Dass Hochwälder wiederzuentdecken ist, das hat sich einer gemeinsamen Tagung von Wien Bibliothek und Literaturhaus („Politisierung des Guten“. Zum 100. Geburtstag von Fritz Hochwälder, 27. und 28. Mai) auf die Fahnen geschrieben und bietet dazu Koryphäen wie den Exilforscher Hanno Loewy auf.
Flucht durch den Rhein
Mit seinem letzten Hab und Gut als Bündel auf dem Kopf durchquert Hochwälder, Jude und bekennender Linker, den Alten Rhein und muss als Geflohener vor den Nazis in der Schweiz bald erkennen, was es heißt, ein mittel- und rechtloser "Fremder" zu sein. In einer Holzhütte in Ancona im Tessin wird Hochwälder nach seiner Zeit in einem Auffanglager binnen zwei Monaten jenes Stück schreiben, das ihm ab den 1950er Jahren Weltgeltung verschaffen wird: "Das heilige Experiment", ein historisches Drama zum Untergang des Jesuitenstaates im Paraguay des 18. Jahrhunderts und zugleich eine Bearbeitung der Frage zwischen Real- und Idealpolitik.
1943 in Biel-Solothurn uraufgeführt und in Wien 1947 an der Burg zu sehen, brachte vor allem die französische Übersetzung und die Aufführung im Pariser Theatre de l'Athenee unter dem Titel "Sur la terre comme au ciel" mit 450 Vorstellungen en suite internationale Beachtung und auch finanziellen Erfolg. Als eigentliche Konfession wird Hochwälder "das Schreiben" angeben, konkret: das Schreiben dramaturgisch klassisch wie fein gewirkter Theaterstücke.
Anlass zu Neuentdeckungen
Das Prosaschreiben galt ihm als zu "fad", obwohl gerade das kommende Symposion auch Anlass geben wird, Hochwälders Roman "Donnerstag" neu oder wiederzuentdecken. Anders als in seinem Theater, das sich einerseits als Volkstheater begreifen wollte, dramaturgisch wiederum streng im Geist der aristotelischen Dreieinheit gewirkt war, wäre Hochwälder mit seinem Prosatext als genuiner Modernist zu verorten. Als Großstadtroman, "wie er in der österreichischen Literatur jener Jahre keinen Vergleich hat", ordnete etwa Karl-Markus Gauß in der "Neuen Zürcher Zeitung" die Qualitäten dieses Texts ein.
1933 hatte Hochwälder den Text als mittelloser Tapezierergeselle von 22 Jahren geschrieben und sich einem Sog expressionistischer Prosa hingegeben und auch Anleihen beim inneren Monolog genommen. Der klassische Sprachtonus, mit dem Hochwälder nach 1945 in zahlreichen Tondokumenten in Erinnerung geblieben ist, ist diesem atemlos zerstückelten Prosawerk fremd. Beklemmend ist der Text vor allem in zeithistorischer Hinsicht. Hochwälder entwirft Tableaus der unruhigen Zwischenkriegszeit und der Ersten Republik knapp vor dem Bürgerkrieg.

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Verortete Geschichte
Überhaupt, und dazu laden die Veranstaltung rund um die Tagung wie ein Wien-Rundgang auf den Spuren Hochwälders ein, lässt sich über "Hochwälder-Orte" die Zeitgeschiche der Stadt neu perspektivieren. Hochwälder war in Wien-Neubau, heute ja ein Epizentrum der Bobo-Kultur, aufgewachsen. Aus jeder Ecke und Ritze, so wirkt es, liest man seine Autobiografie, drängen politische Konflikte. Und immer wieder war der heranwachsende Hochwälder offenbar auf der Hut, nicht zu sehr in einen radikalisierten Konflikt hineingezogen zu werden.
Die Rolle des Volksheims Ottakring
Im von Ludo Moritz Hartmann und Emil Reich gegründeten Volksheim Ottakring (der heutigen im historischen Kern immer noch erhaltenen Volkshochschule Ottakring) wird Hochwälder so wie der Schriftsteller Alfons Petzold entscheidende Impulse ihrer Bildung erhalten. Und Hochwälder wird am Ottakringer Volksheim in den Jahren 1934 bis 1938, als das klerikalfaschistische Dolfuß-Regime die Macht übernommen und entsprechende Säuberungen in vielen Bildungseinrichtungen durchführte, unter dem damaligen Leiter Viktor Matejka eine Stätte oppositionellen Denkens vorfinden.
Hochwälder und die Erinnerung
Hochwälder wird, nicht zuletzt auch über die Zusammenarbeit mit dem ORF für Fernsehproduktionen, stets seinen Finger auf zeithistorisch brisante Debatten legen. Sein Fernsehspiel "Der Befehl" rief in den 60er Jahren ähnlich heftige Reaktionen hervor wie etwa "Der Herr Karl" von Helmut Qualtinger und Karl Merz. Eine endgültige Rückkehr nach Österreich als Lebensmittelpunkt konnte sich Hochwälder nicht stellen.

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Anders als im Fall von Otto Kokoschka half die Fürsprache Bruno Kreiskys bei Hochwälder nicht zu einer dauerhaften Rückkehr aus dem Exil. Mitverantwortlich war auch ein Kommentar der "Kronen Zeitung" zur möglichen Heimkehr Hochwälders. Kreisky hatte sich Anfang der 1970er dafür eingesetzt, dass Hochwälder eine Wohnung von einer Wohnbaugenossenschaft vermittelt bekommt; er solle doch bitte angeben, welcher Art und Größe die Wohnung sein solle, schrieb Kreisky in seinem Brief. Von einem Exilautor, der am liebsten gleich in Schönbrunn einziehen würde, war wenig später in dem Zeitungskommentar zu lesen. Hochwälder soll dieser Kommentar so gekränkt haben, dass er sich für den Verbleib in der Schweiz entschied.
Veranstaltungshinweis:
"Die Politisierung des Guten". Tagung zum 100. Geburtstag von Fritz Hochwälder am 27. und 28. Mai in der Wien Bibliothek.
Neue Heimat Zürich
So blieb Hochwälder der Stadt Zürich bis zu seinem Tod treu, wurde in der Heimat mit allen wichtigen Literaturpreisen bedacht und gab sich, was eine Rückkehr anlangte, betont realistisch: "Die Heimkehr ist bei so grundlegenden Lebenserlebnissen eine äußerst fragwürdige Sache. Man will in die Heimat der Jugend und vergisst, dass es im Leben so ein richtiges Zurück nicht gibt." In Zürich habe er auf jeden Fall die Gewissheit, nicht dem Deporteur seiner Eltern auf der Straße ins Auge blicken zu müssen, der ihm vielleicht dann noch das freundlichste Gesicht der Welt entgegenhalten würde, meinte Hochwälder einmal in einem Interview.