Bei ihr und ihren Kollegen ist bei dieser Art Kopfrechnen somit v.a. das visuelle Arbeitsgedächtnis gefordert und nicht das sprachliche, berichten die US-Psychologen Michael Frank und David Barner in einer Studie.
Die Studie:
"Representing exact number visually using mental abacus" von Michel Frank und David Berner ist im "Journal of Experimental Psychology" erschienen (Preprint der Studie).
Erstaunliche Rechenleistungen
Die Leistungen der weltbesten Kopfrechenkünstler sind beeindruckend: Beim Mental Calculation World Cup etwa müssen sie zehnstellige Zahlen miteinander multiplizieren, die Wurzel aus sechsstelligen Zahlen ermitteln und herausfinden, welcher Wochentag ein Tag im August 1721 war - alles ohne Hilfsmittel wie Stift und Papier.
Die Geschwindigkeit, mit der sie derlei Aufgaben bewältigen, beeindruckt ebenfalls. Der Weltrekord, die Quadratwurzeln aus einer zehnstelligen Zahl zu ziehen, liegt bei unter sieben Minuten.
Die Rechengenies, die derlei können, sind zumeist sehr jung und kommen aus Ländern wie Japan oder Indien. So wie die aktuelle Kopfrechenweltmeisterin Priyanshi Somani, die elf Jahre alt ist. Für ihre Rechenkünste verwendet sie und ihre Konkurrenten einen "mentalen Abakus", der in eigenen Trainingsprogrammen an Schulen gelehrt wird. Ein Abakus ist ein mathematisches Hilfsmittel, das schon in der Antike verwendet wurde und das ihnen sozusagen vor dem geistigen Auge erscheint.
Ein Fall für das visuelle Arbeitsgedächtnis
Wie sie das machen, haben Michael Frank und David Barner an einer Schule im indischen Vadadora untersucht, an der es drei Jahre dauernde Kurse für mentale Abakusse gibt. In einem von mehreren Experimenten wurden die Schüler während des Kopfrechnens durch zwei zusätzliche Aufgaben abgelenkt: einerseits indem sie parallel eine Geschichte hörten und wiedergeben mussten, andererseits indem sie mit ihren Fingern auf einen Schreibtisch trommelten.
Diese sprachliche und motorische Ablenkung führte zwar zu etwas mehr Fehlern bei den Rechenaufgaben, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe fiel der Unterschied aber kaum auf. Für die Mitglieder der Kontrollgruppe, die ohne mentalen Abakus arbeiteten, war das parallele Lösen der Rechenaufgaben nahezu unmöglich.
Die Psychologen schließen daraus, dass die jungen Rechenkünstler ihre Aufgabe in erster Linie mit ihrem visuellen Arbeitsgedächtnis lösen, für sprachliche oder motorische Leistungen zuständige Teile des Gehirns würden dadurch nicht oder kaum verwendet.
Ähnlich wie Computer
Dass es - entgegen unserer Alltagserfahrung - nicht unbedingt notwendig ist, dass Zahlen durch sprachliche Begriffe repräsentiert werden, zeigen auch Studien an Kleinkindern und intelligenten Tierarten, die zu zählen imstande sind. Das funktioniert aber nur bis zu einer bestimmten Grenze: Ab diesem Punkt, bei größeren Zahlen, braucht es offensichtlich sprachliche Fähigkeiten für Rechenoperationen. Die jungen Kopfrechenkünstler aus Indien und Japan lassen diese sprachliche Verbindung aber hinter sich.
Michel Frank vergleicht ihre Methode mit dem, was Computer tun. "Man beginnt damit, eine Aufgabe in arabischen Ziffern zu lesen, aber dann wandelt man es in eine Repräsentation um, mit der es sich gut rechnen lässt", erklärt der Psychologe in einer Aussendung. Beim Computer ist diese Repräsentation binär, bei den Kopfrechenkünstlern ein imaginärer Abakus.
Inwieweit sich die kognitiven Fähigkeiten von Kindern ändern, die bereits sehr jung diese Methode erlernt haben, wollen die Forscher in einer Folgestudie untersuchen.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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