Der Salzburger Computerforscher Manfred Tscheligi untersucht die Interaktionen zwischen Menschen und Computern. Die Überwachung der Menschen im Alltag durch allgegenwärtige Computer hat zwei Seiten, erklärt er: Die Preisgabe der Privatsphäre - aber auch die Möglichkeit zur Hilfe bei einem nächtlichen Überfall auf einem Autoparkplatz oder für alte Menschen daheim. Moderne Techniken können zum Beispiel Alzheimer am Verhalten von Personen erkennen oder sie zur Bewegung nach einem Schlaganfall motivieren.
science.ORF.at: Wie hat sich die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer in den letzten Jahren verändert?
ICT&S Center
Manfred Tscheligi ist Professor für Human-Computer Interaction & Usability und wissenschaftlicher Leiter des Center for Advanced Studies and Research in Information and Communication Technologies & Society der Universität Salzburg und Direktor und Mitgründer des Centrums für die Untersuchung und Realisierung Endbenutzerorientierter Interaktiver Systeme (CURE).
Manfred Tscheligi: Das kommt darauf an, wie weit man zurückschaut, aber die Nutzung und der Zugang zur Computertechnologie ist sicher viel allgegenwärtiger geworden. Früher ist man daheim vor dem PC gesessen. Jetzt hat man Schnittstellen, die man mit hat: zum Beispiel Mobiltelefonie. Der Umgang mit Computern ist sicher ubiquitärer geworden, nicht mehr nur zuhause am Schreibtisch.
Kommen bei dieser Entwicklung alle Menschen mit - zum Beispiel Ältere - oder gibt es Bereiche, wo Menschen gewisse Dinge im Alltag nicht mehr erledigen können, wenn sie mit dieser Allgegenwärtigkeit der Schnittstellen nicht zurecht kommen?
Viele Personengruppen kommen mit dieser Entwicklung sicherlich nicht ganz oder überhaupt nicht mit. Viele haben noch nicht wirklich angenommen, dass man mit der Mobiltechnologie mehr machen kann, als nur zu telefonieren: zum Beispiel im Internet zu surfen oder Rechnungen zu überweisen. Normale Telefone gibt es ja kaum mehr. Aber es gibt auch Personengruppen, die mit dieser Komplexität nicht umgehen können.
Die Technologie könnte aber noch allgegenwärtiger werden: Ein Telefon könnte überwachen, ob es mir gut geht oder kann mir bei Dingen helfen, die ich gerade tun will. Oder Menschen wird etwas Bestimmtes angeboten, wenn sie am Flughafen ankommen, weil das System dahinter weiß, was sie brauchen. Das hat aber natürlich auch viel mit dem Problem des Vertrauens und der Überwachung zu tun.
Wenn diese technische Entwicklung voranschreitet, kann man aus ihr später auch noch aussteigen, wenn man dies möchte? Zum Beispiel, wenn man sich observiert fühlt.
Technologiegespräche in Alpbach
Von 25. bis 27. August fanden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautete "Technologie als Chance - Verantwortung für die Zukunft". Dazu diskutierten Minister, Nobelpreisträger, internationale Experten u.a.
Ö1 Hinweise:
Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2011 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.
Zurzeit gibt es die Tendenz, alles mit dieser allgegenwärtigen Technologie zu versehen. Man muss immer zwei Seiten sehen: Das System weiß, wo ich bin, was ich tue, was ich will. Wenn es auf einem Autobahnparkplatz in der Nacht ein Problem gibt, bin ich vielleicht froh, dass ich erfasst werde. Die zweite Seite ist aber das Preisgeben der Privatsphäre.
Zurzeit kann man schon noch aussteigen: Ich kann mein Telefon auch abschalten, am Land sind manche Gegenden eventuell ohne Empfang. Ob das in Zukunft auch noch gehen wird, bezweifle ich, aber die Technologieentwicklung ist aufgerufen, dafür zu sorgen, dass wir Ausstiegspunkte haben. Man muss den Menschen etwas bieten, um auszeigen zu können, die Freiheit zu haben, wann man etwas nutzt und wann nicht. Dann wird auch der Nutzen besser akzeptiert. Aber ich bin skeptisch, ob das überall so eingebaut wird, oder ob wir nicht einfach damit leben müssen.
Sie untersuchen auch Systeme, die helfen, um bei alten Menschen Alzheimer zu erkennen. Wie funktioniert das?
Das ist der Bereich des Ambient Assisted Living. Man muss zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist die soziale Ebene: Was kann Technologie tun, um fehlende Sozialkontakte zu ersetzen oder zu ergänzen, zum Beispiel mit dem Enkel in den USA regelmäßig eine Videokonferenz abhalten.
Das andere sind Notsituationen, wo man Personen hilft, wenn etwas passiert oder ein medizinisches Problem auftaucht. Da wird Überwachung stärker notwendig sein. Durch Video oder Bewegungssensoren kann man feststellen, ob Menschen etwas brauchen. Mit der allgegenwertigen Technologie versucht man abzuleiten, wenn sich jemand anders verhält. Wir arbeiten an einem System, das erkennt, wenn jemand hingefallen ist und dann Nachbarn oder Verwandte informiert. Technologie kann auch bei Therapien unterstützen.
Wie funktioniert das?
Das kann ein Trainingsprogramm nach einem Schlaganfall sein, das über Mobil- oder andere Technologie kommuniziert wird. Das kann helfen, wenn jemandem die Motivation fehlt, sich mit richtigen Lebensweisen auseinanderzusetzen, um schneller gesund zu werden. Das kann eine Nachricht am Handy sein, aber auch ein intelligenter Bilderrahmen. Wenn Bilder von Verwandten sagen, "Oma oder Opa, geh wieder eine Runde spazieren", dann hilft das.
Wie kann ein technisches System Alzheimer früher erkennen, indem es feststellt, dass sich jemand anders verhält als sonst?
Man versucht Verhalten aufzuzeichnen: wenn jemand etwas vergisst oder wenn ein gewisses Muster auftritt. Das System sieht, was Menschen über einen längeren Zeitraum tun und welche Abweichungen zum normalen Verhalten es gibt. Auch Sprachanalyse kann Lücken feststellen.
Interview: Mark Hammer, science.ORF.at