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Wirtschaftsuniversität Wien von außen

Ist die Krise auch eine Krise der Ökonomen?

Die aktuelle Finanzkrise ist auch eine Herausforderung der Ökonomen. Die Bankenkrise 2008 hat der größte Teil von ihnen nicht vorhergesehen, auch zurzeit sind ihre Lösungsvorschläge mindestens so unterschiedlich wie jene der Politiker. Ist die Wirtschaftswissenschaft ein Teil des Problems oder der Lösung?

Ökonomen-Befragung, Teil 3 26.09.2011

Basisfragen in drei Teilen:

science.ORF.at hat vier Ökonomen und eine Ökonomin schriftlich eine Reihe sehr grundlegender Fragen zur aktuellen Wirtschaftssituation und zum Zustand der Wirtschaftswissenschaft gestellt. Die Antworten werden in diesen Tagen in drei Teilen veröffentlicht.

Die fünf Befragten:

Porträtfoto von Helene Schuberth

Österreichische Nationalbank

Helene Schuberth ist Senior Advisor an der Hauptabteilung Volkswirtschaft der Oesterreichischen Nationalbank.

Joachim Becker

Wirtschaftsuniversität Wien

Joachim Becker ist Professor am
Institut für Außenwirtschaft und Entwicklung, Department Volkswirtschaft, an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Porträtfoto von Bernhard Felderer

APA - Herbert Neubauer

Bernhard Felderer ist Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS).

Porträtfoto von Fritz Breuss

Wirtschaftsuniversität Wien

Fritz Breuss ist Jean Monnet Professor für wirtschaftliche Aspekte der Europäischen Integration an der Wirtschaftsuniversität Wien und Projekt-Mitarbeiter im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO).

Porträtfoto von Philipp Bagus

Philipp Bagus

Philipp Bagus ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Juan Carlos Universität in Madrid und Autor des Buches "Die Tragödie des Euro".

Im dritten Teil einer science.ORF.at-Serie geht es um das Selbstbild der Ökonomie und um die Wahrscheinlichkeit eines baldigen Inflationsanstiegs. Wie in den beiden ersten Teilen geben Helene Schuberth, Bernhard Felderer, Fritz Breuss, Joachim Becker und Philipp Bagus zum Teil sehr unterschiedliche Antworten.

5) Wie groß ist die Gefahr einer deutlichen Erhöhung der Inflation in der nächsten Zeit?

Helene Schuberth: Die derzeit beobachtbare konjunkturelle Abschwächung wirkt sich dämpfend auf die Teuerung aus. Laut aktuellster Prognose (Europäischen Kommission) ist im nächsten Jahr mit einem Rückgang der Inflationsrate im Euroraum von derzeit 2,5 Prozent auf knapp unter zwei Prozent zu rechnen. Ausschlaggebend dafür ist auch ein zu erwartender Abwärtstrend der Teuerungsentwicklung im Energie- und Nahrungsmittelbereich. Auch die im Zusammenhang mit Inflationsgefahren viel zitierte Geldmengenentwicklung zeigt Wachstumsraten, die weit unter einem Niveau liegen, das mit höherer Inflation in Verbindung gebracht werden könnte.

Joachim Becker: Sowohl beschleunigte Inflation als auch Deflation sind denkbar. Elemente für beide Tendenzen bestehen derzeit.

Bernhard Felderer: Die Inflation ist im Moment kein Problem.Es stimmt zwar, dass die Geldmenge erhöht worden ist, und die Europäische Zentralbank (EZB) Anleihen von Staaten wie Griechenland und Italien in großer Summe gekauft hat. Das muss aber nicht dazu führen, dass die Geldmenge im gleichen Umfang ausgeweitet wird. Die EZB hat immer noch die Kontrolle darüber, kann das Kreditvolumen reduzieren und die Zinsen erhöhen und die Inflation damit innerhalb weniger Monate in den Griff bekommen. Außerdem schwächt sich zurzeit die Wirtschaft ab, wodurch die Preise weniger steigen. Wir sehen das jetzt schon, alleine die Stimmungsindikatoren haben bewirkt, dass einige Rohstoffpreise wie Metalle und Öl stark gesunken sind.

Fritz Breuss: Das ist eine offene Frage - einige sehen statt einer Inflationsgefahr eine Deflationsgefahr. Die derzeit sehr lockere Geldpolitik in den USA und in der Eurozone müsste aber, sofern die Konjunktur nicht 2012 in eine Rezession abstürzt, zu einem allmählichen Ansteigen der Inflation mittelfristig führen.

Philipp Bagus: Werden die Staatsdefizite nicht durch Einsparungen, Privatisierungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes beseitigt, ist die Gefahr sehr hoch. Denn es wurden enorme Schuldenberge aufgebaut, die immer noch weiter steigen. Eine Banken- und Staatenrettung wird wohl größtenteils durch weitere massive Geldproduktion finanziert werden und nicht durch Steuererhöhungen.

