An finanzierten PhD-Stellen gebe es einen eklatanten Mangel, sagt der Wiener Hochschulforscher David Campbell in einem Interview.
science.ORF.at: Würden Sie heute einem österreichischen Studenten ohne Ambitionen auf eine Forscherkarriere raten, den Dr. bzw. den PhD zu machen?
David Campbell: Das hängt natürlich vom fachlichen Interesse der betreffenden Person ab. Davon abgesehen stellt sich die Frage: Steuert ein Doktorat nur auf eine wissenschaftliche Karriere zu - oder kann es auch eine breiter angelegte Ausbildung sein? Gegenwärtig dominiert eher die Vorstellung, dass das Doktorat für eine Forscherkarriere ausbildet.
Die Alternative wäre, dass es die Absolventen ebenso für eine wissensintensive Karriere außerhalb der Hochschulen vorbereitet. Das hieße auch, dass man die Universitäten nicht mehr als Monopolisten wissenschaftlichen Arbeitens betrachtet. Das ist natürlich auch eine gesellschaftliche Frage.
Das heißt in Bezug auf den momentanen Stand: ohne Forschungsinteresse kein Doktorat.
Wenn man sich für Forschung und Wissenschaft nicht interessiert, hat das wohl keinen Sinn. Aber wie gesagt: Eine Forscherkarriere muss nicht notwendigerweise im Hochschulkontext stattfinden. Wenn man die Begriffe "Wissens-" und "Innovationsgesellschaft" ernst nimmt, dann spielen Neugierde und Forschergeist auch in der Wirtschaft eine große Rolle.
Es könnte auch Arbeitsmodelle geben, das Stichwort dazu heißt "Cross-Employment", im Rahmen derer Personen in der Zivilgesellschaft tätig sind und auch noch ein Standbein an der Uni haben.
Wie viele Dissertanten gibt es in Österreich?

David Campbell
David F. J. Campbell forscht als Research Fellow am IFF, der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universität Klagenfurt, und unterrichtet an der Universität Wien und arbeitet im Bereich Qualitätsentwicklung der Universität für Angewandte Kunst. Er ist akademischer Direktor des Global Democracy Ranking und Co-Herausgeber des " Journal of the Knowledge Economy" und des "International Journal of Social Ecology and Sustainable Development".
Im Wintersemester 2010 gab es 284.000 Studenten insgesamt. Davon waren 30.000 Doktoratsstudierende. In diesem Zeitraum haben 2.400 ihr Doktoratsstudium abgeschlossen. Das sind die verfügbaren Zahlen - als Schätzwert könnte man noch sagen: Von den 30.000 Dissertanten sind vermutlich 7.000 bis 8.000 aktiv und versuchen ihr Studium in Mindestzeit abzuschließen.
Wie hoch sind die Drop-out-Quoten?
Dazu habe ich keine konkreten Zahlen. Laut dem OECD-Bericht "Education at a glance" bewegen sich die Abschlussquoten in Österreich bei gut 70 Prozent - das liegt im OECD- bzw. EU-Durchschnitt. Dieser Wert bezieht sich aber auf sämtliche Studien.
Die Dissertation ist oft mehr akademisches Hobby denn Brotberuf: Leben können nur wenige davon.
Das Problem ist: Nur zehn Prozent aller Doktoranden arbeiten in einer vollfinanzierten Forschungsinfrastruktur. Der größte Block entfällt auf FWF-Förderprojekte, das sind ungefähr 1.600 Personen. Wenn man die anderen Institutionen hinzunimmt kommt man auf etwa 3.000.
Der FWF hat vor einiger Zeit ausgerechnet, was es kosten würde, wenn sämtliche Dissertanten in vollfinanzierten Projekten arbeiten würden. Das ergäbe 521 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr. Würde man das aktivste Drittel der Dissertanten finanzieren, lägen die Mehrkosten bei 113 Millionen.
Wie viel verdient ein FWF-Dissertant pro Monat?
Literatur
IFF: Vom Dr. zum Ph.D. Rollenmodelle des Doktoratsstudiums
FWF: Rollenmodelle des Doktoratsstudiums in Österreich
Joanneum Research: Nutzen und Effekte der Grundlagenforschung
Der FWF budgetiert pro Kopf und Jahr 33.000 Euro Personalkosten, das ergibt - bei 14 Gehältern - ca. 1.600 Euro brutto monatlich.
Die Realität sieht aber meist anders aus. Laut einer Studie des Joanneum Research wird Wissenschaft zusehends zum Teilzeitjob. Im akademischen Mittelbau kommen auf eine Vollzeitstelle 2,2 Personen. Das heißt: Viele Jungforscher werden halbtags bezahlt, arbeiten aber oft Vollzeit. Was sagen Sie dazu?
Wenn Arbeit und Bezahlung so auseinanderklaffen, ist das schlichtweg nicht korrekt.
Ein Problem, das sich nur durch mehr Geld beheben ließe.
Mehr Geld - oder: Man könnte ermöglichen, dass ein Teilzeitforscher eben auch noch 20 Stunden in anderen Organisationen arbeiten kann. Davon könnte auch die Universität profitieren. Damit sind wir wieder beim Modell des "Cross-Employments".
