger mit dem Auto fahren, entdecken wir Alternativen und dass andere Formen der Mobilität viel besser, reichhaltiger und schöner sein können. Wenn ich mit dem Zug fahre, kann ich am Weg zum Arbeitsplatz Kollegen und Kolleginnen treffen oder in den Speisewagen gehen. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad nimmt man die Natur viel unmittelbarer und intensiver wahr: Man kann den Duft von Blumen riechen oder jenen der Erde, wenn es geregnet hat, man kann Vögel hören. Es ist Qualität, die man da gewinnt.
Ein nachhaltigerer Lebensstil muss also kein asketischer sein?
Ö1-Sendungshinweis:
Regelmäßige Beiträge zur Religion finden sich im Programm von Radio Österreich 1.
Genau. Der klassische Begriff der Askese meint ein Verhalten, das einen zu größerer Freiheit bringt. Diese Bedeutung ist leider in unserer gesellschaftlichen Wahrnehmung verloren gegangen. Wir verstehen unter Askese meistens nur das Negative - "Das darfst Du nicht. Das sollst Du nicht" -, und dass das Leben damit weniger lebenswert wird.
Darum geht es überhaupt nicht. Die christliche Religion will den fastenden Menschen nicht quälen. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, positive Lebensdimensionen zu entdecken und dann womöglich auch über die Fastenzeit hinaus unseren Lebensstil ein Stück weit zu verändern.
Sie schlagen vor, ein Leben im Sinne der Nachhaltigkeit nach bestimmten Tugenden bzw. Grundhaltungen auszurichten. Dazu zählen neben Ehrfurcht und Maßhaltung auch Demut und Opferbereitschaft. Sind solche Einstellungen bei den Menschen heute nicht eher unbeliebt?
Die erwähnten Tugenden umfassen Ehrfurcht, Dankbarkeit, Empathie, Maßhaltung, Demut und Opferbereitschaft. Laut Rosenberger lassen sich alle mit Nachhaltigkeits- und Umweltthemen verknüpfen: zum Beispiel in der Ehrfurcht vor der Schöpfung, dem Mitgefühl für Tiere, der Selbstbegrenzung, um anderen Menschen ebenfalls ein würdiges Leben zu ermöglichen, oder der Sichtweise eines "Weniger ist mehr".
In der Ethik werden solche Werte deswegen entwickelt, weil sie nicht von allen gelebt werden. Sonst bräuchten wir diese Werte nicht formulieren und keinen Appell aussenden. Gleichwohl muss ich sagen, dass alle diese Werte zumindest in Teilen der Bevölkerung und in manchen Lebensbereichen von vielen gelebt werden.
Zum Beispiel der Begriff der Ehrfurcht: Vor gewissen Dingen haben wir als moderne Menschen vielleicht zu wenig Respekt - zum Beispiel im Bereich Natur und Schöpfung. Wir haben aber in manchen Bereichen sogar mehr Ehrfurcht als früher. Wir haben heute mehr Respekt vor anderslautenden Meinungen, als wir das vor Jahrhunderten hatten.
Nachhaltigkeitsprobleme sind nicht neu, auch der Begriff nicht. Seit Langem mahnen Wissenschaftler ein anderes Verhalten ein, unsere Gesellschaft verhält sich meist aber immer noch nicht nachhaltig. Warum sollte sich das ändern, wenn jetzt auch Theologen dies fordern?
Wenn nur wiederholt wird, was alle anderen schon sagen, würde die Theologie relativ wenig beitragen. Das Spezifikum der Theologie liegt nicht darin, dass sie Nachhaltigkeit fordert, sondern dass sie auch bestimmte günstige Rahmenbedingungen und Strategien benennen kann, mit denen man zu einem nachhaltigen Lebensstil kommt.
Die sogenannte Rio-Konferenz, die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung, fand 1992 in Rio de Janeiro statt. Auf ihr wurden wesentliche Dokumente zur Nachhaltigkeit beschlossen, zum Beispiel die Klimarahmen- und die Biodiversitätskonvention.
Da werden Theologinnen und Theologen auch von Vertretern anderer Wissenschaften und von der Politik gefordert. Die Vereinten Nationen beziehen die großen Weltreligionen seit der Rio-Konferenz in verschiedene Initiativen und Gespräche mit ein und überlegen mit ihnen gemeinsam, welche Strategien uns helfen, hier weiter zu kommen.
Haben Sie ein Beispiel dafür, wie sich durch das Einbinden der Religionen mehr bewegen lässt?
