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Stacheldraht in einem KZ

Gedenkort, Friedhof und Schule

KZ-Gedenkstätten haben gleich drei Funktionen: Sie sind Gedenkorte, Friedhöfe sowie Stätten der historischen und demokratischen Bildung. In Österreich ist Mauthausen die zentrale Stätte für das Gedenken an den Holocaust. Wie die Neugestaltung des Geländes versucht, den Funktionsspagat zu schaffen, erklärt ihr wissenschaftlicher Leiter.

Mauthausen 15.09.2011

Bis zum Mai 2013 soll die neue Überblicksausstellung zur Geschichte des von den Nazis errichteten Lagers fertig sein, bis 2018 alle weiteren Bereiche, sagt Bertrand Perz anlässlich einer Tagung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die Mehrfachfunktion soll deutlich gemacht werden, die pädagogische und vermittelnde Funktion aber im Vordergrund stehen, so der Zeithistoriker und wissenschaftliche Leiter der Neugestaltung. Überfordern solle man Gedenkstätten aber nicht: Sie können vor Verbrechen wie jenen der Nazis zwar warnen, sie aber nicht verhindern.

Porträtfoto des Zeithistorikers Bertrand Perz

APA/Land Tirol/Alexandra Sidon

Bertrand Perz ist Zeithistoriker, stellvertretender Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter der Neugestaltung von Mauthausen.

Tagung in Wien

An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften findet von 15.-17. September die Tagung " Diesseits und jenseits des Holocaust. Aus der Geschichte lernen in Gedenkstätten" statt.

KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Im nationalsozialistischen Konzentrationslager Mauthausen waren zwischen 1938 und 1945 mehr als 200.000 Personen aus ganz Europa inhaftiert, etwa die Hälfte wurde dort ermordet. Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen gehört ressortmäßig zum Innenministerium, das auch die Neugestaltung durchführt.

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Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 15.9., 13:55 Uhr.

science.ORF.at: Warum ist das KZ Mauthausen als Gedenkort für Österreich so wichtig?

Bertrand Perz: Es ist der Ort in Österreich, an dem Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen kontinuierlich stattfindet. Mauthausen ist zugleich der einzige Ort, der als eine Art Nationalmuseum funktioniert. Das hängt mit der schwierigen Nationswerdung Österreichs zusammen. Seit der Monarchie gab es zwar Landesidentitäten mit entsprechenden Landesmuseen, aber keinen nationalen Bezugsort.

Mit allen Konsequenzen, etwa dass auf andere Plätze des NS-Verbrechens vergessen wurde und sich alles auf Mauthausen konzentrierte?

Das ist komplex: Ursprünglich stammte die Idee für Mauthausen von Überlebenden. Sie wollten eine zentrale Gedenkstätte einrichten und nicht alle NS-Spuren in der Landschaft zeigen. Naheliegend war deshalb das Stammlager Mauthausen, das im Mai 1945 von den Amerikanern befreit wurde und nach der Zoneneinteilung unter sowjetische Verwaltung geriet. Die Sowjets haben es 1947 der Republik Österreich mit der Auflage übergeben, darauf eine Gedenkstätte zu errichten.

Konsequenz der Zentralisierung war aber, dass andere Orte in Vergessenheit gerieten. Am deutlichsten ist das am Lager Gusen zu sehen, das nur drei Kilometer von Mauthausen entfernt ist und in bestimmten Phasen sogar größer war. Die Steinbrüche von Gusen wurden weiter benützt, die Erinnerung an dieses Lager und die 40 Außenlager rückte erst in den 1990er Jahren wieder ins Bewusstsein.

Eine hypothetische Frage: Was wäre geschehen, wenn die Sowjets Österreich nicht genötigt hätten, die Gedenkstätte zu errichten?

Das kann ich natürlich nicht eindeutig beantworten. Nach dem Krieg war es jedenfalls unklar, was mit dem Areal geschehen sollte. Das ist nicht ganz unverständlich, es handelte sich um eine mehrere Quadratkilometer große Fläche mit Industrieareal, Steinbruch, Verwaltungseinrichtungen und SS-Siedlungen. Die Idee, das Gedenken an diese historischen Überreste zu knüpfen, war nicht selbstverständlich. Das sieht nur aus heutiger Sicht so aus. Damals gab es auch andere Ideen: Man wollte ein Spital oder ein Kinderheim errichten, zusätzlich ein Denkmal - in der katholischen Variante mit einem überdimensionalen Kreuz.

An wen hat sich Mauthausen ursprünglich gerichtet?

