Standort: science.ORF.at / Meldung: "Hayek gegen die unbeschränkte Demokratie"

Außenansicht des Parlaments in Wien

Hayek gegen die unbeschränkte Demokratie

Liberalismus und Demokratie gehen mit ihrer Forderung nach gleichen Rechten für alle eigentlich Hand in Hand. Für den großen liberalen Ökonomen Friedrich August von Hayek hören sich die Gemeinsamkeiten aber bald auf. Wenn der Staat die Wirtschaft kontrolliert und die Macht der Mehrheit unbeschränkt ist, dann wird die Demokratie für ihn "doktrinär".

Forum Alpbach 2011 12.08.2011

Die Ansichten von Hayeks erläutert der Wirtschaftsprofessor Viktor Vanberg in einem Gastbeitrag. Beim Europäischen Forum Alpbach 2011 leitet er ein Seminar zum Thema "Rethinking economic theory: A return of the masters?".

Verhältnis von Demokratie und Liberalismus

Von Viktor J. Vanberg

Über den Autor:

Porträtfoto des Ökonomen Viktor Vanberg

Privat

Viktor Vanberg wurde 1943 geboren. 1974 wurde er Dr. phil. an der TU Berlin. Er habilitierte 1981 an der Universität Mannheim. 1983 bis 1985 war Vanberg Visiting Research Associate bzw. Visiting Professor im Center for Study of Public Choice und im Department of Economics der George Mason University in Fairfax, Virginia. 1985 bis 1995 war er Professor für Ökonomie im Department of Economics, und Research Associate, sowie ab 1988 Editorial Director im Center for Study of Public Choice der George Mason University. 1995 bis 2009 war Vanberg Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, sowie von 2001 bis 2010 Direktor des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg.

Seminar beim Forum Alpbach:

Vanberg leitet beim Europäischen Forum Alpbach 2011 das Seminar "Rethinking economic theory: A return of the masters?" (19.- 24.8.2011). science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.

Bisher erschienen:

Die Frage des Verhältnisses von Demokratie und Liberalismus zählt zu den zentralen Themen, die Hayek in seinem Arbeiten zur politischen Philosophie behandelt hat. In seinem Hauptwerk Die Verfassung der Freiheit ebenso wie in der Trilogie Recht, Gesetz und Freiheit widmet er ihr besondere Aufmerksamkeit, und sie bildet den Gegenstand einer Vielzahl seiner Aufsätze.

Liberalismus ist nach Hayek "gleichbedeutend mit der Forderung der ‚rule of law‘ im klassischen Sinne", der Forderung nach Beschränkung der Zwangsgewalt des Staates auf die Durchsetzung allgemeiner Regeln, die für alle in gleicher Weise gelten und "die eine klar umrissene Privatsphäre für jeden einzelnen sichern". Besonders nachdrücklich betont Hayek, dass dieser liberalen Forderung das Ideal einer nicht diskriminierenden, privilegienfreien Gesellschaftsordnung zugrunde liegt.

Der klassischer Liberalismus will...

Im Vorwort zu einer Neuauflage seines wohl bekanntesten Werkes, Der Weg zur Knechtschaft, hat er dies mit folgenden Worten ausgedrückt: "Der Kern der liberalen Auffassung liegt in der Ablehnung jeglichen Privilegs, wenn man unter ‚Privileg’ im eigentlichen und ursprünglichen Sinn des Wortes versteht, dass der Staat einigen Rechte gewährt und sichert, die anderen nicht zu gleichen Bedingungen gewährt werden".

In etwas anderer Formulierung stellt er dazu in Recht, Gesetz und Freiheit fest: "Der Grundgedanke des klassischen Liberalismus ist der, dass der Staat alle Menschen als gleich anzusehen hat, so ungleich sie auch in Wirklichkeit sein mögen, und dass der Staat, wenn er das Handeln eines einzigen gleichgültig in welcher Weise beschränkt (oder unterstützt), in gleicher Weise, nach denselben abstrakten Regeln, das Handeln aller anderen beschränken (oder unterstützen) muss".