6) Die Wirtschaftswissenschaften haben die Bankenkrise von 2008 nicht vorhergesehen. Auch die aktuelle Krise wird von Ökonomen sehr unterschiedlich beurteilt. Inwiefern beinträchtigt dies das Selbstbild einer Wissenschaft? Und inwieweit ist diese Wissenschaft auch Ideologie bzw. Wegbereiter und Argumentationshilfe für die Politik?

Helene Schuberth: Die Wirtschaftswissenschaften sind nicht homogen. Sie vereinen vielmehr ein breites Spektrum von zum Teil konkurrierenden Ansätzen. Die "Theorie der finanziellen Instabilität" des Postkeynesianismus oder die verhaltensorientierte Finanzmarktökonomie beschreiben seit Jahren genau jene Phänomene, die heute ins Alltagsvokabular Eingang gefunden haben: sich selbst erfüllende Prophezeihungen, Herdenverhalten, irrationale Übertreibungen von Finanzmärkten. Diese alternativen Ansätze wurden jedoch überschattet von Theorien des allgemeinen Gleichgewichts, in denen das Finanzmarktgeschehen ausgeklammert wird und die an den Universitäten und in den Institutionen zur vielfach einzig akzeptierten Lehre wurden. Die Krise lehrt uns: Ökonomischer Fortschritt ist ohne Pluralismus von Meinungen nicht zu haben.

Joachim Becker: Vor allem die Hauptströmung der Wirtschaftswissenschaften hat - bis auf einzelne Ausnahmen - die Krise nicht vorhergesehen. VertreterInnen kritischer Theorieströmungen - Keynesianismus, Postkeynesianismus, Marxismus - haben hingegen sehr wohl auf die Krisentendenz hingewiesen. Die Hauptströmung der Wirtschaftswissenschaften hat die Wirtschaftspolitik, die maßgeblich zur Krise mit beigetragen hat, grundsätzlich abgesegnet.

Sendungshinweise:

Über die Wirtschaftskrise berichten die Ö1 Journale, Saldo - das Wirtschaftsmagazin und viele andere Sendungen. Hier eine Sammlung von Beiträgen in der ORF TVthek.

Bernhard Felderer: Die Krise von 2008 ist erst dramatisch geworden, als die Amerikaner die Lehman Brothers Bank in Konkurs gehen ließen. Danach sind die Investitionen weltweit auf ein historisches Tief gefallen, die Arbeitslosgikeit ist gestiegen etc. Niemand konnte diesen Konkurs vorhersehen. Wirtschaftswissenschaftler machen nichts anderes, als aus vergangenen Zyklen zu lernen, welche Variable auf welche Variable reagiert, und daraus gewisse Schlüsse zu ziehen. Exogene Schocks wie Missernten, Naturkatastrophen oder eben Bankenpleiten können das auf den Kopf stellen und sind nicht prognostizierbar. Die Ökonomen machen Prognosen, weil es eine große Nachfrage danach gibt. Den Fehler machen diejenigen, die sich zuviel von ihnen erwarten. Zur Ideologie: In jeder wirtschaftspolitischen Empfehlung ist ein Werturteil enthalten. Schon die Tatsachen, dass es ein Eigentum an Produktionsmitteln gibt und der Staat Steuern einhebt, sind Vorgaben, die Werturteile beinhalten. Wichtig ist es, die Stellen, in die Werturteile eingeflossen sind, kenntlich zu machen.

Fritz Breuss: Das ist eine Gretchenfrage: Die Ökonomie als Wissenschaft hat sich nach dem 2. Weltkrieg immer mehr zu einer Gleichgewichtsökonomik entwickelt, d.h. es wurden - weil es auch gar keine mehr gab - große Weltkrisen (wie eben die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09) - einfach nicht mehr für möglich gehalten. Der entscheidende Punkt, warum die traditionellen Konjunkturmodelle die reale Krise (Rezession 2009) erst viel zu spät realisierten, liegt in den Folgen der Lehman-Pleite 9/2008. Nach Lehman haben die Banken plötzlich gegenseitig das Vertrauen verloren - der Interbankenmarkt ist zusammengebrochen und damit auch die Kreditvergabe an den Realsektor. Dieser Vertrauensverlust war nicht vorhersehbar. Jetzt geht die Ökonomie als Wissenschaft auf die Ursachensuche und versucht, eine "neue Krisentheorie" zu entwickeln - bisher gibt es erst Bruchstücke, die die Krise 2008/09 erklären können. Aber eine Krisentheorie wie sie etwa Keynes für die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre geliefert hatte, ist noch ausständig.

Philipp Bagus: In der Tat hat die Mainstreamökonomie versagt. Schon lange hat sie sich mit ihren mathematischen Modellen und ökonometrischen Studien von der Realität menschlichen Handelns entfernt. Nur Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie waren in der Lage, die Finanzkrise vorherzusagen. Diese Ökonomen treten schon lange für eine grundlegende Bank- und Geldreform ein, welche bei der Politik nicht ankommt, da diese Reform die Macht des Staates verringert.

Interviews: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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