Rapid Wien hat vor Kurzem als erster österreichischer Verein seine Rolle in der NS-Zeit wissenschaftlich untersucht, nun will auch die Wiener Austria nachlegen. Dem Stand der Dinge ist diese Woche eine Tagung in Wien nachgegangen, bei der sich deutsche und österreichische Historiker getroffen haben.
Tagung zum 70. Jahrestag des 22.6.
Der 22. Juni 1941 ist ein denkwürdiger Tag für Historiker im Allgemeinen und für Fußballhistoriker im Speziellen. Am frühen Morgen überfiel Nazi-Deutschland die Sowjetunion und sorgte so für die endgültige Eskalation des Zweiten Weltkriegs. Am Nachmittag spielte Rapid Wien in Berlin gegen Schalke 04 im Finale um die Großdeutsche Meisterschaft und gewann nach dramatischem Spielverlauf mit 4:3.
Zum 70. Jahrestag der Ereignisse fand am Mittwoch in Wien die Tagung "Fußball unterm Hakenkreuz" statt, veranstaltet vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und einem Projektteam des Sportklubs Rapid (Programm der Tagung).

Franz Binder jr.
Unmittelbar vor dem Anpfiff zum Finale um die Großdeutsche Meisterschaft am 22.6. 1941 gegen Schalke 04 im Berliner Olympiastadion: die Rapid-Spieler grüßen im Hitler-Gruß.

AP Photo/Klartext Verlag
Plakat, das für das Endspiel um die Deutsche Fussball-Meisterschaft von 1939 Schalke 04 gegen Admira Wien wirbt. 2005 hat Schalke 04 eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte des Vereins in der Zeit des "Dritten Reiches" veröffentlich, als erster deutscher Bundesligaverein ("Zwischen Blau und Weiss liegt Grau", Klartext-Verlag).

APA
Am 16.Mai 1931 schlug Österreich vor 40.000 Zuschauern auf der Hohen Warte Schottland mit 5:0. Es war der Start des"Wunderteams" mit Matthias Sindelar.
Links:
- David Forster
- Matthias Marschik, Uni Wien
- Markwart Herzog
- Rapid-Studie: "Grün-weiß unterm Hakenkreuz"
- Das "Versöhnungsspiel" 1933, David Forster/ballesterer
Literatur:
Markwart Herzog (Hg.): Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus, Verlag Kohlhammer 2008
Markwart Herzog: Der "Betze" unterm Hakenkreuz. Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus, Verlag Die Werkstatt
Jakob Rosenberg und Georg Spitaler: Grün-Weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938 - 1945)" Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und SK Rapid Wien, 2011
Lorenz Pfeiffer und Dietrich Schulze-Marmeling (Hg.): Hakenkreuz und rundes Leder, Verlag Die Werkstatt, 2008
Dietrich Schulze-Marmeling (Hg.): Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußbalkultur, Verlag Die Werkstatt, 2011
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Dimensionen Magazin, 24.6., 19:05 Uhr.
Selektive Erinnerungen
Im März ist die Studie über den Sportklub Rapid erschienen und zu dem Schluss gekommen: Zwar war rund die Hälfte der Vereinsfunktionäre zwischen 1938 und 45 Mitglieder der NSDAP. Nicht zuletzt weil aber kein einziger Spieler bei der Nazipartei war, wäre es falsch von einem "Naziverein" zu sprechen. Die Studie hat sogar jüdische Wurzeln von Rapid ausgemacht. So war Wilhelm Goldschmidt jüdischer Herkunft: jener Funktionär, dem Rapid seinen Namen verdankt.
Goldschmidt wurde später von den Nazis ermordet, die Erinnerung an ihn ausgelöscht. An andere Ereignisse wurde dafür umso heftiger erinnert, etwa an den Sieg von Rapid gegen Schalke. Rückblickend wurde daraus sogar ein Akt des Widerstands, wie der Historiker David Forster ausführt:
"Das hängt damit zusammen, dass zugleich eine Bestrafungslegende konstruiert wurde, wonach die siegreichen Rapidler unmittelbar nach dem Sieg strafweise an die Front versetzt wurden. Eine Legende, die schon vor Jahre dekonstruiert worden ist. Und da braucht es gar keine wirkliche Widerstandstat, es genügt gegen 'die Deutschen' ein Finale zu gewinnen."
