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Computertastatur und menschliche Hand im digital space

Aufräumkommando für die digitale Müllhalde

Der Blick in den Speicher vieler Computer liefert ein ähnliches Bild wie das Betrachten einer Deponie: ungebrauchtes und nutzloses altes Zeug soweit das Auge reicht. Auf viele Dateien wurde seit Langem nicht mehr zugegriffen, andere sind kaputt, einige für die Benutzer gänzlich uninteressant. Höchste Zeit aufzuräumen, sagen zwei Computerwissenschaftler.

Computer 11.07.2011

Eintags-Dateien

Manche Dateien haben eine erstaunlich kurze Lebensdauer. Kaum sind sie auf der Welt, werden sie auch schon wieder gelöscht. So kann es vorkommen, dass 80 Prozent der Dateien, die von einem Programm angelegt werden, bereits nach vier Sekunden wieder entfernt werden. Dieses Ergebnis stammt aus einer Studie (PDF) aus dem Jahr 1999 zum Betriebssystem Windows NT.

Der Text

"The Life and Death of Unwanted Bits: Towards Proactive Waste Data Management in Digital Ecosystems" ist in der Online-Datenbank "arXiv" erschienen (Abstract, PDF).

Auf diese Studie beziehen sich die Computerwissenschaftler Ragib Hasan und Randal Burns von der John Hopkins Universität in Baltimore in einem nun veröffentlichten Text. In diesem weisen sie darauf hin, dass Datenmüll auf den Computern der Welt weit verbreitet ist und unnötig Ressourcen bindet.

Umweltbelastung durch Nullen und Einsen

Ähnlich wie Müll die Umwelt verschmutzt und negative Effekte mit sich bringt, wirkt sich auch der Datenmüll ungünstig aus. Alte, kaputte und ungenutzte Dateien verbrauchen Speicherplatz und reduzieren die Leistung von Computern. Und sogar das Löschen bereits angefallenen Datenmülls reduziert noch die Lebensdauer von Speichermedien. Denn Speicher können nicht beliebig oft beschrieben und wieder geräumt werden. Je nach technischem System verlieren einzelne Speicherzellen nach 1.000 bis 10.000 Mal Beschreiben und Löschen ihre Funktion. Am besten sollten Datenmüll also gar nicht entstehen, schreiben Hasan und Burns.

Die beiden Autoren haben an drei verschiedenen Computern untersucht, auf welchen Anteil der Dateien seit deren letzter Veränderung nicht mehr zugegriffen wurde, die also ungenutzt Speicher verbrauchen, und kamen auf Werte zwischen 38 und 99 Prozent. Würden solche Dateien zumindest auf einen externen Speicher ausgelagert, könnte der Computer schneller arbeiten.

Vier Müllklassen

Der Datenmüll teilt sich den Autoren zufolge in vier Gruppen an elektronischen Überbleibseln: Manche Daten entstehen "versehentlich" als reines Nebenprodukt. So werden etwa beim Erstellen einer PDF-Datei eine Reihe von Dateien angelegt, die Benutzerinnen und Benutzer normalerweise nicht zu Gesicht bekommen und die eventuell am Rechner verbleiben.

Ö1-Sendungshinweis

Aus der Welt des Digitalen und der Computer berichten regelmäßig die Sendereichen Digital.Leben und Matrix.

Als zweite Kategorie definieren die Autoren sogenannte ungewollte Daten. Diese können durchaus von guter Qualität und nützlich sein, allerdings will oder braucht sie ein bestimmter Benutzer gar nicht. Dies betrifft zum Beispiel Anleitungen zu einem Programm in verschiedenen Sprachen. Sie sind auf dem Computer gespeichert, genutzt wird aber möglicherweise nur eine der vielen Sprachversionen.

Darüber hinaus lagern auf Festplatten Daten, die in ihrer Qualität derart degradiert sind, dass sie nicht mehr benutzt werden können. Und schließlich gibt es all jene Daten, die für die Benutzer durchaus hilfreich und brauchbar waren, aber schlicht und einfach nicht mehr benötigt werden.

Müllgebühren 2.0

Hasan und Burns schlagen vor, auf den Datenmüll die gleichen Prinzipien anzuwenden, wie auch beim physischen Müll der Mistkübeln und Deponien: reduce, reuse, recycle – also Vermeiden, Wiederverwenden oder Wiederverwerten.

Auch andere Maßnahmen der Abfallwirtschaft könnten auf den Datenmüll übertragen werden, schlagen die Autoren vor – so zum Beispiel jenes nachdem jemand mehr Müll- und Entsorgungsgebühr zahlt, wenn er oder sie mehr Abfall verursacht. Auf Computer umgelegt könnte dies bedeuten, dass Programme und Prozesse, die viel Datenmüll produzieren, vom Hauptprozessor weniger Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen. Dadurch soll ein Anreiz geschaffen werden, Programme so zu gestalten, dass sie weniger Abfalldaten produzieren.

Digitale Müllhalde

Auch zur Wiederverwendung haben sich die Autoren Gedanken gemacht. So könnte zum Beispiel ein automatisches Übersetzungsprogramm auf Daten der letzten Übersetzung zurückgreifen, statt bei einer neuen Aufgabe einfach bei null zu beginnen. Und auch Wiederverwertung wäre möglich: Wenn zum Beispiel eine Software von einem Computer gelöscht wird, könnten aus den alten Dateien noch brauchbare Dateien und Informationen für andere Anwendungen herausgeholt werden.

Ein weiterer Weg, sich des Datenmülls zu entledigen, könnte eine digitale Müllhalde sein: Ein nur in eine Richtung durchlässiger Speicherplatz. Auf ihm würden ungewollte Daten abgeladen, die von dort nach und nach automatisch endgültig gelöscht werden. Das Ideal der Autoren ist ebenfalls eine Idee, die aus der Welt des angreifbaren Mülls stammt: Zero Waste. Nach diesem Konzept könnte die Menschheit so leben, produzieren und verbrauchen, dass letztendlich gar kein Müll entsteht. Dies sollten laut Hasan und Burns auch Computer und Programme zum Ziel haben.

Mark Hammer, science.ORF.at

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