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Leuchtender Mandelkern im Gehirnschnitt

Das Aha-Zentrum und die Angstbremse

Hirnforscher haben im Schläfenlappen der Großhirnrinde zwei Entdeckungen gemacht: Dort liegt ein Neuronennetzwerk, das für die Entstehung von Aha-Erlebnissen verantwortlich ist - sowie eines, das Ängste aus dem Gefühlsleben verbannt.

Hirnforschung 10.03.2011

"Heureka!"

Als der alte Grieche Archimedes das heute nach ihm benannte physikalische Prinzip der Verdrängung in Flüssigkeiten entdeckte, soll er vor lauter Freude aus der Badewanne gesprungen und laut rufend als Nackedei durch die Straßen von Syrakus gelaufen sein. So beschreiben zumindest Plutarch und Vitruv den ersten offiziellen "Heureka!"-Moment der Wissenschaftsgeschichte.

Die Studie

"Uncovering Camouflage: Amygdala Activation Predicts Long-Term Memory of Induced Perceptual Insight" ist im Fachblatt "Neuron" erschienen (Bd. 69, S. 1002; doi: 10.1016/j.neuron.2011.02.013).

Was zum Zeitpunkt der Entdeckung in Archimedes' Gehirn passiert sein mag, zeigt nun, 2.200 Jahre später, eine Studie von Nava Rubin. Die Neurowissenschaftlerin von der New York University hat Aha-Erlebnisse durch bildgebende Verfahren sichtbar gemacht. "Im täglichen Leben werden plötzliche Einsichten fast immer in das Langzeitgedächtnis übergeführt", sagt die Forscherin mit Spezialgebiet visuelle Wahrnehmung.

"Wenn wir eine Lösung für ein Problem finden oder eine Aufgabe schneller und besser bewältigen, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir diese Einsicht wieder vergessen. Wir wollten wissen, was die neuronale Grundlage dafür ist."

Im Mandelkern geht ein Licht auf

Rubin legte Testpersonen Bilder vor, die zuvor per Computer so stark vereinfacht wurden, dass die auf ihnen dargestellten Gegenstände kaum mehr zu erkennen waren. Kurz darauf präsentierte sie das Original - woraufhin sich die zuvor bedeutungslosen Konturen des ersten Bildes schlagartig zu einer sinnvollen Szene verwandelten. Währenddessen überprüfte sie die Reaktionen im Hirn der Probanden per funktioneller Magnetresonanztomographie.

Eine Woche später wiederholte Rubin die Testserie, präsentierte den Probanden diesmal jedoch nur das optisch abgerüstete Bild und bat sie, sich an die dargestellten Objekte zu erinnern. Der Versuch zeigte: Während den Testpersonen ein Licht aufging, wurde vor allem die "Amygdala", zu Deutsch: der "Mandelkern" aktiv, ein Hirnareal im Temporallappen.

Die Aktivität des Mandelkerns sagte auch die spätere Erinnerungsleistung voraus. Je aktiver das Zentrum während des Aha-Effektes war, desto eher blieb die Lösung für das Bildrätsel auch im Gedächtnis haften.

Bislang wurde die Amygdala vor allem mit der Entstehung von Gefühlen und Affekten in Verbindung gebracht. Bei den Versuchen war es allerdings einerlei, ob die Bilder emotional besetzte Sujets zeigten oder nicht. Das weist darauf hin, dass diese Region auch andere wichtige Funktionen hat. Rubin: "Wir vermuten, dass die Amygdala anderen Hirnregionen signalisiert, dass eine wichtige neuronale Reorganisation stattgefunden hat." Anders gesagt: Das Signal formt die plötzliche Einsicht zur dauerhaften Erinnerung.

Wie man Mäuse mutig macht

Die Studie

"Amygdala circuitry mediating reversible and bidirectional control of anxiety" ist im Fachblatt "Nature" erschienen (doi: 10.1038/nature09820).

Mit einer weiteren Überraschung in Bezug auf den Mandelkern warten nun Forscher um Karl Deisseroth von der Stanford University School of Medicine auf. Dass diese Region eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Furcht spielt, wusste man schon bisher. Aber offenbar sitzt inmitten dieses Angstzentrums ein Areal, das genau das Gegenteil wie der umgebende Teil tut: Es unterbindet Ängste.

Deisseroth manipulierte das Nervengewebe von Mäusen dergestalt, sodass er Neuronennetzwerke über ein in den Mäusekopf implantiertes Lichtkabel aktivieren bzw. hemmen konnte. Die Methode namens "Optogenetik" ist relativ neu und wurde 2010 vom Fachblatt "Nature" zur wissenschaftlichen Methode des Jahres ernannt, weil man mit ihr viel spezifischer als je zuvor in das Gehirn von lebendigen Tieren eingreifen kann. Im Fall von Deisseroths Mäusen hatte der Eingriff jedenfalls spektakuläre Wirkung: Normalerweise meiden Mäuse offene Flächen unter allen Umständen, weil sie dort frei sichtbar und gegenüber Feinden exponiert sind.

Doch jene Tiere, deren Anti-Angstregion in der Amygdala künstlich stimuliert worden war, spazierten im Labor unbekümmert über solche Flächen, als gehörte es immer schon zum mäusischen Verhaltensinventar. Die Hemmung derselben Hirnregion bewirkte erwartungsgemäß das Gegenteil, die Tiere erstarrten und kauerten sich augenblicklich hin.

Deisseroth, der neben seinem wissenschaftlichen Engagement auch als Psychiater arbeitet, erhofft sich von der Entdeckung eine neue Ansatzstelle für die Behandlung von Angststörungen. Bisher erhältliche Medikamente haben oft unerwünschte Nebenwirkungen, wie etwa Suchtgefahr und Atemprobleme. Der Zugriff auf die bislang unbekannte Angstbremse im Mandelkern könnten diese vielleicht vermeiden.

Robert Czepel, science.ORF.at

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