Weitergesponnene Legenden
Legenden wie diese haben das Geschichtsbild der Fußballvereine lange Zeit bestimmt. In die Welt gesetzt wurden sie bereits während der NS-Zeit. Spieler haben sie erzählt, Journalisten haben sie weiter erzählt, irgendwann wurden sie in die offiziellen Chroniken der Vereine aufgenommen und dann immer weiter tradiert. Es hat bis weit in die 80er Jahre gedauert, bevor diese Erzählungen kritisch hinterfragt wurden.
Studien wie jene zu Rapid bedeuten deshalb heute in erster Linie historische Knochenarbeit in Archiven: das Durchsuchen von Stadt- und Staatsarchiven in Deutschland und Österreich, von Vereinsregistern und von Verzeichnissen diverser NS-Mitgliedschaften. Rapid hat dies als erster Verein Österreichs gemacht. Wie Austria-Wien-Präsident Wolfgang Katzian gegenüber Ö1 erklärt hat, wird sich die Austria vermutlich dem Beispiel Rapids anschließen und ebenfalls eine zeitgeschichtliche Studie durchführen lassen.
Austria und Rapid spiegeln Vergangenheitspolitik
Bedarf dazu gab und gibt es in beiden Vereinen. Die Art, wie sie ihre Geschichte während der NS-Zeit lange erzählt haben, passt nämlich gut zur offiziellen Vergangenheitspolitik von Österreich, meint David Forster, Historiker am Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien:
"Österreich hat sich nach 1945 primär als Opfer des Nationalsozialismus begriffen und musste zumindest bis zum Staatsvertrag auch den Widerstand im Land hervorstreichen mit Blick auf die Moskauer Deklaration. Rapid Wien hat das Widerständige betont und sich hierbei u.a. auch auf den deutschen Meistertitel 1941 bezogen hat, der quasi als aufständischer österreichischer Widerstandsakt dargestellt wurde. Und die Austria hat unter Ausblendung der Nazis im Verein und der Mitläufer sich ausschließlich als Opfer begriffen, ähnlich wie die Republik Österreich das bis zum Fall Waldheim auch getan hat."
Genauso wie Rapid kein Verein des NS-Widerstands war, war die Austria kein Verein der ausschließlichen NS-Opfer. Zwar stimmt es, dass der "Judenklub Austria" im März 1938 vorläufig gesperrt und danach kurzfristig in "SC Ostmark" umgenannt wurde. Der "nicht-arische" Vorstand musste ins Ausland fliehen, einige Funktionäre wurden ermordet. Es gab im neuen Vorstand aber auch Nazis, zum Ehrenpräsidenten wurde SS-Führer Ernst Kaltenbrunner ernannt, mindestens ein Austria-Spieler war Mitglied der SA.
Gelungene und misslungene Versöhnung
Wer sich auf eine genaue historische Spurensuche macht, findet zumeist Grautöne dieser Art und selten einfaches Schwarz-Weiß. Das betrifft auch das berühmte "Versöhnungsspiel", das am 3. April 1938 zwischen einer ex-österreichischen Mannschaft und der deutschen Nationalelf im Wiener Praterstadion stattgefunden hat. Aus der "Versöhnung" wurde nichts, die Deutsch-Österreicher gewannen 2:0.
Was als Propaganda für die Abstimmung zum Anschluss eine Woche später gedacht war, endete mit einem sportlichen Akt des Widerstands - so lautete zumindest die Interpretation des Nachkriegsösterreichs. Der Historiker Matthias Marschik sieht das anders.
"Auf der einen Seite ist die Werbung für das Plebiszit tatsächlich misslungen. Diese deutsch-österreichische Nationalmannschaft hat überlegen gespielt und gewonnen. Auf der anderen Seite war ja das ganze Stadion mit NS-Symbolen geschmückt. D.h. die Werbung, die auf sportlicher Ebene misslungen ist, ist durch die Inszenierung des Spieles voll und ganz geglückt."
