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Eine muslimische Mutter oder Lehrerin lernt mit einem Kind

"Österreich ist mehrsprachig"

"Türkisch ist keine Fremdsprache in Österreich, weil es hierzulande von so vielen Menschen gesprochen wird", sagt Inci Dirim. Sie ist nicht irgendwer: Die in Deutschland geborene und in der Türkei aufgewachsene Germanistin bekleidet an der Universität Wien seit kurzem Österreichs erste Professur für Deutsch als Zweitsprache.

Bildung 09.06.2011

Im Gespräch mit der APA kritisiert sie die oft auf Spracherwerb verkürzte Integrationspolitik scharf. Das Deutschlernen werde nicht als Instrument des Eingliederns, sondern zur Ausgrenzung eingesetzt. "Die Wissenschaft nennt das Linguizismus. Das ist eine spezielle Form des Rassismus, bei der Menschen wegen ihrer Sprache ausgegrenzt werden."

Integration bedeutet Zugehörigkeit und Anerkennung

Sendungshinweis:

Mit dem schwierigen Verhältnis zwischen der Türkei und Österreich beschäftigte sich ein Club 2 am 8.6. um 23:05 Uhr.

Wer mit der Wissenschaftlerin über ihr Arbeitsgebiet spricht, gerät sofort in ein Minenfeld, in dem viele innenpolitische Aufreger versteckt sind: Deutsch vor Zuzug, Deutsch-Prüfungen für Migranten, Spracherwerb in einem vielsprachigen Umfeld in Kindergärten und Schulen, Türkisch als Maturafach. "In Österreich hängt der Bildungserfolg sehr stark von der ethnischen Herkunft ab. Das ist problematisch für das Bildungssystem eines demokratischen Staates. Die Schule ist nicht in der Lage, höhere Sprachkompetenzen zu vermitteln."

"Es gibt keine monolinguale Gesellschaft", wehrt sich Inci Dirim gegen eine von der Politik verteidigte Grundannahme, die längst überholt sei. "Wir wissen, dass bilinguale Modelle erfolgreich sind - womit ich aber nicht Deutsch und Englisch meine, sondern Deutsch und eine Migrantensprache."

Stattdessen werde das Gefühl der Minderwertigkeit vermittelt. "Integration bedeutet Zugehörigkeit und Anerkennung. Wir müssen daher über eine Pädagogik der Anerkennung arbeiten. In der Lehrerausbildung ist aber im Moment weder der Umgang mit Mehrsprachigkeit ein Thema, noch Deutsch als Zweitsprache. Da haben wir ein Riesenproblem."

Die Schwierigkeiten des Deutschlernens

Am deutlichsten offenbare sich die defensive Haltung der Politik im Umgang mit Einwanderungswilligen, sagt die Germanistin. "Wenn Deutscherwerb und Aufenthaltserlaubnis miteinander verknüpft werden, entsteht ein enormer Druck, aber auch große Ungerechtigkeit. Personen aus EU-Ländern müssen diese Prüfungen nicht machen. Andererseits gibt es etwa viele afrikanische Länder, in denen gar keine Deutschkurse angeboten werden. Durch Instrumente der Ausgrenzung wird ein überholtes Konzept der Nationalstaatlichkeit, bei dem Volk, Staat, Sprache und Religion monolithisch ausgebildet sind, verteidigt."

Sie selbst sei durch eine deutsche Mutter und einen türkischen Vater zweisprachig aufgewachsen, erzählt Inci Dirim, die ihre Schullaufbahn in der Türkei absolvierte und in Ankara und Bremen studierte. Die Situation der in Deutschland und Österreich lebenden Türken könne sie aber gut nachvollziehen. "Man kann hier auch auf Türkisch gut durchkommen. Die Menschen haben eben unterschiedliche Ziele, bei denen auch das Ausmaß an Deutsch, das dafür gesprochen werden muss, sehr unterschiedlich groß ist."

Keine einfachen Lösungen

Daher sei sie für eine Aufweichung starrer Normalitäts-Vorstellungen: "Es gibt nicht eine Lösung für alle." Auch Türkisch könne sie sich nicht nur als Maturafach, sondern auch als Sprache anderer Maturafächer durchaus vorstellen - in einer fernen Zukunft allerdings.

"Die momentane Aufregung ist umsonst", beruhigt sie, schließlich gäbe es bisher weder die nötigen Lehrämter noch entsprechende Unterrichtsmaterialien. Und solange Deutsch jene Sprache sei, in der auf der Universität gelehrt werde, müsse auch bei der Studienberechtigungsprüfung Deutsch im Vordergrund stehen, alles andere wäre absurd.

Bis zu einem offenen, vielsprachlichen Bildungssystem, in dem Sprachen nicht Hürden, sondern Chancen darstellten, sei nicht nur ein politischer Wandel, sondern auch enorm viel Arbeit nötig, ist sich Inci Dirim sicher. Einen Vorschlag für einen ersten Schritt hätte sie bereits: "Mein dringendster Wunsch an die Wissenschaftspolitik wäre die Einrichtung von Professuren für Deutsch als Zweitsprache an jeder Universität und jeder Pädagogischen Hochschule in jedem Bundesland."

science.ORF.at/APA

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