Nicht an die Mehrheitsgesellschaft, die dem Nationalsozialismus gegenüber so positiv eingestellt war, sondern an die Überlebenden und das Ausland. Die österreichischen Kommunisten, waren die eifrigsten Befürworter der Gedenkstätte. Sehr früh wurde der Konsens gefunden, im Sinne der österreichischen Opferthese die Opferseite und den Widerstand gegen den NS in den Vordergrund zu stellen und nicht die Frage der Täterschaft.

Mauthausen war also nicht an die österreichische Gesellschaft als solche adressiert. Das sieht man auch an der massiven Kritik in den Medien bei der Eröffnung 1949. Der Tenor lautete: "Wozu brauchen wir das? Lasst uns lieber Wohnungen oder ähnliches bauen! Wir brauchen kein Gedenken an die deutsche Barbarei etc." Dementsprechend erlahmte im Kalten Krieg das Interesse der Republik an Mauthausen völlig.

Wie zufrieden waren die Opferverbände mit den Entwicklungen?

Wenig. Es setzte sich in den 50ern auch eine andere Erinnerungskultur durch, die nicht antifaschistisch war, Kriegerdenkmäler am flachen Land dominierten nun. Die politisch ziemlich machtlosen Kommunisten waren damit sehr unzufrieden. Aber als aktivste Gruppe in Mauthausen konnten sie über die sowjetische Besatzungsmacht und durch eine Internationalisierung ihres Anliegens - durch Gründung des Internationalen Mauthausenkomitees - außenpolitisch Druck auf Österreich machen, damit die Gedenkstätte weiter ausgestaltet wird.

Todesstiege im KZ Mauthausen

APA - Harald Schneider

Todesstiege im KZ Mauthausen

1970 wurde dann die erste historische Dauerausstellung eröffnet: Warum überhaupt? Ehemalige Konzentrationslager sind ja zunächst Gedenkorte und Friedhöfe und erst dann Stätten der Pädagogik.

Das wurde schon 1949 diskutiert, vor dem Hintergrund der Frage, dass die renovierten Überreste des KZ dem Publikum sein wahres Grauen nicht vermitteln könnten. Sie seien zu "sanatorienhaft", wie das oft bezeichnet wurde. Gefordert wurden vor allem historische Erläuterungen.

Anfang der 60er Jahre trat ein neues Argument auf: die Erziehung der Jugend. Man wollte auf die erste Generation, die den Nationalsozialismus nicht bewusst erlebt hat, durch eine Ausstellung Einfluss nehmen. Hintergrund waren rechtsextreme Agitationen ähnlich wie in Westdeutschland. Zeitgeschichte sollte als Allheilmittel gegen solche Tendenzen dienen. In Österreich kommt dazu, dass die junge Republik im Sinne der Moskauer Deklaration Interesse daran hatte, Mauthausen als Ort des österreichischen Widerstands darzustellen. Das deckte sich mit Interessen der Kommunisten, die ihren tatsächlichen Widerstand dargestellt wissen wollten. Aber erst nach Gründung einer überparteilichen Lagergemeinschaft war die Republik bereit, die Ausstellung zu finanzieren.

Konzipiert wurde sie von Hans Marsalek, einem hochangesehenen ehemaligen Lagerschreiber im KZ Mauthausen, Kommunisten und Polizisten, der nun im Innenministerium zuständig war. Die akademische Forschung spielte dabei kaum eine Rolle, allerdings entstand nach Gründung des Wiener Zeitgeschichteinstituts 1967 die erste Dissertation in Österreich zu Mauthausen. Marsalek entwickelte die Ausstellung aus Sicht der Überlebenden und nicht der Historiker. Naturgemäß entspricht sie den heutigen Erfordernissen nicht mehr.

Wo liegt der große Unterschied zur Neukonzeption?

Die Frage ist immer: Was will man vermitteln? Nur ein Beispiel: Man hatte 1970 noch sehr plakative Botschaften: Hier die Täter, dort die Opfer. Hier die SS, dort die Häftlinge. Heute sieht man das angesichts von mehreren Jahrzehnten KZ-Forschung viel differenzierter, was nichts an der prinzipiellen Rollenverteilung ändert. Aber die Häftlingsgemeinschaft war keine solidarische Gesellschaft, sondern eine Zwangsgesellschaft mit enormen inneren Unterschieden, dafür sorgte die SS, die übrigens ebenfalls nicht so homogen war.

Die Überlebenden hatten zumeist Angst, dass man bei differenzierterer Betrachtungsweise sofort sagen könnte, dass es sich bei den Häftlingen um Kriminelle und Verbrecher gehandelt hätte - also Angst vor dem Weiterwirken der NS-Propaganda.