Historikerstreit im Fußball
Matthias Marschik hält nicht viel von einseitigen Beurteilungen des Fußballs in der NS-Zeit. Weder war er reines Instrument der Nazis, mit der sie ihre rassistische und antisemitische Ideologie unter die Leute brachten. Noch war er ausschließlich der Ort, in dem die Protagonisten ihre kleinen Widerständigkeiten ausleben durften - wie etwa der vermeintlich besonders stark ausgefallene Torjubel von Matthias Sindelar im "Versöhnungsspiel". Der Fußball war beides zusammen, meint der Historiker.
Für die NS-Politik hatte der Fußball eine ähnliche Doppelfunktion wie der Film, der auf der einen Seite Propaganda bot, auf der anderen Seite Unterhaltung. Umgekehrt haben Teile des Sports und des Fußballs Vorteile aus der NS-Politik gezogen. Bei der Frage, wie man die Rolle der Fußballvereine jener Zeit beurteilen soll, ist es vor einigen Jahren zu einem kleinen Historikerstreit gekommen, der Anklänge beim großen Vorgänger genommen hat.
"Dabei geht es nicht darum, ob sich die Fußballvereine dem Nationalsozialismus angedient haben und ob sie opportunistisch waren. Dass das so war, steht ganz außer Zweifel. In dem Streit geht es um die Motivation dieser Anpassung", erzählt Markwart Herzog, Kulturhistoriker und Direktor der Schwabenakademie Irsee.
Ideologie vs. Ökonomie
Zwei Gruppen an Fußballhistorikern stehen sich dabei gegenüber. Die eine Gruppe meint, dass die Vereinsfunktionäre dem Nationalsozialismus schon vor 1933 nahestanden und durch Hitler ihre Ideologie nun umsetzen konnten. Etwa indem sie im Namen "arischer Werte" Juden und Marxisten aus den Sportvereinen ausgeschlossen haben, wie es die Turner sofort gemacht haben, aber auch nicht wenige Fußballvereine, vor allem im Süden Deutschlands. Im 2008 erschienenen Buch "Hakenkreuz und Rundes Leder" wird in dieser Hinsicht argumentiert und auf die personellen und ideologischen Kontinuitäten des deutschen Fußballs hingewiesen, vor, während und nach dem NS-Regime.
Auf der anderen Seite steht eine Gruppe von Historikern, die nicht an diese "faschistische Verseuchung" vor 1933 glaubt, wie es Markwart Herzog ausdrückt. Er zählt sich zu dieser Gruppe und verweist auf die unterschiedlichen politischen Richtungen, denen die Fußballfunktionäre in der Zeit vor dem NS-Regime angehört haben. Von Sozialdemokraten und Kommunisten bis zu SA-Schlägern und SS-Leuten hätte es hier alles gegeben.
"Und wenn man sich dann fragt: Warum haben die dann trotzdem begeistert 'Hallo und ja' gerufen, als die Nazis an die Macht kamen? Der Grund ist einfach der, dass sie ihre Vereinsschiffchen durch die geänderten Zeiten steuern und einfach ihre Vereine erhalten wollten. Die Nazis haben ja auch viele Vereine aufgelöst, die konfessionellen Vereine und die der politischen Parteien, es gab ja auch eine Arbeitersportbewegung. Das wurde alles liquidiert, und die bürgerlichen Vereine und der bürgerliche Fußball haben darin eine Chance erkannt, um sich zu bereichern", sagt Herzog.
DFB als NS-Profiteur
Der Historiker hält das ökonomische Kalkül der Sportvereine für wichtiger als ideologische Motive. Zwar habe es auch überzeugte Nazis und Antisemiten gegeben unter den Sportfunktionären, aber wirtschaftliche Überlegungen hätten bei ihren Taten überwogen. Der deutsche Fußballbund war überhaupt der große Gewinner der nationalsozialistischen Gleichschaltung im Fußball, sagt Herzog.
"Dass es heute keine deutschen Fußballmeisterschaften im Arbeitersport gibt, die mit den Fußballmeisterschaften des DFB konkurrieren, das ist ein Geschenk, das die Nazis dem DFB gemacht haben, und davon profitiert er bis heute - unabhängig davon, ob einzelne DFB-Funktionäre der Ideologie des Nationalsozialismus schon vor 1933 nahegestanden sind oder aber nicht."
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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