"Das Ergebnis ist eigentlich keine Neuheit - es ist ein Weckruf", sagt Raynard Kington, der ehemalige Vizedirektor der National Institutes of Health (NIH). Anekdotische Hinweise auf ethnische Dikrepanzen in der Wissenschaftsgemeinde hat es schon früher gegeben. Nun liegen erstmals Zahlen und Fakten auf dem Tisch - und die sprechen eine klare Sprache.
Kington hat mit sechs weiteren Kollegen mehr als 83.000 Anträge auf Forschungsgelder der NIH untersucht. Die Anträge stammten allesamt von Jungforschern, 1.140 oder 1,4 Prozent wurden von afroamerikanischen Wissenschaftlern eingereicht. Damit tut sich bereits bei den Anträgen eine Schere auf: Der Anteil der Afroamerikaner an der US-amerikanischen Gesamtbevölkerung beträgt nämlich mit 13 Prozent fast Zehnmal so viel.
Neun Prozent Unterschied
Die Studie:
"Race, Ethnicity, and NIH Research Awards" ist in "Science" erschienen (Bd. 333, S. 1015).
Damit war zu rechnen, überraschend ist aber die Tatsache, dass sich die Disparität auch in zweiter Instanz fortsetzt: Wären die dunkelhäutigen Antragsteller mit ihren Anträgen so erfolgreich wie ihre weißen Fachkollegen gewesen (29 Prozent Erfolgsquote), hätten 337 Anträge angenommen werden müssen. Tatsächlich waren es jedoch nur 185 (16 Prozent Erfolgsquote).
Die Resultate wurden wohlgemerkt um Faktoren wie Bildung, Staatsbürgerschaft und bisherige Forschungsleistungen korrigiert, die Differenz dürfte also tatsächlich auf die ethnische Herkunft zurückzuführen sein. Warum ein so beträchtlicher Unterschied zwischen Schwarz und Weiß besteht, können Kington und Kollegen nicht sicher sagen.
Sie vermuten: Weiße Wissenschaftler dürften im Lauf ihrer Bildungs- und Forschungskarriere einen "kumulativen Vorteil" erlangen, wie das im Wissenschaftsforschungsjargon heißt. Sprich: Sie haben einflussreichere Mentoren und schließen sich besseren Arbeitsgruppen an. Was im Grunde wenig erklärt, sondern die Begründungseben nur um einen Schritt nach hinten verschiebt.
Eine weitere - und wohl grundlegendere - Ursache dürfte in der Beurteilung der Anträge durch Gutachter der NIH liegen. Diese können zwar aufgrund der Anträge die ethnische Herkunft der Forscher nicht direkt erkennen. Ganz unsichtbar ist sie dennoch nicht. Denn Name und universitäre Ausbildung sind in den Anträgen naturgemäß vermerkt, und diese geben nicht selten Hinweise auf die Hautfarbe des Antragstellers. Mit anderen Worten: Kington und Co. könnten eine subtile, aber statistisch wirksame Form des Rassismus aufgedeckt haben.
"Ich war bestürzt"
Francis Collins will zumindest nicht ausschließen, dass diese Interpretation zutrifft: "Ich war bestürzt", sagt der NIH-Leiter gegenüber dem Fachblatt "Science", in dem die Analyse nun veröffentlicht wurde. "Es ist völlig inakzeptabel, dass es so große Unterschiede gibt, für die wir keine eindeutige Erklärung haben. Eines ist sicher: Wir werden etwas dagegen tun." Ob die Veröffentlichung des "Hautfarbeneffekts" zu einer Bereinigung desselben führen wird, zweifeln allerdings manche Forscher an.
James Hildreth von der University of California in Davis weist etwa darauf hin, dass es seit jeher einen Einschüchterungsfaktor für Antragsteller traditionell "schwarzer" Universitäten gegeben habe. Diese Studie könnte bestehende Ängste noch verstärken. Der Neurowissenschaftler Erich Jarvis von der Duke University fügt hinzu: "Manchmal ist es einfach gut naiv zu sein."
Robert Czepel, science.ORF.at
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