In muslimischen Ländern zum Beispiel herrscht häufig große Wasserknappheit. Es gibt einen Plan, wie man dort die Menschen zu einem nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser bringen kann. Da hat man gelernt, dass man den Menschen mit dem Koran klar machen muss, dass Wasser eine kostbare Gabe Gottes ist. Auf einmal gehen die Menschen anders mit Wasser um. Das Spezifikum der Religion liegt darin, dass sie motivieren kann, vorausgesetzt natürlich, dass die Menschen religiös offen sind.
Dieser Ansatz klingt ein bisschen wie ein Schritt zurück vor die Aufklärung: Eine starke Religion statt wissenschaftlicher Vernunft sagt den Menschen, wie sie sich verhalten sollen.
Veranstaltungshinweis:
Am 10. März 2011 spricht Michael Rosenberger zum Thema "Einfach leben - Spirituelle Quellen für nachhaltige Lebensstile" ab 18 Uhr im Theatersaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Sonnenfelsgasse 19, 1010 Wien).
Verbindliche Anmeldung und weitere Informationen zur Veranstaltung.
Die Veranstaltung findet im Rahmen der Vortragsreihe "Mut zur Nachhaltigkeit" statt. Veranstalter der Vortragsreihe sind das Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der Universität für Bodenkultur, das Lebensministerium und die Initiative Risiko:dialog von Umweltbundesamt und Ö1 in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Wien und der Österreichischen Nationalbank mit freundlicher Unterstützung der deutschen Stiftung Forum für Verantwortung.
Die Vortragsreihe fand bereits in den letzten beiden Semestern statt und wird seither mit Interviews in science.ORF.at begleitet, unter anderem mit den folgenden Beiträgen:
Die Religion spielt eine Rolle, allerdings in einer aufgeklärten Gesellschaft. Es geht nicht um ein Monopol der Religion auf Strategien zur Nachhaltigkeit. In einer postmodernen Gesellschaft ist Religion eine wichtige gesellschaftliche Kraft. Sie ist de facto die größte Nichtregierungsorganisation.
Das anzuerkennen heißt ja nicht, den Menschen abzusprechen, dass man sich auch gegen die Religion entscheiden kann. Es heißt nur, positiv wahrzunehmen, dass Religion etwas zur Gestaltung von Gesellschaft beiträgt. Das ist in modernen, aufgeklärten Gesellschaften genauso oder vielleicht sogar noch besser möglich als in vormodernen Gesellschaften.
Aber kann Religion in einer Gesellschaft, in der zum Beispiel immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, eine stärkere Rolle spielen und zu mehr Nachhaltigkeit motivieren?
Die Leute werden weniger religiös im Sinne von verfasster, von kirchlicher, von stark institutionalisierter Religiosität. Diesen Trend werden wir in den nächsten Generationen auch nicht umdrehen. Es ist aber möglich, den Menschen die Grunderfahrungen von Religiosität bewusst zu machen. Da sehe ich immer wieder großes Potenzial in Begegnungen auch in nicht-kirchlichen Kreisen.
Was sind solche Grunderfahrungen?
Zum Beispiel die Erfahrung der Ehrfurcht oder der Demut, dass der Mensch ein kleiner, zerbrechlicher, winziger, unscheinbarer Teil in diesem unendlich großen Universum ist. Solche Erfahrungen kann ich auch in einem nicht unmittelbar religiösen Menschen wecken, weil es Grunderfahrungen des menschlichen Lebens sind. Da erlebe ich, dass sich Menschen ganz stark ansprechen lassen, selbst wenn sie sehr kirchenfern sind, wenn sie aus der Kirche ausgetreten sind. Da kann man sie tatsächlich berühren.
Sie vergleichen in einem ihrer Texte das Auto mit dem Goldenen Kalb. Haben wir in unserer Gesellschaft heute zu viele Götzen, die zu einem nicht nachhaltigen Lebensstil führen?
Das biblische Goldene Kalb wird von den Menschen, die es anbeten nicht mehr hinterfragt. Solche Symbole haben wir heute auch: das Auto, das Handy. Es gibt eine Reihe von Symbolen in unserer Gesellschaft, die wir nicht mehr kritisch beleuchten, und wo wir nicht mehr fragen, ob es auch ohne sie oder anders gut zu leben ginge.
In der Religion liegt ein Potenzial, dass sie solche Goldenen Kälber hinterfragt. Letztlich versklavt uns ja ein Gut, wenn wir es vergöttern und wir werden unfrei dabei. Religion ist ja von ihrer Grundidee her bemüht, Menschen frei und mündig zu machen, auch wenn das in der Geschichte oft verschleiert wurde.
Mark Hammer, science.ORF.at