Kommen wir zum Bologna-Prozess, der eine Scheidelinie zwischen zwei Traditionen markiert. Aus dem Dr. wurde nun der PhD.
Eigentlich hat dieser Übergang noch gar nicht stattgefunden. Wir haben momentan eine Zweiteilung: Auf der einen Seite gibt es das "Doktorat neu", auf der anderen die tatsächlichen PhD-Studien. 80 bis 95 Prozent der Dissertanten befinden sich immer noch auf der Schiene des "Doktorat neu".
Der Grund dafür ist: Doktoratskollegs für den PhD werden in vielen Fächern noch gar nicht angeboten. Wenn ich in Soziologie oder Politikwissenschaft dissertieren will, dann gibt es eben nur den Doktor.
Was ist denn der Vorteil des PhD?
Ein großer Vorteil ist: Er könnte die Habilitation ersetzen.
So wie in den USA.
Wie in den USA oder in Deutschland.
In Deutschland ist das schon so?
In der Mehrzahl der Bundesländer wurde die Habilitation abgeschafft. Aber auf der informellen Ebene sieht es vielfach noch anders aus: Bei Bewerbungen um Professorenstellen sind habilitierte Forscher unter Umständen im Vorteil.
Was eigentlich absurd ist.
Das kann man so nennen.
Der traditionelle Doktor basiert auf einem kaum geregelten Meister-Schüler-Verhältnis, der PhD ist viel stärker standardisiert und auf die Forschung ausgerichtet.
Und er ist viel stärker in Teamarbeit eingebunden. Betreuung und Begutachtung müssen nicht mehr von denselben Personen durchgeführt werden. Und der PhD sollte für das wissenschaftliche Arbeiten sozialisieren. Man lernt auch, wie man wissenschaftlich publiziert - dementsprechend kann eine PhD-Dissertation aus verschiedenen, bereits veröffentlichten Studien oder Buchartikeln bestehen.
Allerdings: Viele dieser Merkmale finden sich auch schon beim "Doktorat neu". Das heißt, auch viele dieser Studenten sind mit ähnlichen Anforderungen konfrontiert ...
... aber bekommen meist kein Geld für ihre Arbeit.
Und haben vor allem einen Abschluss, der formell nicht dieselben Möglichkeiten bietet wie der PhD.
Sie haben 2008 in einer Studie darauf hingewiesen, dass der vollständige Übergang zum PhD auch eine Auswahl der Dissertationsstudenten beinhalten müsste. Dafür fehlen aber im Universitätsgesetz 2002 die rechtlichen Voraussetzungen. Momentan darf jeder seinen Doktor machen.
Stimmt, darüber hinaus stellt sich die Frage, wie man mit einem Überangebot von Bewerbern umgehen will. Derzeit sind haben wir einen Flaschenhals: nämlich einen klaren Mangel an finanzierten Dissertationen. Und das vor dem Hintergrund, dass wir in Österreich ohnehin eine niedrige Akademikerquote haben.
Interessanterweise haben wir trotz der niedrigen Akademikerquote einen überdurchschnittlichen Anteil an Doktoren und Doktorinnen.
Das ist ein Artefakt, das noch aus der Zeit stammt, als der Doktor der Erstabschluss des Studiums war. Im internationalen Vergleich wäre das aber eher eine Mischform von Bachelor und Master gewesen.
Ein kurzer Blick ins Ausland: Wie sieht die Situation in den USA aus?
Die USA sind natürlich das Parademodell mit der dort üblichen Gliederung Bachelor, Master, PhD, wobei letzteres meist in ein wissenschaftliches Laufbahnschema überführt, das man "tenure track" nennt.
Das ist eine wissenschaftlich befristete Anstellung mit Leistungsnachweis, die, sofern man sich bewährt, in eine fixe Anstellung mündet. Solche Anstellungen werden in den USA jedoch deutlich seltener, auch hier gibt es Sättigungsphänomene.
Kurios: Europa eifert den USA beim "tenure track" nach - und die USA verabschieden sich davon.
Sie verabschieden sich nicht, nur ist dieses Laufbahnschema nicht mehr unbedingt der Regelfall.
Offenbar ist auch die Wissenschaft stark vom Wirtschaftswachstum abhängig - das zeigt nicht zuletzt das Beispiel China, wo absolut kein Mangel an akademischen Arbeitsplätzen besteht.
Genau. Ich habe früher an der George Washington University geforscht. Damals wollten die Uni-Absolventen aus Schwellenländern unbedingt in den USA bleiben. Heute gehen sie wieder zurück in ihre Heimatländer, weil sie sich dort bessere Chancen ausrechnen. China befindet sich in einem dramatischen Aufholprozess, was wissenschaftliche Exzellenz betrifft.
In der aktuellen Ausgabe von "Nature" steht allerdings, dass die Qualität der chinesischen PhD-Studien noch nicht internationales Niveau erreicht.
Das wird sicherlich so sein, trotzdem ist China im Kommen: Was etwa die Zahl wissenschaftlicher Fachartikel betrifft, hat China kürzlich Japan überholt. Die Entwicklung in dieser Sparte ist exponentiell - und davon wird früher oder später auch Qualität der Hochschulstudien betroffen sein.
Interview: Robert Czepel
Mehr zu diesem Thema: