L. Mahadevan von der Abteilung für Evolutionäre Biologie der Universität Harvard und Haiyi Liang von der University of Science and Technology in Heifei (China) haben damit nicht nur "wissenschaftliche Ästhetik mit Schönheit verbunden", wie sie selbst formulieren, sondern eventuell auch wertvolle Hinweise für die Entwicklung ultradünner Materialien geliefert.
Die Studie:
"Growth, geometry, and mechanics of a blooming lily" ist in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" erschienen (doi:10.1073/pnas.1007808108).
Symbol der Reinheit
Lilien haben in vielen Kulturen wegen ihrer auffälligen Blüte einen besonderen Status: Die oft weiß blühende Blume steht etwa im Christentum für Reinheit - eine Art bekam sogar den Namen Madonnenlilie und sollte die Reinheit von Maria symbolisieren. In China wurden sie laut Wikipedia sogar als Heilpflanzen verwendet - gegen chronischen Husten, Blutkrankheiten und Schlaflosigkeit.
Von den vielen bekannten Lilienarten haben sich Mahadevan und Liang Lilium casablanca als Untersuchungsobjekt ausgesucht, um ein Phänomen, das so vielen Künstlern Inspiration war, quantitativ zu beschreiben: das Erblühen.
Ö1 Sendungshinweis:
Über das Aufblühen von Knospen wird auch in der Ö1 Sendung "Wissen Aktuell" am 22. März 2011 um 13.55 Uhr berichtet.
Viereinhalb Tage gefilmt
Die untersuchte Lilie verfügt wie alle blühenden Pflanzen über spezielle "Vorrichtungen", damit in der Knospe die Spannung wachsen kann, die Blütenblätter aber noch längere Zeit verborgen bleiben. Bei der Lilie sind das Einkerbungen in der Mittelrippe der inneren Blätter, mit deren Hilfe die äußeren Kelchblätter Halt finden.
Um die Entwicklung einer Knospe dokumentieren zu können, wurden mehrere Exemplare bis zum Erblühen in einminütigen Intervallen gefilmt. Viereinhalb Tage lang sammelten die Forscher Aufnahmen der Blume, bis die Blüte schließlich völlig geöffnet war. Dabei kann man sehen: Schon im Knospenstadium wird die Spannung an den Rändern der Blütenblätter so groß, dass sie sich bereist gekraust entfalten.
Blätter markiert
Um zu messen, wie sich die äußeren und inneren Blütenblätter in dieser Phase der Öffnung verändern, wurden sie von den Forschern markiert: Sie malten an den Rändern, im Zentrum und entlang der Mittelrippe schwarze Punkte im Abstand von einem Zentimeter auf und beobachteten, ob sich die Abstände während der viereinhalb Tage dauernden Aufblühphase veränderten.
Es zeigte sich, dass die Mittelrippe der inneren und äußeren Blütenblätter um zehn Prozent wuchs, während sich die Ränder der Blätter um mehr als 20 Prozent vergrößerten. Die Spannung, die dazu führte, dass sich die inneren Blütenblätter der Linie "kräuseln", ging demnach vom Rand aus, nicht von der Mittelrippe wie bisher angenommen (siehe Animation unten).
Mittelrippe abrasiert
Generell scheint die dünne Linie in der Mitte der Blätter für die Blüte nicht so wichtig zu sein, zumindest glauben Mahadevan und Liang das durch ihre Studie belegen zu können - und machten dazu ein ungewöhnliches Experiment: Sie öffneten eine Knospe und rasierten von einem inneren und einem äußeren Blütenblatt die Mittelrippe so gut wie möglich ab.
Und siehe da: Beide Blätter öffneten sich völlig normal. Danach machten sie die Gegenprobe: Sie schnitten Teile der äußeren Ränder der Blätter weg, woraufhin sie sich weniger stark bogen - "weil ihnen die nötige Spannung fehlte", schreiben die Forscher in ihrer Studie.
Manipulation an den Rändern
Vom botanischen Standpunkt ließen sich die Ergebnisse von L. Mahadevan und Haiyi Liang so zusammenfassen: Die Spannung, die eine Blume erblühen lässt und ihren Blättern die typische Form gibt, geht bei der untersuchten Lilienart vom Blattrand aus, nicht von der Mittelrippe.
Vom Blickpunkt der Materialwissenschaft gesehen - und zur "School of Engineering and Applied Sciences" gehört auch Mahadevans Abteilung - eröffnet die Erkenntnis der Forscher natürlich neue Möglichkeiten: Denn möchte man die Gestalt superdünner Filme beeinflussen, sollte man das analog zum Beispiel aus der Natur auch besser durch Manipulation an den Rändern tun als durch Interventionen im Zentrum.
Elke Ziegler, science.ORF.at