Ganz generell war die alte Ausstellung sehr Österreich-zentriert, viele Opfergruppen kamen nicht adäquat vor, das Thema der Wachmannschaften nur sehr rudimentär. Die Ausstellungen sind heute auch nicht mehr Teil des Gedenkens, sondern klassische zeithistorische Ausstellungen an einem sehr spezifischen Ort, der zugleich Gedenkort und Friedhof ist.

Wie sieht der Plan für die neue Ausstellung konkret aus?

Eine Überblicksausstellung wird die Geschichte der Lager Mauthausen, Gusen und der 40 Außenlager zwischen 1938 und 1945 erzählen. Ergänzt wird das durch vertiefende Module über gezielte Massentötungen, die Lager-SS, die Häftlinge mit biographischen Details und die Zwangsarbeit.

Bei der Überblicksausstellung wird es drei Stränge geben. Erstens gehen wir von der These aus, dass Mauthausen nicht isoliert zu sehen ist, sondern Teil eines europäischen Verbundes von Lagern war und gleichzeitig eingebettet in ein gesellschaftliches Umfeld. Zweitens haben wir den Strang "Lagergeschichte" und drittens den Strang "Erfahrungsebene der Häftlinge". Diese drei Stränge werden in dem ehemaligen Krankenbau, der einen Mittelgang und zwei Zimmerfluchten hat, auch örtlich parallel dargestellt.

Das ganze haben wir in vier zeitliche Phasen geteilt: die Gründungsphase, die Phase der Internationalisierung der Häftlingsgesellschaft bei gleichzeitiger Radikalisierung der Lagerhaft bis 1943, die dann dominante Zwangsarbeit für die Kriegswirtschaft und schließlich die Schlussphase, wo Mauthausen Evakuierungsziel für Häftlinge aus Auschwitz, Majdanek etc. wurde. In den letzten fünf Monaten vor der Befreiung sind 50.000 Menschen in KZ-Komplex Mauthausen umgekommen, genauso viele wie in allen Jahren vorher.

Die Tagung an der ÖAW geht u.a. der Frage nach, wie es KZ-Gedenkstätten gelingt, den funktionellen Spagat zwischen Friedhof, Gedenkort und Ort der Vermittlung zu machen. Wie versuchen Sie das bei der Neugestaltung von Mauthausen zu lösen?

Mit der gesellschaftlichen gestiegenen Relevanz von Mauthausen seit den 1970er Jahren sind die Fragen der pädagogischen Vermittlung heute dominanter geworden. Die Neugestaltung ist eine Voraussetzung, um Mauthausen weiterhin relevant zu halten. Man kann mit Konzepten der 60er Jahre kein jugendliches Publikum, für die der Nationalsozialismus sehr weit weg ist, mehr ansprechen.

Die Formen der Erzählung, der Repräsentation, der Vor- und Nachbereitung, zum Teil auch die Inhalte werden andere sein. Zugleich muss klar sein, dass KZ-Gedenkstätten keine gewöhnlichen Museen sind, sondern Gewalt- und Totenorte. Sie sind immer auch Denkmäler. Wir versuchen in der Außengestaltung den Ort so zu präsentieren, dass diese Mehrfachfunktion deutlich bleibt.

Ein Beispiel: In einem archäologischen Projekt werden die historischen Flächen des Lagers wieder sichtbar und lesbar gemacht, die nach dem Krieg verschwunden sind. Gleichzeitig verändern wir die Gedenkbereiche, die über der Lagerstruktur liegen, nicht. Die Denkmäler müssen aber historisch erklärt werden, weil die Jugendlichen sonst nichts mit ihnen anfangen können.

Wie sehen Sie die Zukunft der Gedenkstätte?

Wenn es uns gelingt, den Ort spannend zu erhalten, d.h. einen Bezug zu unserem heutigen Leben herzustellen, wird sich auch das Publikum weiter einfinden. Man muss aber eine Einschränkung machen. Eine Erwartung, die v.a. von der Politik kommt, kann nicht erfüllt werden. Mauthausen ist keine "Bewusstseinsschleuse", in die man Jugendliche schickt, die anfällig sind für Rechtsextremismus, und auf der anderen Seite gehen sie als geläuterte Demokraten raus. Das ist eine Überforderung.

Generell stellt sich die Frage, inwiefern Gedenkstätten relevant bleiben können und müssen, je länger der Holocaust zurückliegt. Ich denke, dass es weiter sinnvoll ist, die zentralen Katastrophen des 20. Jahrhunderts bewusst zu halten, da diese auch in Zukunft möglich sind. Gedenkstätten können dafür sensibel machen, sind aber keine Garantien dagegen.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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