Dabei orientieren sich Forschungsförderungseinrichtungen zu sehr an kurzfristigen Projektergebnissen statt an den langfristigen Leistungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sagt die US-amerikanische Ökonomin Julia Lane. Denn manche Folgen von wissenschaftlicher Arbeit könne man mitunter erst nach 20 Jahren bewerten.
Im Interview mit science.ORF.at erklärt Julia Lane, warum man Wissenschaftler ähnlich betrachten kann wie Labormäuse, weshalb Forschungsfördereinrichtungen nach Brasilien schauen sollten und welche Handy-Apps der dortige Wissenschaftsminister verwendet.
science.ORF.at: Wie lässt sich Forschungsarbeit am besten evaluieren und wie lassen sich Fördergelder am besten verteilen?

Julia Lane
Die Ökonomin Julia Lane leitet das Science & Innovation Policy Programm der US-amerikanischen National Science Foundation. Sie ist Mitglied der Science of Science Policy interagency group des Wissenschafts- und Technologiebeirats im Weißen Haus, hat das Programm Star Metrics gegründet und mitentwickelt, das die Auswirkungen von Investitionen in die Wissenschaft beurteilt, und leitet die Entwicklung des R&D Dashboard prototype, einer Webseite, die sich ebenfalls dem Ziel widmet, Auswirkungen von Forschungsförderungen zu beurteilen. Julia Lane hat mehrere Bücher zum Thema Forschungspolitik geschrieben.
Julia Lane: Das wissen wir derzeit nicht, weil wir nicht die nötigen Daten haben, um diese Fragen zu beantworten.
Welche Daten bräuchten wir?
Forschungsfördereinrichtungen rund um die Welt versuchen derzeit, die beste Forschung aus Anträgen auszuwählen und die Arbeit am Ende des Projekts zu bewerten. Wir müssen aber die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über die Zeit des geförderten Zeitraums hinaus betrachten.
Gefördert wird meist für drei bis fünf Jahre, die Folgen der Arbeit sieht man aber mitunter erst nach 15 bis 20 Jahren. Wir müssen die individuelle Leistung über einen langen Zeitraum beurteilen. Das wäre besser als das Erbsenzählen, das wir derzeit praktizieren - nur zu betrachten, was in der Zeit der Förderung passiert ist.
Könnte man das nicht jetzt schon so handhaben? Man kennt die Lebensläufe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, weiß, wo sie publizieren und wie oft sie zitiert werden.
Das System ist aber derzeit nicht so aufgebaut. Diese Information ist da, aber Forschungsförderungsagenturen verbinden sie nicht systematisch über einen längeren Zeitraum mit ihrer Förderungspolitik. Und wir berücksichtigen nicht, was passiert wäre, hätte eine Person die Förderung nicht erhalten. Das ist nicht trivial.
Man kann das auch mit wissenschaftlicher Arbeit vergleichen: Wenn Sie ein Medikament an einer Maus testen, werden Sie die Maus auch nicht nur in den zwei Tagen beobachten, in denen sie das Medikament bekommt. Und Sie werden sie mit Mäusen vergleichen, die das Medikament nicht bekommen haben. Vor einem ähnlichen Problem zum Beantworten von Fragen steht die Forschungsförderung - und sie hat derzeit nicht die richtigen Daten dafür.
Arbeitet man daran, solche Systeme aufzubauen?
Wir sehen in Europa, den USA und Japan Anstrengungen in diese Richtung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass solche Systeme möglichst geringen bürokratischen Aufwand für die Forscher mit sich bringen. Man kann nicht erwarten, dass sie die gewünschte Information von Hand liefern. Das muss automatisch gehen.
Bis wann könnten solche Systeme aufgebaut sein?
Wir können jetzt damit beginnen, sie zu bauen.
Im Februar 2011 erschien in der Fachzeitschrift "Science" der Text "Measuring the Results of Science Investments" von Julia Lane und Stefano Beruzzi (Abstract).
Welche Wissenschaftsgebiete sollten heute am stärksten gefördert werden?
Das muss am besten die Wissenschaftsgemeinde festlegen. Und gemeinsam mit der Verwaltung sollte sie die Dateninfrastruktur als Grundlage für Evaluierungen schaffen.
Forschungsarbeit wird oft danach beurteilet, wie viel sie wirtschaftlich bringt. Nach welchen anderen Kriterien könnte man bewerten?
Es gibt vier Bereiche, für die man urteilen kann: wissenschaftlich, ökonomisch, sozial und in Bezug auf Arbeitskräfte. Das letzte, was wir aber wollen, ist, dass Bürokraten die Kriterien festlegen. Das müssen die Förderagenturen gemeinsam mit der Wissenschaftsgemeinde definieren.
Was bedeutet es, Forschung in Bezug auf Arbeitskräfte zu evaluieren?
Technologiegespräche in Alpbach
Von 25. bis 27. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Technologie als Chance - Verantwortung für die Zukunft".
Davor erscheinen in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Julia Lane nimmt am 26. August am Arbeitskreis "The efficiency of RTI investments" teil.
Weitere Beiträge zu den Technologiegesprächen 2011:
Wissenschaftler arbeiten nicht alleine in einem versperrten Zimmer. Ein großer Teil der Forschungsförderung geht daher in die Ausbildung von Studenten, Doktoranden und jungen Wissenschaftlern. Einige davon werden selbst Wissenschaftler werden.
Aber selbst die, die diesen Weg nicht einschlagen, werden analytisches Wissen über wissenschaftliche Methoden hinaus auf den Arbeitsmarkt mitnehmen. Dies ist auch in anderen Bereichen extrem wertvoll. Solche Effekte müssen beim Evaluieren von Forschung berücksichtigt werden. Enge Maßstäbe anzusetzen, wäre ein Bärendienst für die Wissenschaft.
Wie haben sich Fördersysteme in den letzten Jahrzehnten verändert?
Es geht in Richtung Interdisziplinarität und Teamarbeit. Der Fokus liegt nicht mehr auf den wissenschaftlichen Disziplinen, sondern in den Antworten auf wichtige Fragen wie zum Beispiel Klimawandel und Nachhaltiges Wachstum.
Um eine Lösung für den Klimawandel zu finden, brauchen wir Geowissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Hydrologen und viele andere. Daher geht es auch mehr in Richtung Infrastrukturinvestment statt individuelle Förderung.
Gibt es eine Fördereinrichtung, die so gut ist, dass sich andere von ihr was abschauen sollten?
Die Brasilianer haben ein sehr nettes System, um die Folgen von Forschungsförderung zu erfassen und um zu beobachten, was Forscherinnen und Forscher machen: Das ist die Lattes-Plattform, benannt nach dem brasilianischen Physiker César Lattes.
Und der brasilianische Minister für Forschung und Technologie bekommt jeden Tag auf eine Handy-App Infos über aktuelle Forschungsergebnisse. Wenn etwas Neues herauskommt, poppt das bei ihm auf. Das ist ganz schön cool.
Interview: Mark Hammer, science.ORF.at