Der Hamburger Übersetzer und IT-Experte Jost Zetzsche glaubt, dass die Ergebnisse besser werden, wenn Menschen und Computer zusammen arbeiten - und zwar mit "Computer-aided Translation Tools", wie er in einem Interview meint.
science.ORF.at: Sie haben 1996 zu dem Thema "Bibelübersetzungen ins Chinesische" promoviert. Um was ging es dabei genau?

WKW/Herbst
Jost Zetzsche arbeitet als Übersetzer vom Englischen ins Deutsche und ist der Autor zahlreicher Publikationen über technische Aspekte des Übersetzens. 1999 gründete er die International Writers' Group, 2003 publizierte er das e-book "A Translator's Tool Box: a Computer Primer for Translators" und seit 2005 veröffentlicht er einen zweiwöchentlichen Newsletter für Übersetzung und Computer.
Veranstaltung in Wien:
Zetzsche war vor kurzem Gast einer Veranstaltung der Berufsgruppe Sprachdienstleister der Wirtschaftskammer Wien und des Berufsverbands für Übersetzer, Universitas, in Wien.
Jost Zetzsche: Ich habe mir die Geschichte der Bibelübersetzungen in Mandarin angesehen. Dabei hat es zahlreiche Konflikte zu Begriffen gegeben. "Gott" und "Heiliger Geist" wurde z. B. von verschiedenen Missionaren unterschiedlich übersetzt, sodass bis heute verschiedene Gruppen in China separate Bibeln haben.
Wird es jemals möglich sein, die Bibel maschinell zu übersetzen?
Ich glaube nicht, der Text ist doch zu komplex und vieldeutig. Da bleibt der menschliche Geist gefragt. Alleine zu der Frage, wie man "Gott" und "Heiliger Geist" ins Chinesische übersetzen sollte, wurden ganze Bibliotheken geschrieben.
Zu Ihrer aktuellen Beschäftigung: Was können Computer-aided Translation Tools (CAT), was reine Maschinenübersetzung nicht kann?
Dabei handelt es sich um Software-Werkzeuge, die dem Übersetzer einfach zu lösende Aufgaben abnehmen, aber selbst nicht übersetzen. Ein wichtiges Element ist das Translation Memory - eine Datenbank, die Textteile im Quell- und Zieltext speichert. Wenn eines der Teile im Lauf der Übersetzung wieder auftaucht, macht die Datenbank darauf aufmerksam und man kann den Text wiederverwerten. Ein zweites wichtiges Element ist die Terminologiedatenbank, die vom Übersetzer aufgebaut wird. Er kann darin sein eigenes Wörterbuch anlegen, mit eigenen Fachbegriffen, Definitionen und Angaben zur Grammatik.
Bei welchen Arten von Texten ist es sinnvoll, CAT einzusetzen?
Überall dort, wo es eine sehr kontrollierte Terminologie gibt: etwa bei Funktionstexten in den Bereichen Medizin, Recht und Computer. Je nach Art des Textes ist der Einsatz der Werkzeuge sehr unterschiedlich. Wenn Sie ein Handbuch für Software-Programme übersetzen, gibt es unheimlich viele Wiederholungen á la: "Klicken Sie auf die Schaltfläche so und so." Dabei ist das Translation Memory wichtig. Bei medizinischen Texten gibt es weniger Wiederholungen dieser Art, dafür ist die Terminologiekontrolle viel wichtiger.
Das Europäische Patentamt hat vor kurzem mitgeteilt, dass Google in Zukunft zig Millionen ihrer Patente automatisch übersetzen wird. Das sind ebenfalls Funktionstexte, das Patentamt setzt hier aber auf reine Maschinenübersetzung: Was können Menschen hier noch besser als Maschinen?
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmete sich auch "Digital Leben": 13.4., 16:55 Uhr.
Bei den Patenten geht es weniger um eine echte Übersetzung, als um eine Suchfunktion, mit der man sprachenübergreifend nach bestimmten Begriffen suchen kann. Wenn man etwas Sinnvolles findet, lässt man sich das erst recht durch einen menschlichen Übersetzer übersetzen. Die Sprache ist unwahrscheinlich komplex, sie hat so viele Ebenen der Bedeutung, die eine Maschine nicht versteht. Sie kann nur verstehen, was der Mensch ihr zuvor beigebracht hat.
Prinzipiell gibt es zwei Arten rein maschineller Übersetzung. Die erste basiert auf Regeln: Dem Computer werden Lexika sowie syntaktische und grammatikalische Regeln eingegeben, aufgrund derer er die Ausgangstexte in eine theoretische Sprache übersetzt, aus welcher wiederum der Zieltext generiert wid. Die andere Form ist die so genannte Statistical Machine Translation, die darauf beruht, dass dem Computer große Menge von Texten eingegeben werden und er sich sozusagen selbst ein Bild davon macht, wie die Sprache aussieht.
Haben Sie ein Beispiel für eine rein automatische Textübersetzung?
Die Wissensdatenbank von Microsoft, die sogenannte Knowledge Base, bei der 100.000e Seiten aus dem Englischen ins Chinesische, Deutsche, Französische etc. übersetzt werden. Und das mit Riesenerfolg. Nicht weil das sprachliche Ergebnis so toll ist, sondern weil es so nützlich ist. Microsoft will die Übersetzung dieser riesigen Artikelmengen durch Menschen nicht finanzieren, sieht sich aber gezwungen, sie dem deutschen und chinesischen Benutzer dennoch übersetzt vorzulegen. Wenn sie dann wissen, wie man Fehler behebt oder Software installiert, sind alle zufrieden. Stilistische Schönheit ist dabei egal, es geht um Nützlichkeit.
Die ersten CAT-Programme sind Anfang der 90er Jahre aufgetaucht, wie war die Reaktion der Fachwelt?
Zu Beginn sehr kritisch und verhalten. Es herrschte der Stolz vor, Übersetzer zu sein und sich nicht von Maschinen helfen lassen zu wollen.
Mittlerweile hat sich das geändert. Laut der Wirtschaftskammer Wien nutzt rund die Hälfte der gewerblichen Übersetzer CAT-Werkzeuge - warum?
Dass liegt auch an den geänderten Anforderungen an die Branche: Texte müssen immer schneller übersetzt werden, oft arbeiten Teams zusammen, deren Mitglieder rund um den Globus verteilt sind. Die CAT-Programme helfen dabei und nützen gemeinsame, von allen nutzbare Begriffs-Datenbanken. Sie bieten mögliche Übersetzungen an, die Auswahl der richtigen Wörter trifft aber nach wie vor der Mensch. Und das wird auch in Zukunft so bleiben. Der Großteil der Übersetzungen, die wir heute machen, wird auch in Zukunft mithilfe von CAT Tools vom Mensch übersetzt werden, allerdings wird der Beitrag der maschinellen Übersetzung noch ausgebaut werden.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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