... gleiche Rechte für alle

Durch seine "Forderung nach gleichen Rechten für alle und der daraus folgenden Ablehnung aller Privilegien" war der Liberalismus, wie Hayek erläutert, ursprünglich eng mit der demokratischen Bewegung und ihrer Forderung nach gleichen politischen Mitwirkungsrechten für alle verbunden. Ja, im Kampf um eine verfassungsmäßige Regierung seien beide Bestrebungen oft nicht zu unterscheiden gewesen, obschon sie, wie Hayek betont, von zwar kompatiblen, letztlich aber verschiedenen Anliegen getragen waren: "Der Liberalismus", so Hayek, "befasst sich mit den Aufgaben des Staates und vor allem mit der Beschränkung seiner Macht. Die demokratische Bewegung befasst sich mit der Frage, wer den Staat lenken soll".

Die unterschiedlichen, aber kompatiblen Anliegen des Liberalismus und der Demokratie gerieten nach Hayeks Diagnose allerdings in dem Maße in Konflikt miteinander, in dem der Sieg der Demokratie über autoritäre Regierungsformen den Irrglauben nährte, "die Vorkehrungen, welche die Menschen einst mühsam ersannen, um den Missbrauch der Regierungsgewalt zu verhindern, würden alle dann unnötig, wenn die Macht in die Hände des Volkes gelegt ist".

Irrglaube machte Demokratie doktrinär und dogmatisch

Erst dieser Irrglaube hat nach Hayek jener Auffassung von Demokratie Vorschub geleistet, die er als "doktrinär" und "dogmatisch" kritisiert, der Auffassung nämlich, dass "die Meinung der jeweiligen Mehrheit als einziges Kriterium für Rechtmäßigkeit der Regierungsgewalt zu betrachten" sei, und "dass die jeweilige Mehrheit das Recht haben soll, zu bestimmen, welche Gewalt sie hat und wie diese auszuüben ist".

Ö1 Hinweise:

Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2011 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.

Mitglieder des Ö1 Club erhalten beim Europäischen Forum Alpbach eine Ermäßigung von zehn Prozent.

Die Hayeksche Kritik gilt nicht dem grundsätzlichen Ideal der Demokratie, sondern einer bestimmten, "heute vorherrschenden Interpretation". Im Sinne dieser Interpretation wird, so stellt Hayek fest, "die Demokratie heute sogar manchmal ausdrücklich als eine Staatsform definiert, in der die Macht der Majorität der gewählten Volksvertreter - vielleicht abgesehen vom Schutz einiger aufgezählter Grundrechte - keinerlei Beschränkungen unterliegt".

Einer solchen, nach seiner Auffassung irrigen, Interpretation des demokratischen Ideals ist es nach Hayek zuzuschreiben, dass sich Formen demokratischer Organisation durchgesetzt haben und vorherrschend geworden sind, die zu einer de facto unbeschränkten Demokratie führen und "eine progressive Ausdehnung der staatlichen Kontrolle des Wirtschaftslebens bewirken".

Die Quelle:

Der Text ist ein Auszug aus dem Beitrag "Liberalismus und Demokratie bei F.A. von Hayek" von Viktor J. Vanberg, erschienen in: Barbara Kolm-Lamprechter, Christian Watrin (Hrsg.), Internationale Experten zur Österreichischen Schule der Nationalökonomie, Festschrift für Christoph Kraus, The International Library of Austrian Economics Bd. 14, Hayek-Institut Wien 2006, S. 55 ff.

Nur Kritik an "unbeschränkter" Demokratie

Wenn er in diesem Sinne die zeitgenössischen demokratischen Institutionen kritisiert, so will Hayek dies ausdrücklich nicht als Kritik am "Grundideal der Demokratie" verstanden wissen, und er distanziert sich explizit von dem, was er als "den antidemokratischen Hang des Konservatismus" umschreibt, wenn er feststellt: "Aber ich glaube, dass sich die Konservativen selbst täuschen, wenn sie die Übel unserer Zeit der Demokratie zuschreiben. Das Hauptübel ist eine unbeschränkte Regierung ... . Die Macht, die die moderne Demokratie besitzt, wäre in den Händen einer kleinen Elite noch unerträglicher".

Hayek geht es nicht um eine Alternative zur Demokratie per se, sondern um eine Alternative zur unbeschränkten Demokratie, wie er sie in den gegenwärtig vorherrschenden demokratischen Institutionen angelegt sieht. Es geht ihm um eine Empfehlung zur institutionellen Reform, hin zu einer wirksam beschränkten Demokratie.

Mehr zu dem Thema: